POV: Emma
Bis zuletzt hatte ich eigentlich noch damit gerechnet, dass irgendetwas passieren würde, weshalb Annalena doch nicht mit mir mitfliegen könnte. Konnte mich erst nach dem Start etwas entspannen und so langsam realisieren, was hier gerade passierte. Ich war tatsächlich auf dem Weg in meine Vergangenheit, würde all die Leute treffen, von denen ich in den letzten Jahren nichts mehr gehört hatte, die wie Fremde für mich sein würden und sich trotzdem als meine Familie bezeichneten. Und obwohl mir die letzten Tage schon beim bloßen Gedanken daran übel wurde, fühlte ich mich nun doch irgendwie zufrieden. Zufrieden, weil Annalen neben mir saß, mich begleiten würde und der Rückhalt für mich sein würde, den ich so dringend gebrauchen konnte. Trotz meiner sonst so präsenten Flugangst musste ich unweigerlich schmunzeln als ich nach rechts sah. Annalena saß neben mir, schrieb noch ein paar E-Mails und kaute dabei angestrengt auf ihrer Unterlippe herum. Ich mochte den Anblick, hätte sie wahrscheinlich den ganzen Flug über einfach so beobachten können und mir wäre keine einzige Sekunde langweilig gewesen.
„Hab ich was im Gesicht Emmi?"
Ohne ihren Blick von ihrem Bildschirm abzuwenden fuhr sie sich durch die Haare, wartete auf irgendeine Art von Antwort von mir.
„Nö wieso?"
„Denk nicht, dass ich nicht merk, dass du mich die ganze Zeit anschaust. Ich leg den Laptop gleich weg, versprochen. Dann können wir zusammen einen Film schauen."
„Schon gut, ich schau dir einfach gerne beim Arbeiten zu. Das beruhigt mich irgendwie und ich hab das erste Mal beim Fliegen nicht das Gefühl gleich sterben zu müssen."
„Gestern Nacht hatte ich nicht ganz so eine beruhigende Wirkung auf dich."
Schmunzelnd klappte sie ihren Laptop zu, fuhr unsere Sitze anschließend in eine liegende Position.
„Das stimmt, aber was wir gestern gemacht haben können wir hier schlecht wiederholen. Leider."
Allein beim Gedanken an letzte Nacht breitete sich das Kribbeln in meinem Körper erneut aus und auch mein Unterleib meldete sich mit einem kräftigen Ziehen zurück.
„Hm wieso eigentlich nicht, ich wollte schon immer mal dem Mile High Club beitreten."
Ihr Unschuldsblick ließ mich kurz lachen. Ich wusste, dass sie ihre Aussage nicht ernst meinte, viel zu groß wäre das Risiko erwischt zu werden und dieser Skandal wäre wirklich nicht sehr förderlich für Annalenas Karriere als Außenministerin gewesen. Dennoch spielte ich ihr Spiel mit.
„So so würdest du das also gerne. Darf ich dich dann daran erinnern, dass die Sicherheitsleute und ich dich quasi dazu zwingen mussten überhaupt diese abgetrennten Business-Class-Sitze zu nehmen? Wenn es nach dir gegangen wäre würden wir irgendwo in der Economy Class sitzen. Dann bräuchtest du vor lauter Menschen nicht mal an diesen Club denken. Also sei zufrieden mit dem was du hast."
Sanft boxte ich sie in die Seite, nur um sofort von ihr in ihren Arm gezogen zu werden. Ihre Lippen trafen kurz auf meine, ließen mich wohlig seufzen und einfach nur dankbar sein für das, was mir das Leben geschenkt hatte.
„Na gut aber kuscheln werden wir ja wohl noch dürfen und zusammen Film schauen ist auch erlaubt."
Nachdem wir es uns gemütlich gemacht und uns für the greatest showman entschieden hatten, dauerte es nicht lange und sowohl Annalena als auch ich waren tief und fest eingeschlafen. Scheinbar holten sich unsere Körper nun den Schlaf zurück, den sie gestern nicht bekommen hatten. Wir beide, wir waren heute Nacht wie im Rausch gewesen, konnten einfach nicht genug voneinander kriegen, mussten uns einfach zeigen, wie sehr wie es schätzten einander zu haben. Die Welt hätte um uns herum untergehen können und wir hätten es wahrscheinlich nicht einmal gemerkt, hatten alle Aufmerksamkeit nur noch auf uns gerichtet. So war es wenig verwunderlich, dass nun weder die Essensausgabe noch der Getränkeservice uns wach bekommen hatte und so öffneten wir beide erst wieder die Augen, als unser Flugzeug am Rollfeld zum stehen kam. Rückblickend betrachtet war es nicht das schlechteste gewesen, dass wir einfach geschlafen hatten, so wirkten wir wenigstens den Jetlag etwas entgegen, der mir - anders als es bei Annalena der Fall war - in der Vergangenheit meist zu schaffen gemacht hatte. In Florida war es inzwischen 9 Uhr und nachdem mein Bruder uns vom Flughafen abholen würde, blieben uns noch etwa 4 Stunden bis die Trauerfeier starten würde und wir in die Welt der Montgomerys eintauchen würden.