POV: Emma
„Wieso bist du denn heute so unentspannt Emma?", fragte Claudia und nahm mir Mias Trinkflasche aus der Hand, an welcher ich schon eine Weile rumfummelte, sie aber einfach nicht zu bekam.
Es war wohl einer der letzten wärmeren Tage außen, weswegen wir nochmal eine Runde auf dem Spielplatz waren und uns jetzt mit einer heißen Schokolade in einem kleinen Café stärkten. Genießen konnte ich diesen schönen Tag aber nicht so wirklich, auch wenn ich allen das Gegenteil einreden wollte.
„Bin ich doch gar nicht, es ist nur einfach nicht mein Tag."
Um mich abzulenken strich ich ein paar Mal durch Mias Haare, spürte allerdings Claudias Blick noch immer auf mir brennen. Ich war schlecht darin Sachen vor anderen zu verschweigen und sie hatte ja Recht, ich war unentspannt. Mehr als das, ich war nervös und wollte gerade einfach nur bei Annalena sein. Das allerdings ging nicht und war schlussendlich auch der Grund für meine Nervosität. Sie befand sich gerade für drei Tage in Brüssel auf dem NATO-Außenminister*innen-Treffen und würde das erste mal wieder auf ihren französischen Amtskollegen treffen seit dieser versucht hatte ihr näher zu kommen. Eigentlich sollte sich so etwas nicht mehr wiederholen, schließlich dachte er ja immer noch ich hätte ein Video von seinem Übergriff, dennoch war mir nicht wohl dabei, dass ich im Notfall nicht für sie da sein konnte. Das einzige, was mich etwas beschwichtigte war die Tatsache, dass sich die NATO-Wirtschaftsminister*innen ebenfalls trafen und so immerhin Robert in Annalenas Nähe war. Auch wenn er von dem Übergriff nichts wusste.
„Emma hörst du mir eigentlich zu?", wedelte Claudia mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum.
„Mamiiii", fing nun auch Mia an und hielt mir ihr leeres Quetschi vor die Nase.
„Sorry", seufzte ich, „du hast ja Recht, ich bin irgendwie nicht ganz bei der Sache."
Ob ich ihr von dem Vorfall erzählen sollte wusste ich nicht, eigentlich war es Annalenas Entscheidung, wer davon wissen sollte. Aber Claudia sah mich so fürsorglich an, dass meine Fassade bröckelte und die Worte nur so aus mir heraussprudelten.
„Es ist wegen Annalena. Als wir in Hamburg waren hat der französische Außenminister versucht ihr näher zu kommen...gegen ihren Willen. Er hat sie ziemlich bedrängt und gedroht, ihr politisch das Leben zur Hölle zu machen wenn sie sich weigern sollte, mit ihm zu schlafen. Ich konnte zum Glück dazwischen gehen und ihm eine Ansage machen. Er denkt, dass ich die ganze Aktion gefilmt hab. Also eigentlich glaub ich nicht, dass er nochmal etwas riskiert aber irgendwie hab ich trotzdem so ein blödes Gefühl, dass er die nächsten drei Tage Zugang zu ihr hat."
Claudia sah mich nur mit großen Augen an, schien erstmal einen Moment zu brauchen, um sich wieder zu fangen und das zu verarbeiten, was ich ihr da gerade erzählt hatte. Auch bei mir hatte sich während des Erzählens direkt wieder eine Gänsehaut gebildet weswegen ich mich instinktiv ein wenig mehr an Mia kuschelte. Sie spielte zwar gerade ganz friedlich mit ein paar Duplo-Steinen, genoss es aber anscheinend auch, sich so an mich zu schmiegen.
„Das ist...also...wie geht es Annalena damit?"
„Du kennst sie doch. Sie tut so, als wär das keine große Sache gewesen und will stark sein aber natürlich hat es ihr Angst gemacht. So etwas geht an niemanden spurlos vorbei. Melden wollte sie das nicht weil sie Angst hat, dass man ihr daraus einen Strick dreht. Ich hasse es, dass unsere Gesellschaft immer noch so funktioniert, dass Männer mit so etwas davon kommen. Ansonsten kommt sie glaube ich soweit klar. Sie hat mir vorhin geschrieben, dass das erste Treffen ganz normal ablief."
Nickend sah Claudia mich an, schwieg aber ansonsten. Es war wohl einer der wenigen Momente, in denen ich sie sprachlos erlebt hatte, was dem unguten Gefühl in meiner Magengegend nicht gerade half. Eine Weile versuchte sie mich damit zu beruhigen, dass Robert ja auch vor Ort war. Solange dieser allerdings von alldem nichts wusste, war mir nicht ganz klar, was das bringen sollte, zudem die Wirtschaftsminister*innen ein komplett anderes Programm hatten. Würde sie sich wenigstens Mél anvertrauen, dann hätte sie eine Freundin in ihrer Nähe und Mél wäre ebenso gewarnt, denn ich war mir sicher, dass Typen wie dieser so etwas öfters machten.