Kapitel 45

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Colton

Winzige Wassertropfen prasseln auf uns nieder, während Oliver Sykes ein letztes Mal den Refrain anstimmt. Doch das alles rauscht in einem Schleier aus Unwichtigkeit an mir vorbei, denn meine ganze Aufmerksamkeit gilt Sidons Gesicht, auf dem sich ein Ausdruck der Überraschung breit macht. Sie hat ihre Augen weit aufgerissen, so dass es mir vorkommt als wollten mich die blauen Seen mit Haut und Haar verschlucken. Ihr Mund ist leicht geöffnet und ihr scheint nicht einmal bewusst zu sein, dass sie in diesem Moment regelrecht... leuchtet.

Ich kann es einfach nicht anders beschreiben. Ihr Inneres scheint zu strahlen wie der letzte Sonnenschein eines wunderschönen Sommertages und wenn ich nicht bald aufhöre, so einen kitschigen Dreck vor mich hinzufantasieren, muss ich mich wohl selbst in die Klapse einweisen. Menschen leuchten nicht von innen heraus. Punkt.

Ein fassungsloses Grinsen hat sich auf ihrem Gesicht breit gemacht und sie legt den Kopf in den Nacken, so dass der Sprühnebel des Sprinklers nun ihre Wange benetzt und sich in ihren Wimpern verfängt. Mein Mund wird ganz trocken bei diesem Anblick und ich glaube, dass man auf meiner Miene dieselbe Überwältigung sehen kann wie auf ihrer.

»Wie... Wie kommst du nur auf all diese Sachen?«, fragt mich Sidon noch immer fassungslos, »Ich meine, das ist... perfekt«

Aus ihrer Miene spricht ehrliche Verwunderung und ich spüre tief in meinem Herzen, dass sie diese Worte ernst meint. Tonlos öffne ich die Lippen, weil nichts was ich sagen könnte, das Gefühlschaos in mir auch nur annährend in Worte fassen kann. Also starre ich weiterhin in Sidons leuchtende Augen, bis ich schließlich in dem Blau versinke.

Alles an ihr scheint mich zu sich zu ziehen und bevor ich es verhindern kann, senkt sich mein Blick auf ihre Lippen hinab. Und ab da schaffe ich es nicht mehr, meine Augen davon abzuwenden. Für einen Moment schwirrt noch die Erinnerung an unseren Kuss im Badezimmer durch meinen Verstand und dann ist es um mich geschehen. Schiebt es von mir aus auf meinen Zustand vollkommener Überforderung, auf die Verwirrung oder die magnetische Wirkung, die Sidon manchmal auf mich auszuwirken scheint, es ist mir ganz egal. Wichtig ist nur, dass ich mich in dieser Sekunde nach vorne lehne und meine Lippen kurz darauf auf ihre treffen.

Das erste, was ich spüre, ist der unaufhaltsame Verdacht, dass ich das schon viel früher hätte tun sollen. Ich habe mich so lange gegen diese unterschwellige Sehnsucht gestemmt und kaum, dass ich meinen Wünschen endlich nachgehe, vergesse ich auch schon, was mich zuvor abgehalten hat. Sidon scheint es ebenso zu ergehen. Denn kaum liegt mein Mund auf ihrem, reckt sie mir ihr Gesicht entgegen und erwidert den Kuss mit einer Innigkeit, die mir kurzzeitig den Atem raubt.

Ihre Lippen bewegen sich fordernd auf meinen und es scheint keinen von uns schnell genug gehen zu können. Hitze steigt in mir auf, als Sidons Zunge gegen meine stößt. Eine ihrer Hände legt sich in meinen Nacken und zieht mich näher zu sich.

Es fühlt sich an, als hätte sie zuvor dieselbe Unvollständigkeit gespürt wie ich. Verdammt, ich lag mit allem so falsch und trotzdem haben sich die Puzzleteile noch zu keinem vollständigen Bild zusammengefügt. Doch langsam beginne ich mich zu fragen, wie sehr mir die Lösung des Rätsels wirklich am Herzen liegt, wenn mich diese verbissene Suche davon abhält, darum zu kämpfen, was ich wirklich will.

Die letzten sehnsuchtsvollen Töne von Deathbeds hallen durch die Luft und genau in diesem Moment lösen wir uns schweratmend voneinander. Wirre Schnipsel fliegen mir durch den Kopf, während mein Hirn versucht sich neu zu ordnen und den rosaroten Nebel zu vertreiben, der sich darin festgesetzt hat. Erst jetzt bemerke ich, dass ich Sidon mit einer Hand ganz nah an mich gezogen habe, während ich meine andere an ihre regennasse Wange gelegt habe.

Sie starrt mich an, als wäre sie soeben Zeuge eines Autounfalls geworden. Sofort spüre ich wie Unsicherheit sich in mir breit macht. Denn für mich war das kein Ausrutscher. Es war eher wie eine kleine Spontanaktion, die man später bereut, weil man erst im Nachhinein realisiert, dass man einen großen, fetten Stein ins Rollen gebracht hat, der besser oben auf dem Hügel geblieben wäre.

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