3. Chaos

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Asteria

Fahrig fahre ich durch meine schwarzen, beinahe unendlich langen Haare und lasse sie langsam vor meinem Gesicht in Strähnen herabfallen. Ich langweile mich. Biologie mag ich eigentlich, doch das aktuelle Thema ist so öde und zäh, dass ich mich verzweifelt nach Ablenkung sehne. Sekunde um Sekunde zähle ich bis zur Pause, um dem Unterricht zu entkommen und endlich nichts mehr über Hormone hören zu müssen.

„Miss Amnick, nicht herumträumen!", ermahnt mich der Lehrer. Ich reiße meinen Blick von meinen Haaren los und sehe zu ihm hinüber. Er lehnt sich lässig an den Tisch und schaut mich herausfordernd an. „Tue ich nicht", entgegne ich wahrheitsgemäß. Ein leichtes Lächeln huscht über sein Gesicht. Er blickt zur Tafel, auf der eine Tabelle aufgezeichnet ist, und fragt schließlich, während er wieder zu mir schaut: „Wenn das so ist, dann erklären Sie uns doch bitte das Schlüssel-Schloss-Prinzip." Seine Stimme klingt überlegen und besserwisserisch, was mich aufrecht sitzen lässt. Ich werde mich von ihm nicht kleinmachen lassen. Ich streiche mein zerzaustes Pony aus dem Gesicht, senke kurz meinen Blick auf meine Hände und hebe ihn dann entschlossen.

Im Hintergrund höre ich Daxton leise lachen. Ich bin mir sicher, er glaubt, das sei Karma, weil ich ihn vorhin fast ausgelacht hätte. Wahrscheinlich rechnet er jetzt damit, dass ich mich blamiere. Aber er irrt sich gewaltig. Ich benetze unauffällig meine Lippen, bevor ich anfange zu sprechen.

„Damit Hormone über den Blutkreislauf zu ihren Zielzellen gelangen können, müssen diese spezielle Rezeptoren haben. Nur so können sie erkannt werden. Hormone und die Rezeptoren der Zielzellen passen genauso perfekt zusammen wie ein Schlüssel in ein Schloss. Daher kommt der Name Schlüssel-Schloss-Prinzip." Ich beende meinen langen Satz und sehe, wie der Lehrer stolz lächelt, während ich nur seufze.

Mr. Ryland kennt mich. Er weiß, dass ich dieses Fach beherrsche. Er wollte es bloß aus meinem Mund hören, bevor er zufrieden ist. Nun spüre ich jedoch wieder die neugierigen Blicke meiner Mitschüler auf mir und verdrehe genervt die Augen, als ich Daxtons grinsendes Gesicht entdecke. Er wusste genau, dass ich es schaffen würde, und macht sich nun darüber lustig, wie erstaunt die anderen mich anstarren, vermutlich, weil sie mich für dumm gehalten haben. Er hat das Ganze nur inszeniert, und ich bin darauf hereingefallen. Mal wieder.

Ich drehe mich um und werfe denjenigen, die mich anstarren, einen grimmigen Blick zu. „Hört auf, mich so anzustarren, und kümmert euch um euren eigenen Mist!", fauche ich sie an. Es nervt mich, Löcher in den Rücken gestarrt zu bekommen. Nur weil man an diesem Internat als Rebell gilt, heißt das nicht, dass man keinen Verstand hat. Wir brechen Regeln bewusst, nicht aus Dummheit. Zumindest die meisten von uns. Taylan wäre da eine Ausnahme.

In diesem Moment klopft es an der Tür, und Accio und Lilac stürmen gehetzt herein. „Der Bus hatte Verspätung", erklärt Lilac und setzt sich vor mich, wobei sie mir kurz zuwinkt. Ich lächle leicht zurück. Accio nimmt einen Platz neben ihr ein, und ich richte meinen Blick wieder nach vorne. Der Lehrer lobt mich noch einmal, bevor er den Unterricht fortsetzt und sich der Tafel zuwendet. Nach einer gefühlten Ewigkeit erlöst uns endlich die Pausenglocke. Erleichtert atme ich auf. Es wurde auch Zeit. Wäre die Stunde noch länger gegangen, hätte ich den Raum wahrscheinlich einfach verlassen und dafür Nachsitzen riskiert, was ich mit einem Schulterzucken abgetan hätte. Manchmal kann Nachsitzen wirklich entspannend sein, wenn der richtige Lehrer dabei ist. Ansonsten macht es aber auch keinen Spaß.

„Haben wir irgendetwas Wichtiges verpasst?", fragt Lilac, während wir den Flur entlang in Richtung Cafeteria laufen. Mein Magen knurrt, und ich will einfach nur etwas essen. „Ja, leider konntet ihr nicht sehen, wie sie Mr. Ryland in Stücke zerlegt hat, als er dachte, sie hätte nicht aufgepasst", grinst Daxton breit. Lilac schaut erstaunt, während Accio eine helle Braue hebt und mich anstupst. Ich bleibe kalt und sehe geradeaus. Natürlich musste Daxton aus der Sache ein großes Ding machen. „Stimmt das?", fragt Accio direkt. Ich nicke nur leicht. „Nicht schlecht", kommentiert er trocken. Er weiß, dass ich Lob nicht ausstehen kann.

𝑩𝒆𝒕𝒘𝒆𝒆𝒏 𝒚𝒐𝒖 𝒂𝒏𝒅 𝒎𝒆Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt