5. Kapitel- Giftgrün

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Zerstörerisch fielen die Sonnenstrahlen durch die beiden Fenster in meine kleine Wohnung. Das Chaos hatte Besitz über die Zimmer erlangt. Im Bad lagen blutige Scherben auf den kalten Fliesen. Im Wohnbereich hatte ich Kartons umgeworfen, die Wände in einer Ecke des Raumes zerkratzt. Es glich einem Schlachtfeld. Als hätte man einem wilden Tier freien Lauf gelassen, doch, so war es wohl auch. Seufzend setzte ich mich auf, meine Hand schmerzte, doch ich sah darüber hinweg. Wie sollte ich das bloß Jan erklären? Ich biss mir auf die Unterlippe und ließ meinen Kopf hängen. „Scheiße!", schimpfte ich über mich selbst und strich mir über den Schorf, der sich auf den Kratzern an meiner Stirn gebildet hatte. Ich war doch krank! Ein Monster! Da gab mir schonmal jemand einen Platz im Leben! Da half mir einmal wer und ich?! Ich musste es natürlich kaputt machen! Verdammt! Gequält kniff ich die Augen zusammen, zu groß war der Selbsthass, den ich empfand. Ich wollte die Gedanken daran verdrängen, doch es viel mir schwer. Da hörte ich auf einmal ein Klacken. Ich zuckte zusammen, riss den Kopf in die Höhe. Wer war da?! Ich sprang auf, trat einige zögernde Schritte Richtung Tür, da erblickte ich ihn auch schon. Jan stand dort, in einer Hand eine Tüte, in der anderen den Wohnungsschlüssel. Irritiert blinzelte er mich an. Er schien ziemlich erschreckt über den Zustand seiner Wohnung und das, obwohl er das wahre Ausmaß noch gar nicht richtig entdeckt hatte. Ich wandte mein Gesicht von ihm ab, konnte ihm in diesem Moment der Schwäche nicht in die Augen sehen. Zu schmerzhaft war es. Er war sicher enttäuscht, so dachte ich damals, doch was dann geschah, hatte ich wahrlich nicht erwartet. Ich spürte eine weiche Hand sanft mein Kinn anheben. Erschreckt blickte ich dem Jungen in seine tiefgrünen Augen und schluckte schwer. Was tat er denn?! „Geht's dir gut? Deine Stirn...", sprach er und seine Stimme wirkte derart besorgte, wie ich es noch nie wahrgenommen hatte. Er legte die Tüte auf einer kleinen Kommode nieder und strich mich zärtlich das Haar aus dem Gesicht. Was sollte das? Ich verstand nicht! Und dennoch, allein der Fakt, dass er mir keine Vorwürfe machte. Allein, dass er mich nicht anschrie oder eine Erklärung verlangte, erleichterte mich so ungemein. Ich überlegte nicht lang, als ich damit begann, sachte den Kopf zu schütteln. Nein, mir ging es nicht gut. Ganz und gar nicht gut! Natürlich wusste ich, wie sinnlos es war, seinen Gefühlen so unverblümt Ausdruck zu verleihen, doch Jan war so freundlich zu mir, wie kaum jemand zuvor. Er hatte mir geholfen, ohne mich überhaupt richtig zu kennen. Er fragte nichts Unnützes, ließ mir meine Privatsphäre und dennoch sorgte er sich um mich. Dieses Gefühl von Behütung, Geborgenheit, das kannte ich bis dahin gar nicht! Noch nie hatte sich jemand derart um mich gekümmert. Ich spürte, wie die Tränen in mir auf stiegen. Wie dumm war ich denn bitte?! So viel zu heulen! Mehr, als in meiner ganzen Kindheit zusammen! Aber aufhalten konnte ich es einfach nicht! Die Erinnerung an meine Vergangenheit, die Grausamkeit, die ich erfahren hatte. Die letzten Jahre spielten sich immer und immer wieder vor meinem inneren Auge ab und rissen mir mit jedem Mal erneut das Herz aus der Brust. Viele denken wohl, es hätte mir peinlich sein müssen, vor meiner neuen Bekanntschaft in Tränen auszubrechen, doch hatte man so viel Erniedrigendes erlebt wie ich, dann schämte man sich kaum noch. Ich besaß keinen Stolz. Zwar war es mir selbstverständlich nicht angenehm, mich so vor diesem Jungen zu zeigen, doch was sollte ich denn machen? Ihn raus werfen? Aus seiner eigenen Wohnung? Natürlich, super Idee! Seufzend schüttelte ich den Kopf. „Tut mir leid.", murmelte ich und war gerade dabei, mich wegzudrehen, da hielt Jan mich fest. Er packte