Kapitel 9

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Sidon

Es ist so weit. Drei Wochen habe ich erfolglos damit verbracht meine bevorstehende Zeit in L.A an den Rand meines Bewusstseins zu schieben. Ich wurde nächtelang von Horrorszenarien heimgesucht und redete mir ein, dass meine Showbusiness-Zeit noch in weiter Ferne liegt. Und jetzt werde ich mit einem heftigen Wums von der Realität zu Boden gerammt: Ich habe nicht nur Coltons irrsinniges Angebot angenommen und einen Vertrag unterschrieben, mein Flug nach L.A findet genau heute statt.

Mein Magen zieht sich vor Nervosität zusammen und ich muss mir immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass diese Reality-Show unser Schuldenproblem in Luft auflösen wird. Mrs. Shine hat nicht gelogen, „Trust again" bezahlt ihren Kandidaten ein hübsches Sümmchen.

Doch leider schafft es das winkende Geld nicht, meinen inneren Orkan zur Ruhe zu zwingen. Gedanken rund um Coltons Unausstehlichkeit und den Reality-Show-Dschungel, den ich bewältigen muss, rasen von einer Hirnwindung zur nächsten. Mittlerweile lässt der Name der Regisseurin mir einen Angstschauer über den Rücken laufen. Denn ein einziger Blick auf das fröhliche Dauerlächeln und das begeisterte Glitzern in ihren Augen sagt mir, dass sie glaubt, Colton und mich auf den Pfad der Liebe führen zu können. Ich werde diesem Kotzbrocken also näher kommen als gut für mich ist.

Wahrscheinlich plant Mrs. Shine bereits, wie sie dem entfachten Social-Media-Feuer immer genug Brennholz in den Rachen schieben kann. Ich kann immer noch nicht fassen, dass #Silton genauso zum Trendhashtag wurde wie #Sidon-Lanford-Trust-Again. Es gibt viele Dinge, die mich am Verstand der Menschheit zweifeln lassen und dieser Vorfall hat sich weit oben in meiner Liste eingereiht.

Ich meine, haben die schon einmal daran gedacht, dass es einen triftigen Grund dafür gibt, dass Coltons und meine Wege sich getrennt haben? Und zwar einen, der sich nicht durch Kameras, Regieanweisungen und der „Magie" des Fernsehens überwinden lässt?

Verdammt, ich glaube, ich kann das nicht. Mein Magen schlägt Purzelbäume und sorgt dafür, dass die Übelkeit ihre Krallen in mich schlägt. Mein Herz verliert bald den Marathonlauf gegen meinen Körper, weil ihm bei dem schnellen Tempo bald die Puste ausgehen muss. Vielleicht sollte ich einfach wieder umkehren. Sechs Wochen Colton und ungewollter Ruhm im Reality-Show-Business übersteigen meinen Nervenvorrat.

»Ich kann nicht fassen, dass du nach L.A fliegst, um es im Fernsehen krachen zu lassen! Bin ich eine schreckliche Tante, wenn ich einen Funken Stolz empfinde?« Die Frage von Tante May reißt mich aus meinem Gedankenkarussell und setzt mich mental wieder am Flughafen ab, der mich mit seinen Sinneseindrücken überrollt. Eine Masse aus geschäftigen Menschen wogt um mich herum und alle scheinen dringend irgendwo hin zu müssen. Telefonate werden geführt, Umarmungen ausgetauscht und Taschen geschleppt. Der Geruch nach Kaffee weht einem aus dem nahegelegenen Starbucks entgegen und mischt sich mit fettigem Fast Food und sich verändernden Parfumnoten.

»Du wolltest mich schon seit ich ein kleines Kind bin zu irgendwelchen Dummheiten verführen. Ich habe diese Bekundung vermutlich schon erwartet«, erwidere ich mit einem breiten Lächeln, das irgendwo zwischen herausfordernd und Oh-mein-Gott-ich-kann-das-nicht liegt.

»Hey, ich wollte nur, dass du etwas lockerer wirst und deinen eigenen Kopf entwickelst. Und jetzt drück mich bitte noch kurz, bevor du ins Flugzeug steigst. Ich werde dich schrecklich vermissen. Ach, und pass auf dich auf! Ich weiß, es ist dir mehr als bewusst und dieser Satz ist vollkommen überflüssig, aber ich vertraue diesem Colton nicht. Er hat dich schon einmal verletzt und wenn er so selbstsüchtig drauf ist wie du erzählt hast, dann wird er es wieder tun. Richte ihm also von mir aus, dass ich stolze Besitzerin eines Bügeleisens bin und keine Angst habe es zu benutzen!«

Die Vorstellung von Tante May, die Colton mit einem heißen Bügeleisen attackiert sorgt dafür, dass ich gleichzeitig auflachen und eine Träne unterdrücken muss. In diesem Augenblick wird mir schmerzlich bewusst, dass ich sechs Wochen am anderen Ende des Landes verbringen werde und weder Tante May noch Avel vor ort sind, um den Horror mit mir durchzustehen.

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