59. Kapitel- Angst formt den Charakter

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Vergänglichkeit, eine ziemlich angsteinflößende und dennoch wunderschöne Eigenschaft unseres Lebens, oder? Einerseits möchte man sich doch immer verbessern, man will weiter kommen und etwas aus sich machen, verschiedene Erinnerungen sammeln, welche man noch in zig Jahren gern erzählen wird. Andererseits fürchtet man jede Veränderung, die jedoch zwingend mit solchen Dingen einhergeht. Man muss sich ändern, weiterentwickeln, um etwas zu erreichen. Unser Leben ist wertvoll, denn es ist vergänglich. Wäre es das nicht, was würde uns dazu bewegen, es zu nutzen? Was wäre unser Ansporn, wenn wir doch eine Ewigkeit hätten. Wenn es niemals enden würde? Gerade jetzt, da spürte ich dieses Gefühl der Endlichkeit ganz tief in mir. Schweigend stand ich in dieser, nun beinah völlig leer geräumten, kleinen Wohnung, musste an den Tag denken, an welchem mein kleiner Fuchs mich hierher verfrachtet hatte. Ein Lächeln lag auf meinen Lippen, als ich an den Moment zurück dachte, an jenem ich ihn zum ersten Mal richtig betrachtet hatte, Jan. Seine süßen Sommersprossen, welche das weiche Gesicht zierten, seine wunderschönen Smaragd-farbigen Augen, die mich so schüchtern anblinzelten. Gott, alles auf der Welt war vergänglich, ich wusste das, doch eines gab es, das wirkte auf mich echt alles andere als sterblich. Im Gegenteil, seine Schönheit, die Freude, die sein Lachen in mir auslöste, all das war unendlich für mich. Es war, als gäbe es absolut nichts im ganzen Universum, dass mich mehr mit Glückseligkeit erfüllte, als er.
„Eth?“, vorsichtig stupste Peggy mir mit dem Finger gegen die Schulter, wollte scheinbar meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Kein Wunder, wir hatten unsere Arbeiten ja noch immer nicht fertig gestellt. Zwar hatten wir mittlerweile tatsächlich alle Kartons und Kisten in die neue Wohnung bringen können, doch die ein oder andere Kleinigkeit war noch immer zu erledigen. Und wir hatten ja auch nicht ewig Zeit, Stichwort Vergänglichkeit. Ich begann zu Grinsen, schüttelte den Kopf über meine eigenen Gedanken. Hier in dieser beinah leeren Wohnung zu stehen weckte echt sentimentale Gefühle in mir, denn von nun an gab es kein Zurück mehr. Dieser Teil meines Lebens war nun abgeschlossen, fertig, aus und vorbei. Von nun an lebte ich bei Jan und verdammt, allein daran zu denken, dass es nun offiziell zu sein schien, ließ mein Herz mindestens um das Dreifache schneller schlagen. „Alles gut.“, versicherte ich der zierlichen Blondine nickend, woraufhin sie mich anzustrahlen begann. Der Tag war bisher ziemlich anstrengend gewesen, wir waren beide völlig erschöpft und dementsprechend müde, doch für Jan war es mir das wert. Nicht nur, dass ich es ihm schuldete, nein, ich half ihm gern. Ich wollte ihm zeigen, dass er sich auf mich verlassen konnte, dass ich alles für ihn tun würde, ganz gleich wie viel Kraft ich dafür aufzubringen hatte. Er bedeutete mir einfach alles und wenn er mir für meine Bemühungen nur ein klitzekleines Lächeln gab, dann war es all die Arbeit wert.
„Lass uns die Matratze abziehen. Ich würde sagen, die Gute an sich lassen wir erstmal hier, doch das Bettzeug und die Bezüge nehmen wir auf jeden Fall heute noch mit. Einverstanden?“ Der Vorschlag meiner Freundin war einleuchtend, da es zugegeben eine ziemliche Qual geworden wäre, die große Matratze in das kleine Auto der Studentin zu bekommen, geschweige dann auch noch damit zu fahren, ohne dass wir eine Gefahr für uns und unsere Umgebung darstellten.
„Ey, pack' doch mal mit an!“, ermahnte mich Peg spielerisch und verzog das Gesicht zu einem Schmollen. Bitte? Ich zog die Augenbrauen in die Höhe. Also das ließ ich mir selbstverständlich nicht zweimal sagen! So trat ich, belustigt vom Quatsch meiner Gegenüber, an meinen alten Schlafplatz heran, zog mit ihr zusammen das Laken von der „Guten“ und knöpfte mir danach sofort die Bettdecke vor, währenddessen sich die zukünftige Ehefrau des Professors um das Kopfkissen kümmerte. Dabei geschah jedoch etwas, dass ich besser hätte verhindern sollen. Gott, dann wäre mir echt so viel Scheiß erspart geblieben. Doch ich unterband es nicht, im Gegenteil, ich hatte den Flyer, der aus dem Kissenbezug heraus purzelte bereits vollkommen aus meinem Gedächtnis gelöscht gehabt, bis jetzt. Denn auf einmal lag er dort, der Flyer der Kolibri-Gruppierung und ich konnte nichts tun, außer ihn beinah fassungslos anzustarren. Kurz nur hatte ich die Hoffnung, Peggy hätte das Blättchen nicht bemerkt oder zumindest keinen blassen Schimmer von der Existenz dieser Sekte, doch da hatte ich mich wohl grundlegend geirrt, sodass meine Hoffnung bitter enttäuscht wurde. „Was?“, stieß sie überrascht aus und sah irritiert zu mir herüber. Ihr Blick verriet dabei alles, echt alles! Sie hatte sehr wohl Ahnung davon, was es mit diesem Zeichen, welches groß auf dem Flyer abgebildet war, auf sich hatte, wenn gleich ihr auch die Bedeutung hinter dem Symbol unbekannt schien. Was dann allerdings folgte, riss mir regelrecht den Boden unter den Füßen weg, es ließ mir das Blut in den Adern gefrieren und ich spürte förmlich, wie mein Herz von einem gigantischen, rasiermesserscharfen Dolch durchbohrt wurde.
„Das hab ich schon einmal gesehen! Bei Jans Sachen glaube ich. Er hatte so was auf seinem Esstisch liegen, wenn ich mich recht erinnere.“ Augenblicklich verlor mein Gesicht an Farbe, bis es kreidebleich geworden war. Was? Nein, das konnte nicht sein. Ich fühlte meine Kehle, welche sich dermaßen zuzog, dass ich kaum noch im Stande war, nach Atem zu ringen. Und ganz schwach wurden mir die Beine, sodass sie es kaum noch vermochten, mich zu tragen. Verdammt, mir wurde so übel, ich hatte das Gefühl mich jeden Moment übergeben zu müssen. Nein! Nicht er, nicht Jan! Nein, das konnte nicht sein! Er hatte auf keinen Fall etwas mit dieser Sekte am Hut! Nein, das durfte er einfach nicht! Ich biss die Zähne zusammen, wusste gar nicht mehr, wie ich mich nun verhalten sollte, ohne vor Peggy wie der größte Idiot zu wirken. Bei meiner Reaktion musste man doch stutzig werden, echt, auffälliger ging es echt nicht mehr! Da erkannte doch jeder Blinder, dass auch ich einiges mit dieser Gruppe zu tun hatte. Doch gerade jetzt, da konnte ich mich einfach nicht zusammen reißen. Nicht jetzt, nicht unter diesen Umständen.
Das nächste woran ich mich erinnerte war, dass ich rannte, ich rannte einfach. Ich hatte keine Ahnung, wie es dazu gekommen war, dass ich nun diese lange, belebte Straße entlang sprintete, doch ich tat es. Und glaubt mir, wenn ich euch sage, dass die Angst, die ich dabei empfand, alles zuvor Geschehende toppte. Es war, als rannte ich um mein Leben, dabei gab es keinen Grund zu laufen. Diese Furcht, sie holte mich doch sowieso ein. Vor ihr konnte man nicht davon rennen. Das funktionierte nicht, dennoch versuchte ich es. Ich dachte, Eile machte es vielleicht besser, doch das Gegenteil war der Fall, denn Panik machte sich in mir breit. Sie erfüllte jeden Zentimeter meines Körpers und ich wusste kaum noch, wo unten und oben war, doch ich wusste mir einfach nicht zu helfen außer mit dem Laufen. Ich dachte, ich müsse sofort nach Hause, in Sicherheit, weg von all dem Schmerz. Doch wie, wenn meine Unsicherheit doch erst daheim auf mich wartete? Und wozu sollte ich mich dorthin begeben? Jan einfach darauf ansprechen? Ja, klar: „Sorry, sag mal, verfolgen deine Leute mich? Gehörst du zu einer skrupellosen, gewalttätigen Sekte oder derartiges?“ Sicher doch! Ich schüttelte den Kopf, da kam sie mir in den Sinn, eine der wohl dümmsten Ideen meines Lebens: sein Zimmer. Den Raum, welchen ich unter gar keinen Umständen betreten durfte. In ihm fanden sich sicherlich die ein oder anderen Hinweise auf seine Beziehung zu dieser Sekte. Ich musste da rein, musste es herausfinden und ein für alle Mal klären, ob Jan mich die ganze Zeit über belogen und betrogen hatte. Nur kurz die Tür eintreten, hinein sehen und ich würde es wissen, da war ich mir in jenem Augenblick zu einhundert Prozent sicher. Klar spürte ich auch, dass es falsch war. Immerhin gab es auch allerhand Dinge, die ich vor meinem Fuchs geheim halten wollte, doch ich musste es einfach wissen. Wie sonst hätte ich ihm jemals wieder in die Augen sehen können, wie ihm vertrauen und ihm nah sein können? Ich hatte Angst. Vor ihm. Und das war das schlimmste daran. Er war mein ein und alles, doch was, wenn ich mich in ihm getäuscht hatte. Was, wenn all das nur ein weiterer Versuch der Sekte war, mich zu verfolgen, weshalb auch immer?! Mit jedem Schritt steigerte sich meine Paranoia, ohne dass ich es hätte ändern können, selbst wenn ich den Willen dazu gezeigt hätte, bis ich letzten Endes völlig zittrig und atemlos an unserem Haus angekommen war.
Ohne Rücksicht auf Verluste stürmte ich schließlich die Treppe zu unserer Wohnung hinauf, rang nach Luft, doch ignorierte dabei den Schmerz in meinen Lungen, welche gar nicht mehr hinterher kamen, so stark hyperventilierte ich allmählich. Vollkommen fertig mit meinen Nerven versuchte ich das Loch der Türklinke mit meinem Wohnungsschlüssel zu erwischen, um ihn darin versenken zu können. Ich wollte in unser Zuhause, wollte das alles klären, doch immer schwerer fiel es mir, meine Finger zu beherrschen. Fast hätte ich die Wohnungstür gleich mit aufgetreten, so hoch war mein Adrenalin in jenem Moment, doch glücklicherweise gelang es mir zuvor dann doch noch, den Schlüssel endlich in dieses verflixte Loch zu stecken, sodass sich die Türe langsam auftat. Sofort schmiss ich sie hinter mir ins Schloss, sprintete durch unsere liebevoll eingerichtete Wohnung, bis hin zu seinem Zimmer. „Wieso tust du das?“, ich biss die Zähne zusammen und wusste beim Stellen der Frage gar nicht mehr Recht, wen genau ich nun meinte: ob ihn oder mich? Es war furchtbar, das hier zu tun. Es würde ihn verletzten, wenn ich seinen Raum betrat, das war mir sehr wohl bewusst, doch ich konnte mich beim besten Willen einfach nicht davon abhalten diese verdammte Tür einzutreten. Ich musste es wissen! Wirklich! Ich musste! Er erklang ein großer Knall und das Stück Holz fiel zu Boden, sein persönliches Reich lag nun frei. Dann wurde es still in der Wohnung, eine unheimliche Stille, fast so wie die Ruhe vor dem Sturm. Ich zitterte am ganzen Körper als ich angsterfüllt über die Schwelle in das Zimmer trat und eins war klar: Meine Furcht würde bestätigt und meine schlimmsten Fantasien noch übertroffen werden.

Höllenkrieger- Legt die Waffen nieder!  || Boyslove! Yaoi!♡~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt