31. Berührung

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Asteria
"Das ist dein Auto?", frage ich ungläubig. Ich stehe auf einem Parkplatz in der Nähe eines Geschäftes und sehe einen dunkelgrünen Jeep vor mir. Das Auto ist riesig. Darin könnte man eine Familie unterbringen, inklusive einem Hund.

"Nein, ich bin mit dem Fahrrad hier her gefahren. Natürlich ist es mein Auto." Seine Stimme trieft vor Sarkasmus.

Ich weiß, dass er nur einen Witz gerissen hatte, aber tatschlich trifft mich dieser Vergleich mehr als er sollte. Ich verschränke meine Hände und Finger ineinander. Er öffnet das Auto und wir setzen uns. Autos verraten so viel über die Eigenschaften des Besitzers finde ich. Das Auto riecht nach Parfüm das seinem ähnelt und nach Vanille, was aus dem Lufterfrischer kommt. Und es hängen kleine Vögel aus Kunststoff vom Spiegel herunter. Ich weiß nicht was es ist, aber ihm sind diese Tiere wichtig. Ich habe sein Rabentattoo an der Schulter gesehen und manchmal sehe ich ihn Bücher lesen, die das Thema befassen.

"Im Handschuhfach hat es ein Navi, da kannst du deine Adresse eingeben." Ich greife danach und er startet den Motor währenddessen. Ich setze das Navi ab und erkenne wie er sein Handy mit dem Auto verbindet.

"Bist du angeschnallt?"

Überrascht sehe ich zu ihm. Er sieht starr gerade aus und fokussiert sich auf den Verkehr. Wieso wirkt diese normale Frage so viel persönlicher, als sie sollte? Vielleicht liegt es daran, wie er es ausgesprochen hatte. Sanft und umsorgend. Dreh nicht durch.

"Mache ich noch." Nachdem ich angeschnallt bin, verläuft die Fahrt ruhig. Im Hintergrund läuft leise Musik und vermischt sich mit dem Klang der Regentropfen die gegen das Autodach prasseln. Es hat leicht zu nieseln begonnen. Ich merke richtig, wie die Stille mir gut tut. Keine laute Musik und viel zu betrunkene Menschen um mich rum. Obwohl das eine Mädchen auf der Party ganz süß war. Wer auch immer sie war. Mein Blick fällt wieder zu ihm. Ich hasse es zuzugeben, doch sein Seitenprofil und die Art wie er die Hände um das Lenkrad hat, lassen mich ganz mulmig fühlen. Auf die gute Art und Weise.

"Wir sind da", meint er dann nach 10 Minuten. Er hält vor dem Haus von Ina und schaltet die Musik aus.

"Danke." Er winkt ab.

"War ich dir wegen den Nachhilfestunden schuldig."

Ich zwinge mich zu einem kleinen Lächeln und steige dann aus. Ich warte bis er wegfährt doch das tut er nicht. Wartet er darauf, dass ich im Haus unversehrt ankomme? Oder stalkt er mich? Ich sehe wieder nach vorne und klingle dann. Vielleicht muss er seine eigene Adresse noch eingeben, weil er sich in dieser Gegend nicht auskennt. Ich höre den Motor starten.

Als mir die Türe geöffnet wird entweicht mir die ganze Luft, die ich eben noch eingeatmet habe. Meine Knie geben ganz langsam nach und ich trete einen Schritt zurück. Mir ist so schlecht, dass ich am liebsten weinen möchte vor Schreck. Ich halte mir die Hand an meinen Bauch.

"Überraschung! Komm doch rein, es regnet Schatz."

Meine Mutter steht in einem Kleid vor mir und hält ein Weinglas in der einen Hand. Sie sieht mir ähnlicher, als ich in Erinnerung habe. Ich will etwas sagen, sie anschreien, doch ich bekomme kein Wort heraus. Im Hintergrund sehe ich, wie Jean auf uns zukommt. Er wusste davon und hatte es mir verheimlicht. Ich empfinde gerade so viele Emotionen, dass ich sie nicht alle fassen kann. Wütend und hintergangen. Traurig und Fassungslos. "Ich sagte doch, ich mache zuerst die Türe auf", redet er sie aufgewühlt an. Er wirkt betrunken, aber nicht so betrunken wie sie. Mir wird kotzübel. Ich muss hier weg.

Ich bin im falschen Film. Er drängt sie zur Seite und will nach meiner Hand greifen doch ich weiche sofort aus. "Wie konntest du nur", bringe ich es gerade noch hervor, als meine Stimme bricht. Jean verzieht das Gesicht. Von all den Menschen, die mir wichtig sind, hat er mir das angetan. Hat sie hierzu eingeladen und es mir verschwiegen. Und das obwohl er wusste, wie ich zu meiner Mutter stehe.

𝑩𝒆𝒕𝒘𝒆𝒆𝒏 𝒚𝒐𝒖 𝒂𝒏𝒅 𝒎𝒆 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt