Kapitel 61

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Colton

Mein Körper steht während der ganzen Rettungsaktion unter Strom. Ich kann es kaum erwarten von hier wegzukommen und die nackten Betonwände zurückzulassen. Ich hoffe, nie mehr zurückkehren zu müssen, aber ich fürchte, das werde ich. Es kommt mir absolut unmöglich vor, dass diese Entführung spurlos an mir vorüber zieht. Das bedeutet, dass die Erinnerungen mich verfolgen werden – auf die eine oder andere Weise.

Ich werde von einem kleinen Polizistenteam nach draußen geführt und die Sonne blendet unangenehm in meinen Augen. Trotzdem genieße ich den ersten frischen Atemzug seit Stunden. Es ist vorbei. Der Täter hat mich tatsächlich gehen lassen...

»Colton!«

Mit einem Ruck drehe ich mich zu der Stimme um, die mir vor wenigen Minuten Hoffnung eingehaucht hat. Ich wusste, dass ich rein objektiv betrachtet, zuerst die Polizei hätte verständigen sollen, aber ich konnte nicht warten. Ich musste Sidons Stimme hören. Und jetzt steht sie wieder vor mir. Live und in Farbe.

Ein warmes Gefühl breitet sich in meiner Brust aus und verscheucht die Kälte, die ihre Klauen in mich geschlagen hat. Sidon und ich sehen uns über den Platz hinweg an und es ist als würde ihr Blick mich zurück in die Welt der Lebenden holen. Meine Lippen verziehen sich zu einem erleichterten Lächeln. Denn sie hier zu sehen, lässt mich endgültig begreifen, dass ich die Stunden in der Hölle überlebt habe.

Ro erwidert mein Lächeln nicht. Sie ist zu beschäftigt damit, mich anzustarren und trotzdem leuchtet mir aus ihrer Miene freudige Erleichterung entgegen. Unentwegt schüttelt sie den Kopf, als könne sie nicht glauben, dass ich lebend vor ihr stehe. Und dann sprintet sie los.

Sidon wird zu einem einzigen flatternden Schweif aus Haaren und ich schaffe es gerade mal, ihr ein paar wackelige Schritte entgegenzukommen, als sie schon direkt vor mir steht. Ich weiß nicht, wann wir beide unsere Arme ausgebreitet haben, aber plötzlich fliegt alles an seinen Platz. Ihre Hände legen sich auf meinen Rücken und drücken mich an sich. Meine Nase landet in ihrem Haar und ich atme ihren Duft so tief in meine Lungen ein, als würde ich die Mischung aus Rose und Sommertag zum allerersten Mal riechen.

Tränen laufen mir über die Wangen, während ich meine eigenen Hände über ihren Rücken gleiten lasse. In kreisenden Bewegungen streichen sie darüber, weil ich alles fühlen muss. Weil ich vollkommen im Moment sein möchte. Weil ihre Nähe mich davon abhält gedanklich an diesen einsamen, grauen Raum zurückzukehren, den ich mit meiner Angst verpestet habe.

Sidons Körper zittert unter meinen Händen und ihr Schluchzen dringt an mein Ohr. Kleine, freudige Laute, die begleitet werden von Tränen, die nasse Flecken auf meinem T-Shirt hinterlassen. Am liebsten würde ich ewig hier stehen bleiben und sie festhalten, also tue ich es. Ich lasse mich in ihren Armen fallen, während wir beide die Angst der letzten Stunden ausheulen und ein Wiedersehen feiern, das wir beide angezweifelt haben. Ich weiß, dass ich nicht der einzige bin, der gelitten hat. Ich spüre es in jedem ihrer Gesten. In der Art wie sie ihre Hände in mein T-Shirt krallt, als könnte ich mich einfach wieder in Luft auflösen. In den unsteten Atemzügen und der Dringlichkeit, mit der sie mich festhält. Genauso drängend klammere ich mich an sie.

Ich liebe dich, würde ich ihr am liebsten ins Ohr flüstern und obwohl ich mir fest vorgenommen habe, es ihr zu sagen, weiß ich, dass es nicht fair wäre, diese Bombe gerade jetzt über ihrem Kopf platzen zu lassen. Und ehrlich gesagt, schaffe ich es genauso wenig, diese gewichtigen Worte gerade jetzt aus mir herauszulocken. Doch das ändert nichts daran, dass ich mir wünschte, sie würde es bereits wissen. Ich will nicht noch einmal bereuen müssen, es ihr nicht gesagt zu haben...

»Ich hab dich lieb« Es ist nicht ganz das was ich sagen wollte, aber es kommt dem schon sehr nahe.

»Ich hab dich lieb«, flüsterte Sidon zum gleichen Zeitpunkt in mein Ohr und dieses Unisono reicht aus um mir ein befreites Grinsen zu entlocken.

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