49. Glas

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Damino

"Verzeihen Sie die Verspätung Miss Petch", sage ich und überreiche die Unterlagen. Die korpulente Frau nimmt den dünnen Umschlag entgegen und schüttelt lächelnd den Kopf.

"Das macht doch nichts, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie für ihren Vater eingesprungen sind. Er hat eine Pressekonferenz richtig?"

Ich sehe mich im großen gläsernen Haus um und nicke. "Tatsächlich ja, er hatte mich kurzfristig geschickt, weshalb ich mich etwas verspätet habe. Soll ich ihm etwas von Ihnen ausrichten?", frage ich und richte meinen Kragen. Ich kann diese lästigen Anzüge nicht leiden. Sie fühlen sich wie eine zweite Haut an. Wie eine Sardinenbüchse. Absolut scheußlich.

"Nein, ich werde Ihm einfach eine Mail zusenden, aber sehr lieb von Ihnen Mr Remington", sagt sie und schenkt sich ein weiteres Glas Wein ein. Wir stehen im Wohnzimmer und es ist ziemlich still hier drinnen. Ob sie alleine wohnt? Ich kenne die Geschäftsleute meines Vaters kaum. Und normalerweise übernimmt mein Vater solche Besuche selber. Aber heute bin ich für ihn eingesprungen, weshalb ich es auch so eilig hatte. Tatsächlich wollte ich aber nicht aus dem Grund Asteria nach Hause fahren. Sondern weil mich der Gedanke gestört hatte, dass sie in meinem Auto ist ohne mich. Der Gedanke hatte mich so schnell eingeholt, dass als ich dann im Auto saß, meine Entscheidung fast bereut hatte.

Als ich dann aber ihr vor Nerven zusammen gezogenes Gesicht entdeckte, musste ich fast lachen. Sie war sogar so nervös, dass sie zu atmen aufhörte. Ihren Gesichtsausdruck hätte ich am liebsten eingerahmt. Ich war amüsiert.

Als Miss Petch mich zum Ausgang begleitet fällt mir eine Jacke auf, die ich selbst in hundert Jahren wiedererkennen würde. Ich halte inne und bleibe in der Bewegung stehen. Mit Edding ist die teure Jacke mit einem großen Stinkefinger beschriftet worden. Ich unterdrücke es seinen Namen auszusprechen, obwohl ich es am liebsten tun würde. In mir steigt eine plötzliche Euphorie auf, die mich überrascht. Ich hätte niemals gedacht, dass ich möglicherweise im Haus von Jack gelandet bin. Aus purem Zufall. Und dass es mich so sehr erfreuen würde.

"Entschuldigen Sie mich, aber könnte ich noch Ihre Toilette benutzen?", frage ich so höflich, wie mir möglich ist. Überrascht hebt sie ihre Braue in die Höhe, doch dann lächelt sie mich an. "Gerne doch, es gibt auf dieser Etage eine und zwei oben. Suchen Sie sich eine aus, ich werde kurz nach meinem Kuchen nachsehen, der noch im Backofen ist, ja?", meint sie und lässt mich im erhellten Flur zurück.

Sofort erklimme ich mit eiligen Schritten die Wendeltreppe und bleibe abrupt stehen, als ein Mädchen halb angezogen in mich rein rennt. Sie sieht erschrocken von ihrem Sneaker auf, den sie eben angezogen hatte und mich wahrscheinlich deshalb übersehen hatte. In der rechten Hand hält sie ihre Lederjacke und einen Pullover umklammert. Ihr Gesicht ist mir sogar bekannt. Sie war einer der Cheerleaderin, die mich auf das jährliche Basketballspiel eingeladen hat.

"Verzeihung", sagt sie eilig, bevor ich etwas sagen kann und drängt sich an mir vorbei. Ich gewähre ihr den Platz und schüttle nur den Kopf, als ich sehe, wie sie förmlich aus dem Haus flüchtet. Wie merkwürdig. Vielleicht seine Freundin? Nein, unmöglich. Sonst würde sie es nicht so eilig haben. Vielleicht sein One-Night-Stand, das würde eher zu ihm passen. Obwohl ich mir um Gottes Namen nicht vorstellen kann, dass jemand freiwillig mit ihm in die Kiste springen möchte.

Ich sehe mich um und bemerke ganz viele Vasen, die aus Glas sind und den Flur mit den entstandenen Lichtreflexen in bunte Farben schmücken. Möglicherweise ist sie auch nur hier gewesen, wegen seinem Reichtum. Hier ist fast alles aus Glas. Ich fühle mich wie in einem riesigen Goldfischglas.

Ich entdecke eine halb geöffnete Türe und vermute, dass das Jacks Zimmer sein muss. Alle anderen Türen sind sonst geschlossen und ich kann mir nur schlecht vorstellen, dass das Mädchen in ihrer Eile an die Türe gedacht hatte. Ich gehe mit langsamen Schritte auf die hohe Türe zu und sehe in das Zimmer. Die Sonne scheint so hell in dem Abteil des Hauses, dass ich kurz brauche, um zu erkennen, wer auf dem Bett mit dem Rücken zu mir gekehrt liegt. Angemerkt vollkommen nackt.

𝑩𝒆𝒕𝒘𝒆𝒆𝒏 𝒚𝒐𝒖 𝒂𝒏𝒅 𝒎𝒆Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt