-Kapitel 47-

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Konzentriert saß ich auf meiner Couch und las jedes einzelne Wort. Jede Zeile dieser Seite versuchte ich zu verinnerlichen. Jedes Wort wiederholte sich in meinen Kopf. Ich las diese 4 Prospekte jetzt schon zum dritten mal. Immer und immer wieder kamen mir neue Gedanken dazu. Immer wieder fiel mir ein weiterer Aspekt ein der für diese Abtreibung sprach. Natürlich hatten sich auch Gedanken gebildet die gegen eine Abtreibung waren. Im Endeffekt hatte es mir nicht viel gebracht. Keine egal ob positiv oder negativ überwiegte. Innerlich war ich ja schon eher für die pro Seite. Wollte es mir aber trotzdem nicht eingestehen.

Schnaufend schmiss ich die Prospekte auf den Sofatisch. Ich brauchte Ablenkung. Irgendwas musste ich machen. Ich musste auf andere Gedanken kommen. Alles mal vergessen. Das konnte ich bis her immer nur wenn ich richtig viel Alkohol trank. Das war aber ausgeschlossen. Oder eben Łukasz. Łukasz ließ mich immer vergessen. Er nahm mir Zweifel und Ängste. Er hatte mich schon so oft aufgebaut und einfach all das graue farblose in mir genommen. Durch ihn war ich wieder erwacht. Durch ihn lebte ich wieder. Naja besser gesagt hatte ich gelebt. Ich machte mal wieder alles kaputt. Nicht nur mit der Schwangerschaft sondern auch mit einer Geburt.

Dick eingepackt saß ich auf einen meiner Stühle auf meinem Balkon. Die Kissen die Decke der heiße Tee und die Wärmflasche rundeten das ganze noch ab. Der Himmel hatte sich bereits tief dunkel gefärbt. Es war kurz nach 22 Uhr und ich hatte nicht mal ansatzweise vor das hier zu beenden. Trotz aller Probleme war das hier geradezu perfekt. Ich war alleine. Niemand versuchte mit mir zu sprechen oder mir etwas reinzureden. Ich war mit meinen Gedanken ungestört und konnte endlich wieder atmen. War ein Stück freier als sonst fühlte mich nicht eingeengt. Ich wurde nicht beeinflusst bei dem was ich gerade tat. Es war einfach nur wundervoll und perfekt. Wundervoll. Perfekt. Das hatte ich seit dieser Hiobsbotschaft nicht mehr über meine Lippen gebracht. Gedacht erst recht nicht. Viel zu viel überschattete diese zwei Worte. Vorsichtig nippte ich an dem noch viel zu heißen Tee. Ich zog den Schal noch etwas fester und schob ihn bis über die schon kalte Nase. Ich blickte in den Sternenhimmel und beobachtete das Geschehen. Einige Flugzeuge sah man noch. Leider waren viel zu wenig Sterne zu sehen die man beobachten konnte. Der einzige kleine Minuspunkt im jetzigen Moment. Der Wind rauschte. Weit entfernt hörte ich einige Autos und das schreien wildgewordener Teenies. Half schreien? Half es denn wirklich dadurch dem ganzen Ärger und Druck einfach freien Lauf zu lassen? Ich wusste nicht genau ob ich es probieren sollte. Was würden die Nachbarn von mir denken? Ich war zu verklemmt um genau jetzt auf den Balkon im Hinterhof loszuschreien. Ich traute mich nicht. Es wäre wahrscheinlich anders wenn der Wind stärker ginge der meine Laute sofort verschlucken würde. Die sanfte Briese würde da aber definitiv nicht helfen. Leider.

Es klingelte. Wirklich? Genau jetzt. Jetzt wo ich einfach nur meine Ruhe genießen wollte? Ich schaute prüfend auf meine Uhr. Es war schon wieder eine halbe Stunde vergangen. Mir kamen es vor wie 5 maximal 10 Minuten. Warum vergingen solche schönen Momente einfach immer so schnell?

Mit meiner Decke um den Körper geschlungen wartete ich nun ungeduldig an der Wohnungstür. Gleich würde ich wissen wer mich jetzt noch störte. Auch wenn ich es mir innerlich denken konnte. Und es stimmte. Er stand vor mir. Der Mann den ich mir vorhin noch hier her gewünscht hatte. "Was machst du hier? Vor allem um diese Uhrzeit?" Wie immer in solchen Situationen fuhr er sich durchs Haar und sah mich dann prüfend an. "Ich konnte nicht schlafen..und ich musste die ganze Zeit an dich denken. Ich wollte einfach nach dir sehen. Wenn du..du lieber-" "Nein nein. Komm schon rein." Ich trat ein Stück beiseite. Nachdem ich die Tür geschlossen hatte lief ich in die Küche. "Willst du einen Tee?" Er nickte stumm. "Warum bist du eigentlich so dick angezogen? Wirst du krank?" Ich schüttelte den Kopf. "Nein. Ich saß nur bis eben auf dem Balkon." Er sah mich entrüstet an. "Also willst du krank werden?" Kurz kniff ich die Augen zusammen und fixierte ihn. "Ich werde mich jetzt auch wieder auf den Balkon setzten. Von mir aus setz dich ins Wohnzimmer aber ich verschwinde nach draußen." Ich drückte ihm die Teetasse in die Hand und verließ fluchtartig die Küche. Draußen ließ ich mich wieder auf den Stuhl fallen schnappte nur die Wärmflasche und den Tee und blickte in die Ferne. Es begann leise zu tröpfeln. Man hörte es nur durch die Blätter der Bäume die hier überall im Hof und in den anderen Grundstücken standen. Es beruhigte mich noch mehr.

Die Balkontür öffnete sich. Łukasz lächelte kurz und machte es sich dann ebenfalls mit einer Decke und dem Tee gegenüber von mir bequem. Es war still. Wir beide schwiegen. Es war gut so. Alles andere hätte es mal wieder zerstört. Ich wollte genau da weiter machen wo ich vor kurzem durch die Klingel unterbrochen wurde. Ich wollte weiter schweigen und in die dunkle Nacht sehen. Das beruhigte mich mehr als jedes Gespräch was ich mit wem auch immer führen konnte oder musste. Die Nacht war dunkel unheimlich und unberechenbar. Doch strallte sie so eine Ruhe und Gelassenheit aus dass es schon wieder schön war. Immer wieder spürte ich Łukasz' Blicke auf mir. Mir war es unangenehm. Ich wollte den Blicken aus dem Weg gehen. Sie ignorieren. Ich wusste was die Blicke bedeuteten. "Wie geht es dir Ania?"

Ona i On (II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt