34. Kapitel- Unglaublich!

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Meine Knie schlotterten, als ich leise, scheu den Schritten meiner weiblichen Begleitung folgte. Peggy schlenderte gelassen den langen, kahlen Flur des Krankenhauses entlang, während unzählige Türen links und rechts von uns zu den Zimmern der teilweise schwerkranken Patienten führten. Sogar als uns ein Mann im weißen Kittel entgegen kam, grüßte sie ihn nur nett und blieb völlig entspannt dabei, während ich hier halb starb! Mein Herz klopfte derart stark gegen meine Brust, dass ich fürchtete, gleich hier auch noch als Patient eingeliefert werden zu müssen. Was natürlich völlig unmöglich war, da man meine Wunden ja auf keinen Fall entdecken durfte. Dennoch, ich war wirklich schrecklich nervös und das ja auch nicht zu Unrecht. Was, wenn Jan mich gar nicht sehen wollte? „Ich komm um die Weihnachtszeit immer her und singe mit den Kindern der Langzeitstation. Ist echt verdammt cool. Einmal war Jan auch schon dabei, vielleicht kommst du ja auch mal mit, Herr Mieter?", grinste mich meine Begleiterin da plötzlich fröhlich an und versuchte damit wohl, die angespannte Stimmung etwas aufzulockern und mir ein kleines Stück meiner Angst zu nehmen. Wirklich sehr liebenswert von dem Blondschopf und dennoch, dieses Gefühl von Hass und Wut, wenn sie über Jan sprach, war noch lang nicht verflogen. Es war, als stehe mir genau diese Empfindung im Weg, als könne ich nur deshalb keine Sympathie zu diesem Mädchen aufbauen. Seltsam, doch in diesem Moment ziemlich irrelevant, denn wir kamen dem Zimmer meines Fuchses immer näher. Bis uns nur noch einige Meter von seiner Zimmertür trennten. „Er wird mich wegschicken, ganz sicher.", gab ich seufzend von mir, blieb beinah wie angewurzelt stehen. Auf meiner Stirn bildete sich eine Sorgenfalte und mein Blick ging zum Boden. Er mag mich sicher nicht mehr, nachdem ich ihn gleich zweimal enttäuscht hatte. Bestimmt hasse er mich. „Ach, so ein Quatsch! Ich bin mir sicher, er freut sich über deinen Besuch! Ihr scheint euch doch gut zu verstehen, so wie du dir deinen Kopf über ihn zerbrichst!", entgegnete Peggy auf einmal von der Seite und legte ihre Hand tröstend auf meine Schulter. Ich wich zurück, mochte es nicht von anderen berührt zu werden. Anderen, als Jan. Und dennoch, ihre Worte halfen mir, auch wenn sie mich etwas schockierten. Doch auch darauf kannte dieses Mädchen die perfekte Antwort. „Jetzt guck nicht so erschreckt! Bei deinem ängstlichen Blick erkennt doch jeder Blinde, wie besorgt du um Jan bist!" Ein Schmunzeln huschte über meine Lippen. War das wirklich so offensichtlich?
Vorsichtig legte Peggy nun also ihre Hand auf die Klinke der modernen, dünnen Holztür, bevor sie diese leise hinab drückte und die Tür sich augenblicklich auftat. Für eine wohl recht Neue, quietschte diese jedoch ziemlich, als sie über den Boden schliff und uns Einblick in den Innenraum des Patientenzimmers gewährte. Das Bett direkt vor uns lag leer, doch nachdem Peggy einige Schritte ins Zimmer gewagt hatte, wobei ich ihr natürlich still und unauffällig folgte, erkannten wir ihn, Jan. Schweigend lag er in seiner Matratze, den Kopf gegen das obere Holzbrett seines Bettgestells gelehnt, während er einfach nur aus dem Fenster, neben ihm, sah. Fast so, als wäre er hypnotisiert. Und seinen ganzen Körper zierten unzählige blaue Flecken und Prellungen. Seine Wange war verbeult, der linke Arm eingegipst. Um seinen Kopf trug er seinen leichten Verband und an seinem Körper waren überall kleine Gerätschaften des Krankenhauses angebracht. An einem seiner Finger zum Beispiel klemmte eine Art leichte Klammer, an seinem Arm war eine Kanüle angebracht, die ihm eine Mixtur aus einem Plastik-Beutel einflößte. Vielleicht eine Art Schmerzmittel, was wohl nicht allzu unwahrscheinlich war, so stark wie er zugerichtet. Es raubte mir beinah den Atem und ich wusste nicht recht, was ich nun sagen oder tun konnte. Jan war einfach in derart schlechter körperlicher Verfassung, dass es mich furchtbar wütend, doch noch viel mehr unendlich traurig stimmte. Und all Nervosität war plötzlich verschwunden, ja, sogar die Eifersucht, die bis eben noch so stark in meiner Brust gebrannt hatte. All das war weg, wie ausgelöscht, nur noch Sorge und Schmerz machte sich nun in mir breit. Jan, wer konnte dir das nur antun? Dir, dem liebenswürdigsten Menschen den ich kannte. „Jan.", sprach Peggy ihn nun an, doch er reagierte kaum, drehte sich nicht mal zu uns und starrte einfach weiter stumm aus dem Fenster, betrachtete die Dämmerung. „Ich hab dir jemanden mitgebracht.", fügte die Blondine da noch hinzu, doch wieder kam keine Regung von meinem Freund, bis Peggy mir mit dem Ellenbogen in die Seite stupste und mir mit Handzeichen deutlich machte, dass ich doch nun bitte mal etwas sagen sollte. Mein Herz schlug unendlich stark und so laut, dass ich selbst kaum hörte, was ich nun genau von mir gab. Doch etwas Ähnliches wie: „Hey, Jan." hatte es wohl sein müssen, denn sofort erkannte mein Kleiner die ihm wohl bekannte Stimme und drehte sich derart schnell zu uns, dass ich mich ja beinah erschreckte. Plötzlich blickte er zu Peggy und mir hinüber und Tränen stiegen ihm in die Augen. Seine tief grünen, strahlenden Augen, die nun ganz gläsern wurden. Es war, als hätte mich jemand aus meinem Grab geholt, als würde meine Lungen augenblicklich wieder zu atmen beginnen und alles wurde heller, greller. Seltsam, denn ich hatte doch nie aufgehört zu atmen oder gar zu leben, doch es war fast so, als löste sich nun eine Last von meinen Schultern. Eine Sehnsucht, die ich selbst nicht kontrollieren konnte und noch eher Jan auch nur einen Laut von sich geben konnte, stand ich bereits direkt vor seinem Bett und schloss ihn, so behutsam wie ich es nur vermochte, in die Arme.
„Es tut mir leid. Es tut mir so furchtbar leid! Verzeih, bitte! Ich werde auch ein guter, anständiger Mensch, alles was du willst, doch bitte verzeih mir!", sprach ich zitternd während mein Fuchs nur zu schluchzen begann und seine Hände sich in den Stoff meines Pullovers krallten. „Ethan! Ethan!", weinte er und wollte schon fast gar nicht mehr von mir ablassen. Ich sag euch, mein Herz ist in diesem Moment explodiert, ohne Mist! Ich dachte echt, das war's jetzt, doch hey, immerhin war ja ein Patientenbett neben Jan frei, also kein Grund zur Sorge, oder? Nein, Spaß beiseite, in diesem Moment war ich wirklich nur so fruchtbar erleichtert und unwahrscheinlich glücklich, ihn wieder in meinen Armen halten zu können. Erst nach Minuten ließ der Kleine mich gehen und ich nahm auf der Kannte seines Bettes Platz, hielt seine Hand, während er sich schluchzend die Tränen aus dem Gesicht zu wischen versuchte, einhändig. Peggy hingegen meldete sich erst einmal ab, da sie uns wohl etwas Zeit zum Klären der Situation lassen wollte. „Ich besuche kurz Mal einen Freund, der hier an der Rezeption sitzt, komm dann wieder. Also bis später!", lächelte sie glücklich und verließ schließlich das Zimmer, wofür ich ihr wirklich dankbar war. Ich wollte meinen Freund jetzt für mich allein haben und wollte diesen Streit ein für Allemal klären! Außerdem gab es ja da noch etwas zu klären: „Was ist überhaupt passiert? Wer hat dich angegriffen und wieso hast du es dem Chef und mir nicht erzählt?" So prasselten alle meine Fragen gleichzeitig auf ihn ein, was im Nachhinein wohl nicht allzu nett von mir gewesen war, doch ich konnte mich einfach nicht mehr beherrschen oder gar zurück halten. Ich musste es einfach wissen, jetzt sofort! Ich hielt diese Ungewissheit einfach nicht mehr aus! „Es tut mir so leid, was dir gestern alles an den Kopf geworfen hab! Ich wollte das eigentlich gar nicht! Nur, als ich dich mit diesem Typen gesehen habe, da ist einfach alles in mir hoch gekommen und ich hab mich total gehen lassen, bitte verzeih! Ich wollte nicht so böse zu dir sein, ich weiß doch, wie sehr du dich anstrengst, auf Arbeit alles gut zu machen!", wimmerte Jan leise und ich zog ihn vorsichtig zu mir. Sanft strich ich ihm übers Haar. „Schon okay, ich weiß genau was du meinst. Und es ist absolut nicht schlimm. Ich hab doch auch totalen Mist gebaut. Dir muss es nicht leid tun.", entgegnete ich mit warmer Stimme und dachte an das Gefühl, was Peggy in mir ausgelöst hatte. Jan war es mit Ben also genauso ergangen? Seltsam, dabei waren Benedikt und ich ja nicht einmal befreundet und dennoch, für Jan musste es wohl ziemlich eindeutig ausgesehen haben. Dabei war mein Fuchs doch mein einziger Freund und mehr wollte ich auch gar nicht. Er reichte mir vollkommen aus. „Und, ich hab dir nichts von dem hier erzählt, weil ich mich so schäme..", fügte er noch flüsternd hinzu. Da traf mich ja fast der Schlag! Erschreckt blickte ich zu meinem Freund, strich ihm vorsichtig über die, noch halbwegs gesunde, Wange. Er schämte sich? Aber weshalb denn? Fragend legte ich den Kopf auf die Seite. Was war denn daran peinlich? Es war einfach nur ein schrecklich grausames vergehen jemanden zusammen zu schlagen, vor allem da Jan scheinbar ja überhaupt nichts dafür konnte! „Ich bin doch selbst dran Schuld, wenn ich mich nicht verteidigen kann. Und das als Mann, wie erbärmlich." Fassungslos musterte ich meinen Gegenüber. Erbärmlich?! Was?! Also, mal ehrlich? Das konnte Jan doch nicht wirklich ernst meinen, oder?! „Nein, Quatsch! Dass irgendein Idiot auf einen anderen losgeht, nur weil dieser schwächer ist, das ist erbärmlich! Das und nichts anderes!", erwiderte ich aus vollster Überzeugung, woraufhin sich mein Fuchs nur noch mehr an mich klammerte. „Erinnerst du dich noch an die Jungs, die uns nach der Karaoke-Bar verfolgt haben?", jammerte der Kleine leise, während ich ihm sachte den Rücken streichelte und ja nur ach so schlimmes ahnte. Nein, oder? Das konnte doch nicht sein! Diese Gruppe von totalen Affen konnte doch unmöglich auf einen Einzigen los gegangen sein, oder? Ja, diese Jungs schienen echt nicht gerade wie die hellsten Kerzen auf der Torte, doch so unfassbar kacke konnten doch selbst die nicht sein, oder?! Doch meine schlimme Vermutung, die ich am liebsten gar nicht erst wahrhaben wollte, bestätigte sich leider Gottes kurz darauf bereits. „Die haben mich abgefangen, als ich nach diesem Streit von deiner Wohnung zu mir nach Hause gelaufen bin. Tut mir schrecklich leid, doch ich konnte es dir oder dem Chef nicht sage! Allein diese Fragen, die dann aufgekommen wären.", verriet Jan und in mir zog sich alles zusammen.
Verdammt, wie schon auf der Autofahrt hierher angenommen, passierte der Übergriff auf meinen Freund auf seinem Heimweg von mir. Damit war ich doch auch daran Schuld. Wäre ich ihm nach gelaufen oder hätte ihn sofort aufgehalten, wäre das alles gar nicht erst passiert! Stumm senkte ich den Kopf, strich über die zarte Haut von Jans Hand. Diese umgriff noch immer meine Finger und hielt sich so an mich fest, während Jan vorsichtig seinen Kopf gegen meine Brust lehnte. „Welche Fragen?", fiel mir da plötzlich ein, als ich seine Worte noch einmal überdachte und ich spürte, wie mein Freund deutlich vor Angst zusammen zuckte. „Nun", begann er leise und es war nur zu klar zu hören, wie viel Furcht in seiner Stimme lag. Zitternd fuhr mein Freund mit seiner Antwort fort und wurde zum Ende hin immer leiser und leiser, sodass ich mich wirklich stark konzentrieren musste, um ihn überhaupt noch zu verstehen und ihm folgen zu können: „Na, dann würden die Leute fragen, was passiert ist und ich müsste es ihnen erklären. Dann käme sicherlich die Frage auf, weshalb diese Typen mich angegriffen haben und was bitte soll ich denn darauf entgegnen? Ja, tut mir leid, die denken, ich bin schwul und sind homophob! Ist doch klar, dass die Leute dann wissen wollen würden, wieso diese Jungs das denken. Das erfindet man ja nicht einfach so, wenn man jemanden auf der Straße sieht. Dafür gibt's ja Gründe." Aufmerksam lauschte ich seinen zarten Sätzen, bis er sie beendet hatte und nun mit unruhigem Atem unsicher begann, sich leicht hin und her zu bewegen, während er an meinem Oberkörper lehnte. Schwul? Was war das gleich? Das bedeutete doch, er liebte andere Jungen, oder? Nun, ich war mir wie gesagt völlig bewusst darüber, dass Liebe eigentlich etwas völlig anderes bedeuten musste als das, was mein Vater mir beigebracht hatte. Von daher, was sprach denn bitte dagegen, wenn zwei Menschen zueinander fanden? „Und? Ist doch egal. Das gibt denen doch noch lange nicht das Recht, dich so zuzurichten! Selbst, wenn du jetzt einen Jungen liebst, Mann, selbst wenn du einen verdammten Esel liebst! Ist doch völlig egal, solang du niemandem mit schadest, was du nicht tust! Denkst du nicht auch?", sprach ich und spürte, wie Jan den Kopf erhob um mich mit seinen grünen Augen fest anzublicken. Noch nie war sein Blick so voll Glück wie in diesem Moment und das, obwohl noch immer dicke, nasse Kullern an seinen Wangen hinab rannten. „Danke, Ethan. Wirklich, ich bin so froh, dass ich dich hab. Danke!", hauchte er beinah sprachlos und umarmte mich derart fest, dass ich beinah aus dem Bett fiel. Ich begann mich lachen und wuschelte meinem Freund verspielt durch die Haare. „Spinner. Wegen sowas machst du dir also Sorgen.", schüttelte ich nur den Kopf über meinen Freund, der daraufhin das Gesicht verzog. „Lass mich doch! Worüber machst du dir denn den ganzen lieben langen Tag Gedanken! Sicher über etwas ähnlich blödes!", steckte er mir frech die Zunge heraus, während er sich langsam wieder zurück an sein Bettgestell lehnte. „Nein, über nichts Blödes. Über dich.", antwortete ich in diesem Augenblick zu hundert Prozent ehrlich, woraufhin ein feuerroter Ton Jans Wangen erklomm und er sein verlegen zur Seite drehte.
In diesem Moment klopfte es dann auch bereits an der Tür und Peggy trat in den Raum. Mit ihr trug sie drei Tassen warmen Tee, reichte uns jeweils einen, holte sich einen Stuhl ran und setzte sich so zu uns ans Bett. Und so begann eine entspannte Gesprächsrunde und Jan, der bis vor unserem heutigen Besuch kein Wort im Krankenhaus von sich gegeben hatte, sprach nun völlig befreit und wollte beinah schon gar nicht mehr mit dem Reden aufhören. Das ließ mich Grinsen. Wie konnte er nur derart niedlich sein? Unglaublich!

Höllenkrieger- Legt die Waffen nieder!  || Boyslove! Yaoi!♡~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt