16. Kapitel- Sturm

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Spielend leicht wirbelte der Schmutz und Staub durch die Luft, nur ganz knapp über dem grauen Betonboden des alten, zugestellten Lagers. Mit wenig Schwung trafen die Borsten meines Besens auf die kleinen Tänzer, denn ich schwang ihn mehr als nur verträumt. In Gedanken versunken stand ich da, lauschte den sanften Klängen der Musik, welche ruhig und klar durch den Raum schwebten. Noch nie hatte ich solche schönen Töne gehört. Klar hatte ich nebenbei mal hier und da das ein oder andere Liedchen zu Ohren bekommen, nur wirklich zugehört hatte ich bisher nie. Damals schien mir Musik so irrelevant, so sinnlos und unnütz, doch nun? Nun verstand ich sie. Die Gefühle, die sie zu vermitteln versuchte. Wie die Sänger ihre Empfindungen und Erlebnisse in die Welt hinaus schrien, um ihr Leid wenigstens ein bisschen zu verringern. Es schien schon sonderbar, wieso mir das früher nie aufgefallen war. Höchst seltsam, doch darüber machte ich mir in diesem Moment recht wenig Gedanken, denn ich hörte wie sich die Eingangstür des Lagers auftat und jemand in die kleine Halle trat. Blitzschnell schwang ich den Besen, als würde es kein Morgen geben und wandte mich zu den immer näher kommenden Geräuschen. Ich hoffte, mein Tagträumen sei keinem aufgefallen und mir bliebe Ärger erspart und genau so war es auch. Denn als mein Chef da plötzlich vor mir stand und mich zufrieden angrinste, erleichterte es mich ungemein. „Sehr gute Arbeit, Ethan!", begann er und nickte mir lobend zu, was mir ein breites Lächeln ins Gesicht trieb. Ich war so stolz auf mich, eine gute Leistung abgeliefert zu haben! Und was erst Jan dazu sagen würde, wenn er das erfuhr! Fröhlich bedankte ich mich für die netten Worte, bevor der alte Mann seine Ansprache fortsetzte: „Sie dürfen dann für heute Feierabend machen. Aber morgen, da möchte ich Sie gleich früh wieder sehen! Ich denke, ich werde Sie noch eine Weile im Auge behalten, doch Sie verrichten Ihre Arbeit ziemlich gut, daher steht der Festanstellung wohl kaum noch etwas im Weg. Sobald ich morgen Ihre Unterlagen erhalten habe, reden wir noch einmal genau über alles, ja?" Ich nickte eifrig und meine Mundwinkel zuckten nur noch weiter in die Höhe, während mein Herz fast vor Freude zu Platze drohte. Oh mein Gott! Ich hatte den Vertrag so gut wie sicher! Überglücklich verabschiedete ich mich von dem Chef, verließ das Lager und das erste, was ich danach tat? Ich rannte zur Kasse, zu Jan, der gerade eine ältere Kundin bediente, welche Tonnen an Katzenfutter auf das Kassenband legte. Etwas irritiert schlängelte ich mich an ihr vorbei und stand nun direkt vor meinem Vermieter. Dieser saß auf seinem kleinen Stuhl und lächelte stolz zu mir hinauf. Es war das schönste Bild, was ich jemals zu sehen bekommen hatte und ich hätte vor Freude weinen können! Sanft strich mir Jan über meine Fingerknöchel, die auf dem schwarzen Band schräg vor ihm lagen. „Ich hab noch Schicht, doch ich werde in ein paar Stunden nachkommen, zu dir nach Hause und dann feiern wir das mit Karaoke und ein paar leckeren Dinks, ja?" Jans Stimme war so weich, so warm und dann verlor er an mich auch noch so wundersam schöne Worte, dass ich kaum glauben konnte, womit ich so ein Geschenk verdient hatte. „Völlig egal, Hauptsache du bist da.", flüsterte ich und augenblicklich lief mein persönlicher Retter knallrot an, doch diese Farbe stand ihm ausgesprochen gut, also musste er sich darüber absolut keine Sorgen machen. Schüchtern nickte er nur und ich spürte, wie mein Puls in die Höhe schoss. Dass er derart niedlich und scheu sein konnte, hatte ich bisher ja gar nicht wahrgenommen. Seltsam wie unachtsam ich bisher gewesen war. Und so verabschiedete ich mich von Jan, welcher sich nun um eine äußerst perplex wirkende alte Lady zu kümmern hatte. Der Arme, doch verdient hatte er es ja, nachdem er mich heute Abend zum Karaoke schleppen würde. Feixend schüttelte ich den Kopf über den Lauf des Lebens, während ich hinter in die Personalräume schritt und mich da meiner Schürze entledigte. Schon krass, wie es gelaufen war. Wer hätte schon gedacht, dass jemand wie ich sich etwas wie ein Leben aufbauen konnte? Ein echtes Leben, mit einer Wohnung, einem Job, einem Freund! Ich hielt Inne, meine Augen weiteten sich überrascht. Freund? Waren Jan und ich Freunde? Ich überlegte kurz. Eigentlich kannten wir uns ja kaum, hatten uns erst vor ein paar Tagen kennen gelernt und dennoch spürte ich einfach, dass er mehr war als ein Fremder. Er hatte mich gerettet, mir eine Zukunft, eine Perspektive geschenkt, einfach so. Und da war noch etwas, eine tiefe Verbundenheit die ich empfand, wenn er bei mir war. In seiner Nähe fühlte ich mich einfach geborgen und sowas hatte ich bisher noch nie erlebt. Wenn wir zusammen waren, schien es so, als könnte ich alles schaffen, vollkommen egal was. Ach verdammt, hörte sich das seltsam optimistisch und träumerisch an, doch was sollte ich denn bitte machen? Es war nun einmal die Wahrheit und das fand ich auch nicht unbedingt schlecht. Ich mochte es, endlich jemanden an meiner Seite zu wissen, dem wohl tatsächlich etwas an mir lag. Ich genoss es regelrecht. Nachdenklich ließ ich die Tür der Umkleide hinter mir ins Schloss fallen, trat den Weg zur Glastür des Supermarktes an, um diesen zu verlassen. Noch einmal sah ich zurück zu den Kassen, erblickte Jan, der freundlich ein paar kleine Mädchen begrüßte, welche sich einige Süßigkeiten kauften. Er war so unfassbar liebevoll, ganz anders als alle Menschen, die ich bisher kennen gelernt hatte. Nicht einmal meine liebe Schwester konnte mir seiner Zärtlichkeit mithalten und das, obwohl sie wirklich einfühlsam hatte sein können, also bevor sie starb. Jetzt wirkte sie ganz anders, viel kälter, beinah schon herzlos. Passierte das mit Menschen, wenn sie starben? Wurden sie dann eiskalt und gefühllos? Aber, ich dachte an die leuchtend grünen Augen des Fuchses, Jan würde niemals so werden können. Er könnte niemals so ein herzloser Mensch sein, nein, er war gut. Ein guter Mann, der zugegeben ziemlich zickig und auch provokant sein konnte, doch war er auch freundlich und unfassbar gütig. Er hatte ein gutes Herz und genau deshalb mochte ich ihn so, weil er immer nur das Beste der Menschheit ans Tageslicht brachte. Weil er immer alles gab, um andere möglichst glücklich zu machen und manchmal dadurch sogar sein eigenes Glück vergaß. Weil er so unglaublich naiv sein konnte, jedoch um kein freches Wort verlegen war. Ich sah zu meinen Schuhen hinab, während sie mich über die Fußwege der Stadt trugen. Es war anmaßend, so über ihn zu urteilen obwohl ich ihn doch kaum kannte, doch, es kam mir einfach so vor, als wäre er schon ewig ein Teil meiner Welt. Was wirklich wünschenswert gewesen wäre, wenn ich so zurück dachte. Gern hätte er mich auch schon früher retten können, nur zu gern.
Ich erhob den Blick zum Himmel hinauf, sah die Sonne durch die grauen Wolken hervor blitzen, die noch immer dick und tief über den Dächern der Häuser hingen. Ob es gleich zu regnen beginnen würde? Ich musste schnell Heim, in die Wohnung, die Jan mir verschafft hatte, sein altes Zuhause. Was er da wohl schon alles erlebt hatte? Ich schloss die Lider meiner Augen für einen Moment, zog die Stadtluft ein, entspannte mich kurz, bevor plötzlich ein kleiner Tropfen auf meine Nasenspitze plumpste. Erschreckt zuckte ich zusammen, wandte mich überrascht ab. Immer wieder fielen einzelne Wassertröpfchen vom Himmel und meine Wettervorhersage bestätigte sich prompt. Der Regen hatte eingesetzt und ich war noch nicht daheim angekommen. Ganz toll! Nun versaute ich die nächsten Klamotten, die mir Jan gekauft hatte. Einmal hatte ich sie ja schon blutüberströmt in einem fremden Haus zurück lassen müssen! Ich schluckte schwer. Was wohl aus diesem Mann geworden war nach meiner Flucht? Ob die Polizei nun gegen den Mörder ermittelte und was, wenn sie tatsächlich auf mich kommen sollten? Musste ich dann ins Gefängnis? Würde ich Jan dann nie wieder sehen? Ich schüttelte den Kopf, versuchte die Gedanken daran somit zu verdrängen. Ich musste nach Hause! Nur das war jetzt wichtig! Gewissenhaft blickte ich mich um, musste aber erschreckt feststellen, dass ich mich wohl leider nicht auf dem richtigen Weg befand. „Scheiße!", stieß ich leise aus als es mir langsam dämmerte. Ich hatte mich anscheinend verlaufen! Verdammt nochmal! Mann, ja natürlich konnte das schon 'mal vorkommen, vor allem da ich die Stadt ja kaum kannte! War ja erst seit wenigen Tagen hier und so oft hatte ich die Straßen und Gassen nun auch noch nicht erkundet, war immerhin mit der Jobsuche beschäftigt gewesen und musste einen Auftrag meiner Schwester erfüllen! Da war keine Zeit für eine Stadttour geblieben! Nun, jetzt bekam ich wohl die Rechnung dafür, denn ich hatte wirklich absolut keine Ahnung, wo ich mich befand. Und dann regnete es auch noch, super! Genervt seufzte ich auf, drehte mich und überlegte, wie ich nun am besten zur Wohnung zurück kommen sollte. Ein Glück kannte ich ja meine Adresse, also konnte ich vielleicht jemanden um Hilfe fragen, oder? Aber wer war bei so einem Wetter schon draußen unterwegs, vor allem wenn mach bedachte, dass ich mich hier in einer Nebenstraße befand, welche ja allgemein ziemlich unbelebt waren. Ach Mann, ich hätte echt mehr auf den Weg achten sollen, anstatt mir die ganze Zeit Gedanken um Jan zu machen! Eine Gänsehaut überzog meinen Körper, als nun auch noch eine kalte Brise durch die Gassen wehte und mich in meiner durchnässten Kleidung gnadenlos packte. Zitternd beschloss ich also, möglichst schnell erst einmal Unterschlupf zu suchen um mich irgendwo vor dem Platzregen und dem Wind unterzustellen, bevor ich noch an einer Unterkühlung starb!

Höllenkrieger- Legt die Waffen nieder!  || Boyslove! Yaoi!♡~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt