Asteria
Ich richte meine lang geflochtenen Boxerbraids nach hinten, als ich mein Spiegelbild mustere. Der süß-scharfe Duft von teurem Parfüm liegt schwer in der Luft. Wie eine letzte Schutzschicht vor der Nacht.
„Findest du das Top nicht doch ein bisschen nuttig?", fragt Jess leise, mit diesem Anflug von Unsicherheit, der ihr sonst fremd ist. Sie zupft an dem knappen Stoff herum, der gerade so ihre Oberweite bedeckt. Sie sitzt auf dem Klodeckel und sieht durch den Spiegel zu mir. Ich lege den Kopf schief.
Sie sieht umwerfend aus. Selbst wenn es zu viel sein sollte, bei ihr wirkt es nie billig. Sie ist Jess. Ihr steht einfach alles. Manche Menschen haben dieses Talent.
Ich stemme eine Hand in die Hüfte und sehe sie mit einem schiefen Lächeln an.
„Jess, du siehst umwerfend aus. Hör auf, mich das alle zwei Minuten zu fragen, wirklich, es gibt keinen Grund zur Panik."
Ihr Outfit, ein sexy abgewandelter Ghostbusters-Anzug, trifft den Dresscode der Party auf den Punkt. Sie hatte mir erzählt, dass sie es selber an sich angepasst hat. Ich selbst habe mir ein gebundenes Oberteil von ihr geliehen, weil ich heute mal ausgefallen aussehen will. Ein schwarzer Jeansrock, zerrissene Netzstrumpfhosen und klobige Stiefel.Lange habe ich mich nicht mehr in so enge Klamotten gezwängt. Jess hat mich überredet. Natürlich. Wer auch sonst. Sie meinte, dass sie gar nicht mehr weiß, wie ich aussehe, wenn ich mal nicht Pullover oder weite Hosen trage. Ich habe bei unserem vorherigen Telefonat über die Aussage lachen müssen, bevor ich zu ihr gefahren bin, um mich zu richten.
Normalerweise bin ich eher Team Baggy-Look, oversized, bequem und vor allem unauffällig. Und günstig. Sehr günstig. Früher habe ich sogar Kleidung gestohlen. Nicht aus Rebellion, sondern weil es nicht anders ging. Heute mache ich das nicht mehr. Hauptsächlich, weil Jess so viel online bestellt, dass ständig Sachen bei ihr landen, die sie nie trägt. Ich erbe ihre Fehlkäufe und bin verdammt dankbar, wenn ein Kleidungsstück zu meiner Form passt. Zusätzlich greife ich auf die Klamotten meines Onkels zurück. Nicht so cool, ich weiß. Er beschwert sich aber auch nie.
„Warum trägst du kein Kostüm?", fragt Jess. Sie lehnt sich zurück und macht es sich bequem. Ihre Stimme ist plötzlich fester, wie jemand, der sich traut, nach dem Warum zu fragen. Mein Finger gleitet über den Rock, um einen Fussel zu entfernen. Dann trage ich vorsichtig Lipgloss auf, bevor ich antworte. „Ich hatte nichts da und konnte so schnell keins besorgen", lüge ich. Routiniert. Geübt. Eigentlich nichts neues für mich. Lieber so, als die bittere Wahrheit erzählen zu müssen.
In Wahrheit war es zu teuer und zu kompliziert. Ich wollte nicht noch einmal nach Hilfe fragen. Nicht schon wieder. Das wäre mir zu unangenehm gewesen.
„Warum hast du nichts gesagt? Ich hätte dir eins geliehen."
Ich sehe an mir herab, dann wieder zu ihr. Ihre Beine sind lässig übereinander geschlagen, die hohen Schuhe mit dem kleinen weißen Geist an der Seite sehen süß aus. Sie wirkt so leicht in ihrem Leben. Alles steht ihr offen. Sie kann man nur lieben. Kein Wunder dass Daxton so auf sie abfährt. Sie ist das Sonnenlicht, an einem trüben Tag, mit einer Prise schlechten Witzen und einem breiten Lächeln auf dem Gesicht.
Ich beneide sie. Nicht aus Neid, sondern eher aus Sehnsucht. Jess ist warm, großzügig, fast naiv in ihrer Hilfsbereitschaft. Aber sie kann nicht nachvollziehen, wie es ist, wenn man zu oft das Gefühl hatte, zu viel zu nehmen. Ich wollte sie nicht wieder bitten. Das wäre unhöflich, meiner Meinung nach. Sie hat schon so viel für mich getan. Ich will sie nicht ausnutzen oder ihr das Gefühl dazu geben. So bin ich einfach nicht.

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𝑩𝒆𝒕𝒘𝒆𝒆𝒏 𝒚𝒐𝒖 𝒂𝒏𝒅 𝒎𝒆
Romance„𝑺𝒂𝒈 𝒎𝒊𝒓, 𝒘𝒊𝒆 𝒅𝒖 𝒅𝒊𝒄𝒉 𝒇ü𝒉𝒍𝒔𝒕", höre ich seine Stimme, leise und eindringlich. Ich suche nach einer Antwort, doch mir fehlen die Worte. Sein weiterer Stoß wird tiefer und ich stöhne ein weiteres Mal widerwillig. „Wenn du mir nicht...