POV: Emma
Schweren Herzens war ich direkt am nächsten Morgen losgefahren, brauchte einfach den Abstand zu all dem, was in letzter Zeit passiert war. Mein Bruder war zum Glück noch am selben Abend zum Flughafen aufgebrochen und wurde 12 Stunden später von meiner Großmutter in Empfang genommen. Seine Ausreden, die er mir vorher unbedingt noch aufschwatzen wollte, hatten mich keine Sekunde mehr interessiert, ich nickte zwar während er erzählte aber es war mir egal, welche Rechtfertigung auch immer er diesmal brachte. Angeblich hatte er Panik bekommen und wollte sich mit dem Joint etwas beruhigen, hatte anscheinend die Wirkung falsch eingeschätzt. Vielleicht war es wirklich so gewesen, vielleicht auch nicht. Es spielte keine Rolle mehr, er spielte keine Rolle mehr. Luis war weg und zurück blieb ein einziger Scherbenhaufen.
Natürlich hatte Annalena versucht mich zum Bleiben zu überreden und tief in meinem Inneren hätte ich nichts lieber getan, denn es hätte bedeutet, dass alles in Ordnung gewesen wäre. Aber das war es nicht. Nichts war in Ordnung und ich brauchte Zeit für mich, um herauszufinden wo wir standen. War ich wirklich so verantwortungslos, dass man mir nicht trauen konnte? War ich zu empfindlich und sollte mehr Verständnis für Annalena zeigen? Immerhin hatte sie Recht, ich hatte eine Vergangenheit, die genau in diese Kerbe schlug. Und mein Kind hatte ich ja schließlich wirklich mit jemanden alleine gelassen, der nie auch nur über Kinder nachdenken sollte.
Dass eine Diskussion keinen Sinn hatte, ich viel zu durcheinander war, spürte irgendwann auch Annalena. Ich hatte mich zu dieser Reise entschieden und würde sie nun auch durchziehen, auch wenn ich nicht abschätzen konnte wie lange sie dauern sollte. Genau das machte auch die Verabschiedung so unfassbar schwer. Es war uns beiden alles andere als leicht gefallen, denn es verdeutlichte nur wie schnell sich alles ändern konnte. Ich hätte nie gedacht überhaupt an diesen Punkt zu kommen, dachte wir wären so gefestigt, dass kein Sturm uns etwas anhaben konnte, und doch waren Mia und ich nun seit drei Tagen hier.
Es waren also mehr als 72 Stunden, in denen ich so gut wie keinen Kontakt zu Annalena gehabt hatte. Lediglich ein paar Bilder von Mia hatte ich ihr geschickt, sie war schließlich auch ihre Tochter und ich wollte sie ihr auf keinen Fall vorenthalten. Ansonsten aber beließen wir es dabei und vielleicht nutzte auch Annalena die Zeit um über alles nachzudenken. Es war der bisher längste Zeitraum in der so etwas wie Funkstille zwischen uns herrschte und der Schmerz nahm mit jeder weiteren Stunde nur noch mehr zu. Ich vermisste sie so sehr, dass mein ganzer Körper weh tat. Mit jedem Atemzug wünschte ich mir nichts sehnlicher als in Annalenas Arm zu liegen und doch gab es da etwas, was mich zurückhielt. Etwas, was stärker war als meine Sehnsucht.
„Shhh ich weiß doch, dass das für dich auch nicht leicht ist und du deine Mama vermisst."
Mia lag unruhig auf mir, quengelte seit wir hier waren immer wieder und war auch abends nur schwer zum Schlafen zu bringen. Wir beide lagen gerade im Poolbereich, waren nach dem Mittagessen etwas schwimmen gegangen weil Mia das eigentlich so liebte. Während ich mit ihr im Wasser gewesen bin, schien sie auch zufrieden, seit wir aber wieder auf der Liege waren, war sie nur am zappeln. Dass sie unter der Situation leiden musste tat mir leid, ihr Wohlbefinden stand für mich doch eigentlich an oberster Stelle, aber ihr das geben, was sie brauchte - Annalena - konnte ich gerade nicht. Dazu war die Wunde zu tief.
„Mamiii", schniefte sie, kuschelte sich näher an mich und vergrub ihren Kopf an meiner Halsbeuge.
Ich zog das Handtuch, das ich über uns gelegt hatte, noch etwas nach oben, setzte ihr die Kapuze ihres Bademantels auf damit sie nicht fror und strich über ihren Rücken. Weil es sie meistens beruhigte fing ich an leise für sie zu singen. Ich dachte nicht weiter darüber nach, summte erst nur die Melodie, landete aber wie von selbst bei dem Lied, dass ich am Anfang unserer Beziehung für Annalena geschrieben hatte. Es war kein Lied, was ich seitdem oft gesungen hatte obwohl ich es eigentlich liebte, aber jetzt hatten mich meine Gefühle genau zu diesem Song gebracht. Annalena war damals mitten im Wahlkampf gewesen und kurz davor alles hinzuschmeißen weil irgendwelche Idioten ihre Veranstaltung in Hamburg gestürmt hatten. Daylight hatte ich nur gesungen um ihr die Kraft zu geben weiterzumachen und irgendwie war es so etwas wie der Start unserer ganz eigenen Lovestory.