Kapitel 44

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Sidon

Ich weiß, ich sollte Nein sagen.

Nein zu allem.

Dem Tanz. Der Vertrautheit zwischen uns. Der aufkommenden Nähe.

Doch der Rest von mir schreit mit einer Inbrunst Ja, die alle anderen Impulse unter sich begräbt und meinen mickrigen Widerstand zu Staub zerfallen lässt.

»Gern«

Die Worte sind draußen, bevor ich sie aufhalten kann und ich sehe wie erstarrt zu wie Colton sich erhebt. Auf einmal bin ich schrecklich nervös. Der Moment kommt mir schon jetzt viel zu gewichtig vor, doch ich kann den Augenblick nicht mehr aufhalten. Ich weiß, ich sollte mich ebenfalls erheben, aber stattdessen durchsuche ich meinen Verstand nach einer Möglichkeit zu unserer vorherigen Lässigkeit zurückzufinden.

»Woher willst du eigentlich die Musik hernehmen? Ich hoffe, dein Plan hängt nicht davon ab, dass ich Spotify auf meinem Handy öffne. Das habe ich nämlich im Hotelzimmer gelassen«

Okay, guter Zug, Sidon. Zerschlag die romantische Stimmung mit deiner Logik!

Mittlerweile ist Colton auf meiner Seite des Tisches angelangt und mein Herz schlägt noch ein bisschen schneller, als er mir ein verheißungsvolles Lächeln schenkt.

»Nur weil, ich selten etwas Romantisches plane, bin ich noch lange kein Amateur. Und jetzt komm. Dort drüben wird man die Musik am besten hören«

Ohne Vorwarnung greift er nach meiner Hand und führt mich in die Nähe einer Baumreihe. Mein Blick gleitet zu unseren verschränkten Fingern hinab und obwohl die Geste nicht einmalig ist, erkenne ich doch eine gewisse Schönheit darin. Es hat nichts mit dem atemberaubenden Anblick eines Kunstwerks oder einer Landschaft gemein. Es erinnert mich eher an das verrückte Gefühl, wenn man nachts zwischen elf und Mitternacht Dinkelplätzchen backt und man zwischen dem Zusammenmixen und Ausstechen darauf wartet, dass der Teig gärt. Es ist irgendwie alles falsch und gleichzeitig kommt es einem in diesem Moment goldrichtig vor. Ich denke, echte Schönheit umschließt oftmals die verrücktesten Dinge.

»Ich habe übrigens noch etwas zu unserer Kochdiskussion von vorher hinzuzufügen«, rutscht es mir heraus und das Grinsen auf meinem Gesicht ist schon jetzt so breit, das es wehtut.

»Erinnerst du dich noch an das eine Mal, als du dachtest der Plätzchenteig muss eine halbe Stunde gären, weil du zu faul warst, das Rezept richtig zu lesen? Und du die Schüssel dann zwischen die Schenkel genommen hast, um den Teig wie ein schlüpfendes Hühnerküken warm zu halten? Ich finde allein das reicht aus, um allen hier zu bestätigen, dass du auch nicht viel besser in der Küche zugange bist als ich«

Das ist der Moment, in dem Colton loslacht, als wäre der Clown, den er heute Morgen gefrühstückt hat, plötzlich in ihm hochgekrochen. Keine Sekunde später steige ich in das Lachen mit ein, obwohl ich gar nicht sagen kann, warum eigentlich. Vielleicht liegt es daran, dass C. damit angefangen hat und sein Lachen schon immer ansteckend war. Vielleicht sind es die Nachwirkungen, die die Erinnerung an gärenden Teig in mir ausgelöst hat. Oder – am liebsten würde ich hier eine Steigerung von vielleicht einfügen – wir sind beide soziale Versager, die gleich in hysterisches Lachen ausbrechen, wenn eine ernst zu nehmende romantische Stimmung aufblüht.

»Hey, das Rezept war einfach schlecht! Außerdem hat es dem Teig überhaupt nicht geschadet!«, protestiert Colton, doch ich schüttele nur mit dem Kopf als wäre er geisteskrank.

»Hätten wir den Teig nicht doch noch in den Kühlschrank gestellt, wäre irgendwann nur noch Teigbrühe übriggeblieben. Ich hätte ja liebend gerne beobachtet wie du daraus Formen ausstichst, aber ich wollte lieber vor drei Uhr morgens fertig werden«

Songs, rockstars and the fucking pastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt