29. Pennywise

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Ich richte meine langengeflochtenen Boxerbraids nach hinten, als ich mich im Spiegel ansehe. Der Duft von teurem Parfüm liegt in der Luft.

"Und du findest das Top auch nicht zu nuttig?", fragt Jess verunsichert. Sie zupft mit ihren langen Fingern an dem engen Oberteil herum, dass knapp ihre Oberweite bedeckt. Sie sieht in ihrem Outfit wunderschön aus. Und selbst wenn es nuttig aussehen sollte, sieht sie toll aus. Ihr steht alles.

Ich stemme eine Hand in die Hüfte und sehe zu ihr. "Du siehst richtig gut aus, Jess. Hör auf mich das ständig zu fragen, da es wirklich keinen Grund gibt dafür." Sie ist dem Dresscode gefolgt und trägt einen abgeänderten Anzug der Ghostbusters. Ich sehe wieder in den Spiegel. Mein gebundenes Oberteil habe ich mir von ihr geliehen, da ich mich heute herausputzen wollte. Ich trage einen Lederrock, schwarze Stiefel und Netzstrumpfhosen. Lange hatte ich mich in so enganliegende Sachen nicht mehr gezwungen. Jess hatte mich aber dazu überredet.

Ich rocke sonst ganz gern den Baggylook. Bequem und günstig. Die Betonung liegt auf das letztere, da ich damals sogar Kleidung aus Läden gestohlen habe, weil das Geld nicht reichte. Nun tue ich das nicht mehr, weil Jess gerne online shoppen ist und nicht alles trägt was sie zum Schluss kauft. Meistens aber trage ich die Klamotten meines Onkels. Gar nicht komisch oder so. Er hatte sich darüber aber noch nie beschwert.

"Warum trägst du kein Kostüm?", fragt sie dann entschlossener und setzt sich auf den Klodeckel. Ich trage vorsichtig Lipgloss auf bevor ich mich wieder zu ihr wende. "Ich hatte nichts da und konnte so schnell keins besorgen", lüge ich gekonnt, wie sonst auch. In Wahrheit war es mir viel zu teuer und zeitaufwendig.

"Warum hast du nichts gesagt? Ich hätte dir eins geliehen." Ich sehe an mir herab, dann wieder zu ihr. Ihre Beine sind verschränkt und sie trägt an den Füßen hohe Schuhe mit Absatz, die mit einem Geist versehen sind.

Ich beneide sie, dass sie so lieb und zuvorkommend ist, dennoch ist es mir peinlich zuzugeben, dass ich schon so viele Klamotten von ihr bekommen habe, das ich nicht ein weiteres Mal fragen wollte. Sicher verliert sie darüber keinen Gedanken, da ihre Eltern ein gutes Einkommen haben und sie als Einzelkind verwöhnen. Ich verurteile sie nicht, bloß kann sie sich in meine Position nicht hineinfühlen.

Ich schüttle zwingend den Kopf.

"Alles gut, Jess."

Ein lautes Klopfen erklingt plötzlich an der Badezimmertüre. Sie erhebt sich ruckartig vom Klodeckel und ich packe meinen Lipgloss wieder in meine Bauchtasche. "Wie lange dennoch? Ich pisse mir sonst noch in die Hose und dann seid ihr beide dafür verantwortlich!", hören wir durch die Türe rufen. Jesslyn kichert laut los und öffnet die Türe.

"Übertreib nicht, dass waren nun nicht Mal mehr als fünf Minuten Kyrian."

Er zieht eine Grimasse und drängt sich an ihr vorbei mit einem weißen Plastikbecher in der Hand den er fast vor Eile verschüttet. Jesslyn verdreht die Augen und greift nach meinem Arm um mich aus dem Badezimmer zu zerren. "Komm, gehen wir da hin, wo der Spaß und der Alkohol auf uns wartet", sagt sie mit einem Augenzwinkern. Ich löse mich von ihrem Griff und streiche mir unauffällig über die Stelle an der sie mich angefasst hatte. Ich mag solchen plötzlichen Körperkontakt nicht. Umarmungen reichen mir, um meine Geduld zu strapazieren. Du stellst dich echt an. Ich fühle aber so.

"Ganz schön was los hier. Ich dachte das wird nur eine kleine Party unter Freunden?", frage ich sie, als wir das Halloween umdekorierte Wohnzimmer erreichen. Alle diese Leute hier, die ich gar nicht kenne. Taylan kommt uns entgegen. Gerade als Jess antworten möchte, unterbricht er sie. Er muss fast schreien, da die Musik von den Boxen neben uns kommt.

"Na, wie findet ihr es bisher? Habt ihr Spaß?"

Er richtet seinen Kragen des Vampirkostüms. Natürlich. Ein Vampirkostüm, was denn auch sonst. Wir sind vor 15 Minuten angekommen und haben uns vorerst im Badezimmer vor den Jungs verkrochen. Sie spielen uns Streiche. Wie Kinder? Nein. Sie spielen uns richtig fiese Streiche.

𝑩𝒆𝒕𝒘𝒆𝒆𝒏 𝒚𝒐𝒖 𝒂𝒏𝒅 𝒎𝒆 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt