Sidon/fünf Jahre zuvor
Ich hasse diese Tischdecke. Von dem feierlichen Rotton bis hin zu dem winzigen Rote-Beete-Fleck, der mich an Flors Schöpfunfall an Heilig Abend erinnert. Jetzt ist wieder der 24. Dezember, aber mich durchströmt weder Freude noch empfinde ich genug Appetit, um etwas von der Suppe herunterzuwürgen. Der Kontrast könnte nicht größer sein, denn vor ein paar Jahren freute ich mich bereits den ganzen November lang auf die Festtage. Doch seit meine Schwester nicht mehr da ist...
»Ich hoffe, Sidon weiß sich morgen zu benehmen. Ihr unhöfliches Verhalten ist eine echte Plage«, donnert plötzlich die Stimme meines Vaters durch das Esszimmer und ich zucke automatisch zusammen. Man sollte meinen, dass ich mich nach eineinhalb Jahren daran gewöhnt habe, wie ein lebloses Möbelstück behandelt zu werden, aber so ist es nicht. Es schmerzt immer noch und ich kann die zischende Stimme nicht unterdrücken, die mir zuflüstert, dass er Flor nicht so behandeln würde, wenn sie meinen Tod zu verschulden hätte.
»Keine Sorge, ich bin mir sicher, sie reißt sich zu den Festtagen zusammen« Meine Mutter hat diese unglaublich passive Art entwickelt mich zu verteidigen und manchmal frage ich mich, ob sie mir überhaupt helfen möchte oder nur die Zusprecherin für meinen Vater spielt. Ich jedenfalls finde, dass es nicht als unhöflich gelten sollte, wenn ich meinem Vater eine direkte Frage stelle.
Lustlos stochere ich in meiner Suppe herum und frage mich, wie lange meine Eltern wohl noch brauchen bis sie aufgegessen haben. Es ist bei jedem Abendessen das gleiche. Sieben Tage die Woche essen wir um sechs Uhr zu Abend und nicht einmal die Apokalypse würde verhindern, dass wir diese Routine unterbrechen. Da können noch so viele Zombies gegen unsere Fenster trommeln, wir würden trotzdem hier sitzen und uns durch die angespannte Atmosphäre quälen. Kein Wunder, dass in meinem Kopf ein ungeduldiger Countdown beginnt, sobald meine Pobacken den Stuhlbezug berühren.
»Ach ja? Und woraus schließt du das Liebes? Sicher nicht aus dem letzten Jahr, in dem sie es beinahe geschafft hätte, einen Streit anzuzetteln und während des gesamten Essens dreingeschaut hat wie eine bockige Ziege. Und so etwas zur Feier von Christis Geburt!«
Meine Hand unter dem Tisch ballt sich zu Fäusten, während sich die andere um den Löffel verkrampft. Aus Erfahrung weiß ich, dass kein verbaler Angriff auf meinen Vater ihn dazu bringen wird, direkt mit mir zu reden oder mich auch nur anzuschauen. Ich habe es oft genug versucht und ehrlich gesagt bin ich es leid, diese herben Enttäuschungen einstecken zu müssen.
Um mich abzulenken, denke ich an den Weihnachtsbaum, den Colton und ich nun zum zweiten Mal in Folge gekauft und in seinem Zimmer aufgestellt haben. Es ist ein hässliches, dürres Ding mit unregelmäßigen Ästen und stand ganz hinten in der Ecke des Verkaufstandes. Und genau deshalb lieben wir beide diesen Baum abgöttisch und mussten ihn einfach haben, denn wenn wir ihn nicht gekauft hätten, würde er wohl immer noch dort stehen. Colton und ich wissen beide wie einsam man sich zu den Festtagen fühlen kann, also ist es nur fair, wenn wir diese Tanne vor ihrem Schicksal bewahren und ihr ein schönes Weihnachten schenken.
Stille breitet sich im Raum aus, da meine Mutter wie so oft kleinbeigibt und im Schweigen versinkt.
»Ich wünschte wirklich Flor wäre hier«, murmelt mein Vater vor sich und die Mischung aus Schmerz, Trauer und Bedauern jagt mehrere Dolche in mein Herz, »Sie hat unser Weihnachtsfest jedes Jahr aufs Neue erhellt, so wie sie jeden einzelnen Tag mit ihrem Licht gefüllt hat... Gott, hab sie selig«
Wenn meine Muskeln sich zuvor verspannt anfühlten, wirkt es jetzt so als würden meine Knochen vor Anspannung jeden Moment zu splittern beginnen. Mein letzter gegessener Löffel ist sicherlich schon fünf Minuten her und ehrlich gesagt bin ich froh darüber. Ansonsten würde sich die Brühe gerade wieder meinen Hals hinaufkämpfen und den Knoten ablösen, der dort sitzt.
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Songs, rockstars and the fucking past
Romance,,Wir waren ein Team. Verkorkst, zerbrochen und derartig scharfkantig, dass sich jeder andere an uns geschnitten hätte. Und dann hat er unsere Verbindung in einer Nacht den Höllenhunden zum Fraß vorgeworfen und mich weinend daneben liegen lassen." Z...