POV: Emma
Für den nächsten Tag hatte ich mich für den Nachmittag mit meinem Bruder verabredet. Annalena, welche uns Zeit zu zweit lassen wollte, entschied sich dafür, in unserem Strandhaus zu bleiben und wenigstens für ein paar Stunden am Laptop zu arbeiten. Auch wenn für mich jede Minute, die wir getrennt voneinander verbrachten, eine Minute zu viel war, willigte ich nach kurzem Murren ein. Ich war ohnehin überrascht, dass sie doch relativ wenig Zeit mit irgendwelchen politischen Themen verbrachte und sich tatsächlich einfach ganz auf uns konzentrieren konnte. Sie so ausgelassen zu sehen machte mit mir etwas, schenkte mir mehr innere Ruhe als es meine eigene Erholung konnte. Am liebsten wäre ich einfach für alle Zeit mit ihr hier geblieben. Hätte mit ihr die Sonnenaufgänge beobachtet, sie geliebt und ihr die schönsten Orte gezeigt, nur um dieses einzigartige Leuchten in ihren Augen zu sehen. Ein Leuchten, dass auch mir die Gewissheit gab, dass sie angekommen war im Leben. Dass sie jeden Moment, den wir hier erleben durften schätzte und auf eine gewisse Art genauso brauchte wie ich es tat. Denn wenn ich eins aus dem letzten Jahr mitgenommen hatte, dann dass nichts mich auch nur annähernd so glücklich machen konnte wie Annalena. Und seit wir hier waren, war mit jeder Minute, die verstrich, deutlicher geworden, dass es ihr mit mir genauso ging. Dieser Urlaub schweißte uns mit jedem weiteren Tag nur noch mehr zusammen, schenkte uns nach all den turbulenten Erlebnissen nochmal eine Verbundenheit auf einem vollkommen neuen Level.
Eigentlich wollten mein Bruder und ich nur gemütlich etwas essen gehen, aber während ich mal wieder gedanklich in meiner Annalena-Welt gefangen war und die wunderschöne Strandlandschaft an uns vorbei ziehen sah, hatte ich eine andere Idee. Gerade als wir auf Höhe der Ausfahrt für eine für Florida typischen Shopping Mall waren, gab ich ihm zu verstehen, dass er dort anhalten sollte.
"Boah ne Em, muss das jetzt wirklich sein? Kannst du nicht mit Annalena einkaufen gehen? Ich hab Hunger."
"Nein, ich muss etwas für Annalena kaufen. Für Annalena und mich. Danach kauf ich dir was zu essen, versprochen. Aber das ist wichtig."
Luis, der inzwischen das Auto vor dem Haupteingang geparkt hatte sah mich mit hochgezogener Augenbraue an und schmunzelnde vielsagend vor sich hin. Empört boxte ich ihn gegen seinen Arm, entschied anschließend, dass er der erste sein würde, den ich in Annalenas und mein kleines Geheimnis einweihen würde.
"Nicht das was du denkst! Ich geh doch mit dir nicht irgendwelche Sachen einkaufen, die wir anschließend im Bett benutzen, du bist mein kleiner Bruder! Wir müssen zum Juwelier weil..."
Abwartend sah er mich an, schien keine Ahnung zu haben, was ich ihm sagen wollte.
"Weil?"
"Weil Annalena mich gestern gefragt hat, ob ich sie heiraten will. Es ist mehr oder weniger spontan aus dem Moment heraus entstanden, deshalb haben wir noch keine Ringe. Aber ich würde sie gern heute Abend damit überraschen."
Bevor ich überhaupt richtig ausreden konnte, hatte mein Bruder mich auch schon in seine Arme geschlossen, vergrub seine Hände in meinen Haaren. Seine Reaktion bedeutete mir unendlich viel, war er doch neben Annalena die einzige Person auf dieser Welt, die mir noch nahe stand. Freudestrahlend drückte er sich etwas von mir weg, sah mich einfach nur an.
"Ich freu mich für euch Emma, wirklich! Nach der ganzen Scheiße, die euch passiert ist, habt ihr verdient glücklich zu sein. Und ich hab dich noch nie so erlebt. Du wirkst so...zufrieden. Du liebst sie wirklich sehr oder?"
"Mehr als alles andere auf der Welt."
Erstaunlicherweise hatte ich schnell Ringe gefunden, die meiner Vorstellung entsprachen und die ich kaufen wollte. Es war fast so, als hätte das Schicksal es so gewollt, als hätten diese nur darauf gewartet, von uns gebraucht zu werden. Bewundernd schweifte mein Blick über die zugegebenermaßen sündhaft teuren Schmuckstücke und wie sie so vor mir lagen, verpackt in dem kleinen Schächtelchen, wurde es plötzlich noch ein Stückchen realer. Sofort kullerte mir eine einzelne Träne über meine Wange und ich konnte es kaum abwarten, den Ring an Annalenas Finger zu sehen und auch meinen eigenen tragen zu dürfen. Immer eine Erinnerung an unsere Verbundenheit bei mir tragen zu können war das schönste, was ich mir vorstellen konnte, ließ mich eine nie dagewesene Zufriedenheit fühlen. Dass ihr der Ring gefallen würde, daran hatte ich kaum einen Zweifel. Ich kannte ihren Geschmack, wusste was sie mochte und was nicht und in gewisser Weise erinnerte mich der Ring an sie, spiegelte sie quasi wieder. Es war ein silberner filigraner Ring, in keiner Weise protzig und trotzdem etwas ganz besonderes. Der kleine Stein, der sich auf ihm befand funkelte wie tausend Kristalle, ließ mich sofort an Annalenas leuchtende Augen denken, erinnerte mich an das Leuchten, dass sie nur mir schenkte.