meinen Oberarm und bevor ich erst einmal verstehen konnten, was er da tat, hatte er mich schon an sich gezogen und seine warmen Arme fest um mich gelegt. Im ersten Moment wollte ich mich wehren. Mein geistiger Alarm ging an, denn ich ahnte schlimmes, doch als ich begriff, dass es dem Kleinen um keinerlei Hintergedanken ging, stand ich still. Ich bewegte mich nicht, starrte einfach nur auf ihn herab. Was sollte das? Wieso? Ich verstand es nicht! Und trotzdem! Es fühlte sich so verdammt gut an. So gut, dass es mir beinah Angst machte. Er war so liebevoll. Dabei hatte ich seine Einrichtung zerstört! Ich hatte doch alles kaputt gemacht! Ihn jedoch schien das nicht die Bohne zu interessieren. Er wirkte viel eher  besorgt. Um mich. Kaum zu glauben, oder? Besorgt um jemanden, den er erst einen Tag kannte. Besorgt um jemanden, um den sich sonst niemand sorgt. Seltsam, wenn man so darüber nach dachte, aber nicht weniger schön. Ich fühlte mich einfach zum ersten Mal in meinem Leben verstanden. Und das ausgerechnet von diesem Grünschnabel, der nicht einmal gescheit Autofahren konnte! Da schreckte Jan plötzlich auf und ich erschrak bald zu Tode! „Deine Hand!" Er sah mich fassungslos an, ich aber wich seinem Blick aus. Ja, die blauen, aufgerissenen Knöchel an meiner Hand wirkten mich Sicherheit sehr befremdlich auf ihn. „Ich habe deinen Spiegel zerschlagen. Verzeih bitte. Ich kaufe dir einen Neuen, sobald ich einen Job gefunden hab. Versprochen!", versuchte ich ihn zu beruhigen, wurde allerdings einmal mehr überrascht, denn seine Aufruhr galt in jenem Augenblick weniger dem Spiegel, sondern erneut viel mehr mir. "Ach, mach dir keine Gedanken! So einen Spiegel, den kann man ersetzen. Jetzt bist du erstmal wichtiger. Wir müssen dich verarzten!", entgegnete er und ich zog die Augenbrauen hoch. „Jan." Der Rothaarige schaute auf, sein Blick war voll Liebe und hielt ich Inne. Bisher war es mir nicht aufgefallen, doch Jan sah meiner Schwester zum Verwechseln ähnlich. Das fuchsige Haar, was das Gesicht frech umrandete, die helle, kräftige Stimme, die zugleich so liebliche Worte sprach. Einzig ihre Augen unterschied die beiden, denn während die meiner Schwester blau wie der Himmel selbst waren, glichen Jans eher dem giftigen Grün eines mystischen Zaubertrankes. Ich kam einen Schritt auf meinen zukünftigen Vermieter zu, betrachtete ihn einmal genauer. Das Grün, durch welches er mich so unschuldig anblinzelte, war nicht das eines frischen Rasens und auch nicht das, eines Blattes oder gar eines Frosches. Es wirkte viel prickelnder, viel anziehender. Fest sah ich zu ihm hinab, hob sein Kinn an und beobachtete, wie sich die Wangen des Kleinen dunkelrot färbten. Ich runzelte die Stirn. Was war das? So plötzlich bekam man doch wohl kaum Fieber. „Lass das! Komm, wir verarzten dich jetzt!", keifte er mich da auf einmal und stieß mich ruppig von sich. Irritiert hielt ich den Kopf schief, doch Jan schien sich zu genieren. Gekonnt wich er mir aus, betrat das Badezimmer und kam wenig später mit einem kleinen Verbandskoffer wieder. „Setz dich! Und nun keine Spielchen mehr! Ich bin nicht so einer, klar?!", knurrte er etwas mürrisch. Da fragte man sich doch echt, was man nun schon wieder gemacht hatte. Was war denn plötzlich los mit dem?! Kopfschüttelnd ließ ich mich auf der Matratze nieder und der Kleine kniete sich vor mich, auf den Boden. „Ich hab übrigens gedacht, wir könnten zusammen frühstücken. Hab' auch extra Brötchen mitgebracht. Was hältst du davon?" Ich zögerte. Hunger hatte ich schon, doch Geld nicht. Dies wusste Jan natürlich, weshalb er mir dieses freundliche Angebot machte. Weshalb also sollte ich es nicht annehmen. Dennoch, ich strich dem Jungen eine rote Strähne aus dem Gesicht, war es wirklich okay für ihn?

Höllenkrieger- Legt die Waffen nieder!  || Boyslove! Yaoi!♡~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt