Kapitel 8

172 12 130
                                    

Sidon

Ich gehörte nie zu den Menschen, die sich darüber beschwerten, dass sie ihr Leben zu langweilig finden. Nach zwei Schicksalsschlägen sehnte ich mich danach, mit der Vergangenheit abzuschließen und mein inneres Gleichgewicht zu finden. Und bis gestern war ich auf dem besten Weg dorthin. Also warum zum Teufel wird mein Leben von einem Tsunami der Stärke Colton durcheinander gewirbelt?

Ich habe immer meine Gründe, widerholt meine innere Stimme tatkräftig und sorgt damit zum zweiten Mal für eine Gänsehaut, die ich eigentlich gar nicht haben dürfte. Klar, wenn Colton diese Worte in seinem tiefsten Tonfall in mein Ohr flüstert, wirken sie unglaublich tiefsinnig und bedeutungsvoll. Aber wahrscheinlich ist genau das der Punkt an der Sache! Es wäre vermutlich am besten, ich würde mir gar keine Gedanken über diese Zeile machen, denn schlussendlich ist es sowieso nur kryptischer Bullshit.

Stattdessen sollte ich mich auf die Frau konzentrieren, die sich beinahe die Mundwinkel einreißt, um ihre überschwängliche Freude auszudrücken. Wahrscheinlich gehört sie zu den Strippenziehern der Show, denn zumindest kann ich eine gewisse Sensationsgier bei ihr erkennen.

Erst jetzt fällt auf, dass Colton direkt vor mir steht und wir in die Kamera blicken, als hätte man uns bei einem Stelldichtlein auf frischer Tat ertappt. Schnell trete ich einen Schritt zurück und verschleiere meinen abrupten Rückzug, indem ich mich auf einen Stuhl fallen lasse. Ich weiß nicht, wie ich die Konferenz überstehen soll, wenn ich schon jetzt mit den Nerven am Ende bin. Es ist verdammt anstrengend, ihm Paroli zu bieten, während all die guten Erinnerungen auf mich einströmen. Ein Teil von mir versucht immer noch das Gute in ihm zu sehen, dabei bin ich mir vollauf im Klaren, dass er schon längst kein Unschuldslamm mehr ist, das an seiner Einsamkeit fast zu Grunde geht. Himmel, er hat mir sogar damit gedroht meine geheime Bloggeridentität auffliegen zu lassen, um seinem Angebot mehr Nachdruck zu verleihen! Da sollten die MISTKERL-Signale doch schon vor Ewigkeiten in meinen grauen Zellen angekommen sein!

»Ist alles gut bei dir, Liebes?«, ergreift die fremde Frau wieder das Wort und wirft mich dabei ruckartig aus meinem inneren Chaos, »Ich hoffe, ich habe dich nicht mit meiner Begeisterung überrollt. Ich würde ja gerne sagen, dass ich meine Emotionen normalerweise besser im Griff habe, aber Lügen ist schlecht fürs Geschäft. Man sollte die Dosis so klein wie möglich halten und sie nur in Notfällen einsetzen, ansonsten kann es mit der Authentizitätsrate schnell den Bach herunter gehen... Ach, ich plappere schon wieder viel zu viel und dabei habe ich mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Megan. Megan Shine. Ich bin Regisseurin und Erschafferin von „Trust again"«

Ich weiß gar nicht, was ich seltsamer finden soll, dass eine Frau im Zusammenhang mit Reality-Shows – die bekannter Maßen ja alles andere als real sind – das Wort „Authentizität" verwendet oder die Tatsache, dass es bei einer solchen Sendung überhaupt eine Regisseurin gibt.

Mal ganz abgesehen davon, dass sich „Shine" wie ein Künstlername anhört, der verbergen soll, dass sie in Wirklichkeit „Fombenwomden" oder „Eiersalat" heißt.

Schnell pinsle ich ein Lächeln auf mein Gesicht, weil es in meiner Situation auf keinen Fall hilfreich ist wie ein wütender Gockel auf einen Punkt zu stieren und den Anschein zu erregen, als wäre man gerade hinterrücks erstochen worden.

»Keine Sorge, mir geht es gut«, erwidere ich so gelassen wie möglich und nehme dabei am Rande wahr, wie sich Colton ebenfalls auf einen Stuhl sinken lässt, »Ich hatte nur noch nicht besonders viel Zeit, mich an diese ungewöhnliche Situation zu gewöhnen«

»Oh, ich bin so neugierig auf die Geschichte eurer Widervereinigung und die Hintergründe eurer Vergangenheit! Leider muss die Geschichtsstunde aber noch ein bisschen warten. Sie soll schließlich Teil unserer ersten Episoden werden und da ich auch als Moderatorin fungiere, wäre es unglaublich fatal, wenn ich den Zuschauern keine Erstreaktion bieten kann. Wir wollen es schließlich so echt und authentisch wie möglich! Aber jetzt kommen wir am besten ganz zu dir, Liebes. Ich schätze, du hast einige Fragen an uns, bevor du endgültig in die Show einsteigst«

Songs, rockstars and the fucking pastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt