74. Kapitel- Die Volle Wahrheit

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„Hey.“ Ein Klopfen riss mich aus dem Schlaf und ich sah mich müde um. Ich erkannte den unbequemen Autositz unter mir und erblickte Jans zerzaustes Haar auf der anderen Seite der Fensterscheibe, direkt vor mir. „Ich hab Kaffee gekocht. Komm hoch, ja?“ Meinte er nur und öffnete die Beifahrertür für mich. Er lächelte mich nicht an, natürlich nicht. Er gab sich allgemein nicht wirklich freundlich, doch seine Wut wirkte nicht mehr so lodernd. Ich nahm an, er hatte sich beruhigen können und obwohl uns beiden klar war, dass er nichtsdestotrotz sehr verletzt und zornig mir gegenüber war, schien er im Moment recht gefasst zu sein.
Ich stieg also aus und folgte ihm hinauf in die Wohnung.
Dort sah es wirklich nicht sonderlich aufgeräumt aus. Peggy hatte Recht, überall standen leere Glasflaschen herum. Alkohol. Dass er ab und zu mal trank, wusste ich, doch das hier hatte ganz neue Dimensionen angenommen. Dennoch stand es mir nicht zu, etwas darüber zu sagen, immerhin war ich der Grund für diese ganze Sache.
Jan führte mich zum Sofa, auf welchem ich mich nieder ließ. Auf dem Couchtisch hatte er zwei
Teller mit Toasts bereit gestellt. Um sie herum waren allerlei Aufstriche und Marmeladen verteilt.
„Hier.“, reichte er mir den versprochenen Kaffee und ich nickte dankend. Womit hatte ich das alles
hier verdient? Das fragte ich mich wirklich. Gestern hatte er sich noch kalt an mir gerächt und heute
machte er mir Frühstück? Irgendwie kam ich da nicht ganz mit. Er vermutlich auch nicht.
Ich sah zu, wie Jan sich neben mich setzte und etwas vermutlich alkoholisches in seinen Kaffee
goss. „Irischer Kaffee. Du auch?“, kommentierte er, als er meinen Blick bemerkte, doch ich
schüttelte nur stumm den Kopf. Reichte ja, wenn sich einer von uns schon am frühen Morgen
betrank.
Die Situation war seltsam. Also wirklich sehr seltsam. Ich wusste nicht recht, wie ich damit
umgehen sollte, also hielt ich mich an Jan. Dieser tat einfach ganz normal, das imitierte ich. „Und,
wie läuft es sonst so?“, versuchte ich die, mir sehr unangenehme, Stille zu brechen, während ich mir
mein Toast mit Honig bestrich. Jan sah ziemlich abgemagert aus. Ich fragte mich, ob er regelmäßig
etwas aß. Vermutlich eher nicht, schloss ich aus meinen Überlegungen.
Er jedoch begann zu lachen und sah mich kopfschüttelnd an. „Ist das dein Ernst?!“, meinte er und
konnte sich das grinsen nicht verkneifen. „Bist du bescheuert?“, belächelte er meine Frage,
woraufhin auch ich zu schmunzeln begann. „Ja, ganz eindeutig.“, erwiderte ich lächelnd, doch
spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen. Scheiße, ich vermisste ihn. So so sehr.
Er biss von seinem Toast ab, als ich mich gerade innerlich beruhigte. Ich konnte unmöglich schon
wieder losheulen. Vor allem nicht jetzt, wo wir doch so taten, als wäre alles okay.
„Und? Bei dir? Erzähl mal. Wenn du es nicht für die Sekte tust, wieso machst du es dann? Macht's
dir Spaß?“ Jan sah mich bei seiner Frage nicht an, sondern starrte stur auf seinen Teller hinab.
Vermutlich fürchtete er sich vor der Antwort. Naja, mit dem Smalltalk war es das dann wohl erst
einmal. „Nein. Auf keinen Fall. Ich hasse es.“, antwortete ich wahrheitsgemäß und seufzte leise.
„Ich mache das für meine Schwester. Sie hat ein großes Opfer gebracht und ich steh in ihrer Schuld.
Sie sagt mir, was ich tun soll.“, erklärte ich, ohne zu tief ins Detail zu gehen. Aber als ich sah, dass
Jan diese Aussage wohl nicht genügte, versuchte ich es doch verständlicher für ihn zu gestalten.
„Gut, also wenn deine Eltern dir sagen würden, wer sie umgebracht hat. Wenn sie dir den Namen,
die Adresse und alles nennen und dich bitten, den Typen umzubringen, würdest du es dann
machen?“ Jan erhob seinen Blick und wandte sich mir zu. „Ja.“, entgegnete er augenblicklich, aber das hätte er
nicht einmal tun müssen. Denn ich wusste, dass er bejahen würde. Ich wusste es, er wusste es, vermutlich
wussten es sogar seine toten Eltern. Jan brauchte den Befehl dafür nicht, er würde diesen
Kerl auch aus Eigeninteresse töten. Denn eine Sache hatte ich aus dem gestrigen Abend gelernt: Jan
war eine sehr rachsüchtige Person. Jeder hat Schwächen.
„Darf ich was fragen?“ Ich erwiderte Jans Blick wacker, als er nickte und ein kurzes „Klar“ seine
Lippen verließ. Seine Lippen waren so wunderschön. Auch wenn sie mich an gestern Nacht erinnerten
und mir diese ganze Ben-Sache das Blut in den Adern gefrieren ließ.
„Du hast etwas von Höllenmenschen erzählt gestern. Was ist das?“, wollte ich wissen und Jan
musste einmal tief durch atmen bevor er sich zurück gegen die Sofa-Lehne fallen ließ und erzählte:
„Also in der Sekte gibt es eine Art Auftragsmörder namens Höllenkrieger. Die nennen sie so, weil sie aus der Hölle kommen um Sünder zu strafen. Verrückt ich weiß, aber wie auch immer. Auf jeden
Fall ist es so, dass wenn ein Mitglied austreten will, der Sekte schadet oder sonst was in der
Richtung tut, der Höllenkrieger kommt und das Leben dieser Person auslöscht. Als Strafe, aber auch
als abschreckendes Beispiel für alle anderen. Damit die Mitglieder Gehorsam zeigen, durch Angst.“
Ich verzog das Gesicht. Das war absolut grausam! „Wieso sollte man da überhaupt eintreten?!“,
dachte ich laut und konnte es echt absolut nicht verstehen. Auch Jan zuckte nur mit den Schultern,
doch ich wusste ja bereits, dass seine Eltern scheinbar in der Sekte gewesen sein mussten. „Dann
wollten deine Eltern austreten und sind von einem Höllenkrieger getötet wurden?“ Jan nickte. Oh
man, das war wirklich verdammt hart. Es tat mir so leid für Jan. Seine Eltern auf diese Weise zu
verlieren musste extrem schrecklich für ihn gewesen sein.
„Es gibt immer drei von denen. Das ist etwas schwer zu erklären und auch nur theoretisch korrekt,
denn alles rund um das Thema ist sehr geheim gehalten. Meine Kontakte konnten mir nur wenige
Informationen darüber geben. Aber sie haben es so geschildert: Alle neun Jahre wird ein
Höllenkrieger ausgewählt.“ Ich verstand rein gar nichts. Es gab mehrere von diesen Mördern?
„Okay. Hör zu, fangen wir ganz vorn an. Es gibt einen aktiven Auftragskiller. Den Höllenkrieger.
Mit seiner Volljährigkeit wird er in den Dienst berufen und bringt Leute für die Sekte um. In der
Zeit, in der er schon mordet, gibt es bereits zwei neue Höllenkrieger, die jedoch noch Kinder sind.
Da sie noch nicht aktiv töten nennt man sie nicht Krieger, sondern Höllenkinder. Das erste Kind ist
neun Jahre jünger als der Mörder. Es ist dafür da, dass wenn der Mörder sterben sollte, es direkt
einen Nachfolger gibt. Und wenn das Kind dann volljährig ist, wird der alte Mörder getötet und das
Kind wird zum neuen Mörder. Das zweite Höllenkind ist zu diesem Zeitpunkt dann auch wieder
neun Jahre alt und ist der neue Nachfolger und so weiter. Es ist ein Kreislauf. Stirbt einer der drei
bzw. wird er durch einen neuen Mörder ersetzt und umgebracht, wird das nächst-geborene Kind der
Sekte das neue Höllenkind. Damit es eben immer drei sind. Verstehst du?“
Was zum Teufel? Was war das denn bitte für eine wahnsinnige Scheiße? Wer hatte sich das 
ausgedacht?! „Welche Familie macht da denn mit?! Oder holt man die Kinder von ihren Eltern weg?“,
wollte ich wissen und konnte ansonsten noch gar keinen klaren Gedanken über das ganze fassen.
Ich konnte es echt nicht glauben. Dass jemand so etwas wirklich durchziehen könnte und das
vermutlich schon seit Jahrzehnten.
„Die Familien sehen es als eine Ehre an, wenn ihr Kind der Sekte dienen darf. Die Kinder dürfen
nur in besonderen Lebensumständen aufwachsen, heißt es. Sie sollen möglichst grausam erzogen
werden. Mit viel Gewalt und so, damit sie später brutal und kalt werden. Damit sie beim Töten
keine Gnade zeigen. Einige Familie behalten ihre Kinder und halten sich an diese strengen
Auflagen. Viele Eltern geben ihre Kinder zu ausgewählten Experten der Sekte.“
Darum dachte er, ich sei einer von denen. Ich sah an mir herab. Jan dachte es nicht nur wegen Ben,
sondern auch wegen meinem geschundenen Körper. Den Narben und der Geschichte, die hinter
ihnen steckte. „Woher weißt du das alles?“
„Ich beschäftige mich nicht erst seit gestern damit, Ethan. Ich hab seit vielen Jahren zahlreiche
Kontakte im Untergrund der Stadt. Ich weiß alles, was man über diese Sekte wissen kann, solang
man nicht Teil davon ist. Darum habe ich dich hier hoch geholt. Du sollst mir helfen. Selbst wenn
du kein Teil der Gruppe bist, kannst du mir erklären, wie so ein Mörder vorgeht. Und du wirst
meine Geheimwaffe. Oh und damit das hier funktioniert muss ich deine Schwester kennen lernen.
Ich kann nicht zulassen, dass du weiter mordest. Das ist widerlich.“
Schwer schluckte ich. Meine Schwester? Oh verdammt. Ich hatte gehofft, dass es nicht so weit
kommen würden. Ich strich mir über die Stirn, schnappte mir meinen Toast und biss davon ab. Als
ob ich einige Sekunden Zeit ergattern wollte, nur um mir zu überlegen, wie ich Jan das am besten
erklären sollte. 'Sorry, aber meine Schwester ist tot. Was? Wieso ich sie trotzdem noch höre? Keine
Ahnung, vermutlich weil ich komplett gestört bin.' So oder wie? Nein. Natürlich nicht.
„Was ist nun?“, seufzte Jan und nahm einen großen Schluck seines Kaffees. Er lehnte noch immer
an der Rückenlehne. Doch setzte er sich nun schräg daran, sodass er direkt zu mir gewandt war.
Seine Schulter lehnte an dem weichen Stoff der Couch, seine Beine hatte er an sich heran gezogen,
stellte seine Tasse auf seinen Knien ab, selbstverständlich ohne sie loszulassen.
Er war bereit für einen Deal mit mir, mit meiner Schwester. Doch kannte er noch nicht die ganze
Wahrheit und die würde ihn ohne Zweifel echt schocken. Noch mehr als das alles sowieso schon.
„Okay.“, begann ich zögernd. „Wie soll ich es sagen?“ Ich schloss die Lider für einen Moment. „Sie
ist tot. Und das schon ziemlich lange. Seit wir beide uns kennen eigentlich. Und ja, ich weiß, dass
muss dir ganz komisch vorkommen, doch ich bin nicht verrückt. Ich schwöre es dir! Höre ich meine
tote Schwester? Ja. Doch sie erzählt mir Einzelheiten der Opfer, die ich sonst nicht wissen kann. Sie
sagt mir, wie sie heißen, wo sie wohnen, beschreibt mir ihr Aussehen. Ich selbst habe die Menschen
vorher noch nie gesehen! Ich weiß, das klingt völlig bescheuert, aber ich höre sie wirklich. So
deutlich und real, wie ich dich höre!“
Regungslos starrte Jan mich an. „Bitte was?“, fragte er nach einer ganzen Weile des Schweigens.
Und man ich wusste, dass er so reagieren würde. Er glaubte mir nicht. Ich glaubte mir ja selbst
nicht! Aber, es stimmte. Ich konnte es doch auch nicht ändern.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 27, 2019 ⏰

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Höllenkrieger- Legt die Waffen nieder!  || Boyslove! Yaoi!♡~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt