31. Kapitel- Die Rede

74 12 2
                                    

Augenblicklich wandte ich mich zurück in den gigantischen Raum, da entdeckten ihn meine Augen und meine Pupillen weiteten sich vor Schreck. Durch den ganzen Stress hatte ich ja beinah vergessen, dass auch er in diesem Club verkehrte, Ben. Langsam ordneten sich meine Gedanken wieder, als er bereits lächelnd winkend zu mir hinab sah. Ich war hier wegen Jan! Ich musste mein Leben in den Griff bekommen, um ihn nicht erneut zu verletzten! Und nur hier, nur durch Ben, würde ich zu den Erkenntnissen kommen, die ich dafür benötigte, da war ich mir hundertprozentig sicher! Und so zog sich meine Hand von der edlen, goldigen Klinke der Tür zurück, während ich beobachten konnte, wie mein Bekannter langsam die Treppe zu mir hinab schritt. Auch er trug einen dunklen Anzug, doch anstatt einer schlichten Krawatte, wie all die anderen, trug er eine feine, weiße Fliege, welche ganz hell im Licht schimmerte. Sein Haar war ebenso ordentlich, doch wirkte viel natürlicher, als das fest gegelte Haar seiner Club-Kollegen. Allgemein vernahm man ganz deutlich spürbar, wie wohl er sich in dieser Halle fühlte. Es war fast so, als hätten wir uns in seinem Wohnzimmer getroffen. „Ich hätte, um ehrlich zu sein, nie gedacht, dass du wirklich kommst. Umso mehr freut es mich allerdings!", sprach er sanft, als er mich endlich erreicht hatte. Die restlichen Edelleute hingegen warfen uns nur einen kurzen Blick zu, bevor sie allesamt durch die festlich geschmückte Tür hinter sich verschwanden. Nervös schluckte ich schwer, wusste im ersten Moment gar nicht, was ich nun zu sagen hatte! Wie sollte ich beginnen? Konnte ja schlecht einfach so frei heraus fragen, was es mit diesem Zeichen auf sich hatte, also beschloss ich mich für ein kurzes „Hallo." und schüttelte derweil die, zu mir herausgestreckte, Hand meines Gegenübers, um ihn angemessen zu begrüßen. Ich fühlte mich zwar noch immer recht unwohl, denn mir war ja vollkommen bewusst, wie manipulativ und falsch Ben sein konnte, ohne Frage, doch dennoch gab er sich charmant wie eh und je, sodass man fast gezwungen war, ihm Glauben und Vertrauen zu schenken. Abgesehen davon war das hier meine einzige Chance auf ein, vielleicht doch noch, zumindest halbwegs normales Leben und diese sollte man schließlich auch nutzen! „Komm, wir fangen gleich an.", nickte mir Ben freundlich zu, ich stattdessen fragte mich nur, was nun beginnen würde. Gab es bei dem Treffen einen geregelten Ablauf? Ohne jegliche Ahnung zu haben, was nun folgen würde, begleitete ich meine Bekanntschaft also die massive Treppe hinauf, wobei sich das mulmige Gefühl in meinem Magen immer weiter verhärtete, fast so als liefe ich gerade so in mein eigenes Unglück. Seltsam.
Ben führte mich durch die Forte, durch die auch seine schlechten Klone gegangen waren, bis hin in einen prächtigen Saal. Einmal mehr stand ich ziemlich baff neben meinem Anzugträger und konnte diesen Luxus, der hier ganz offenbar als Stilmittel oder einfach nur zum Protzen, angewendet wurde, kaum fassen. Riesig war auch diese Halle, wobei sie ganz anders aussah, als die davor. Denn nicht nur die Erhöhung, ähnlicher einer Bühne, am Ende des Raumes, nein, auch die unzähligen Bankreihen links und rechts von einem kleinen Durchgang, waren beeindruckend ungewöhnlich. Die Wände zierten große, kunstvolle Fenster aus tief blauem Glas, auf denen ab und an kleine Verschnörkelungen zu entdecken waren. Dieser Ort war unglaublich, kaum zu fassen, dass ich ihn mit eigenen Augen zu Gesicht bekam. Hätte ich es allerdings nicht selbst gesehen, hätte ich es vermutlich niemandem geglaubt, dass in so einem schlichten, unauffälligen Stadtviertel, so ein Schatz verborgen lag. Ihr könnt diesen Saal sicherlich mit Kirchen oder ähnlichem vergleichen, ich jedoch war so überfordert von diesem ganzen Reichtum, dass ich es kaum in Worten ausdrücken konnte, weshalb ich einfach nur mit offenem Mund dort stand und die blau gefärbten Strahlen der Sonne, welche in den Raum trafen, bestaunte, bis Ben mich am Ärmel meines Oberteils in eine der mittleren Bankreihen zog. Gehörig folgte ich ihm, ließ mich langsam hinab gleiten, bis ich saß und zum ersten Mal den Mann im blauen Gewand wahrnahm, der ganz vorn auf der höhergestellten Fläche Platz fand und höflich lächelnd den 'Neulingen' zu nickte. Diese schien es hier sogar nicht gerade wenig zu geben, denn nur wenig Umsehen zeigte mir schon Massen an jungen Leuten, welche in Arbeits- oder Alltagskleidung auf den Bänken kauerten, neben ihnen stets einer der Anzugträger, der wohl ihren Begleiter darstellte. Seufzend drehte ich mich zu Ben. Also war er nicht nur mein Bekannter, sondern Begleiter in jeglicher Hinsicht. Es erging wohl vielen ähnlich wie mir, der Antworten auf Fragen suchten. Da war es sicherlich nur gut, gleich von Anfang an einen erfahrenen Ansprechpartner an der Seite wissen zu dürfen, oder? Nun, ganz unpraktisch war es sicher nicht, dennoch, die wahren Hintergründe dieses Handelns verstand ich zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht, doch etwas komisch kam es mir schon irgendwie vor. Die Stimmung war so angespannt, zumindest bis der Sprecher auf der Bühne mit seiner Ansprache begann.
„Nach einer kurzen Rede beginnt die Gesprächsrunde. Die machen wir, um erst einmal Vertrauen zu schaffen und ein freundschaftliches Klima herbei zu führen. Dabei erzählt jedes Mitglied, vor allem die Neuen, was sie so für Probleme haben, bei denen wir ihnen helfen können, sodass wir sie gemeinsam lösen. Wir helfen uns hier alle gegenseitig, es ist wirklich sehr familiär. Du kannst also ruhig frei sprechen und brauchst absolut keine Angst haben, wir stehen ja hinter dir.", begann Ben da plötzlich zu mir zu flüstern und erklärte mir somit den Ablauf des heutigen Treffens, wofür ich ihm auch ausgesprochen dankbar war, denn so ganz planlos hier zu hocken und den Worten eines Fremden zu lauschen, war dann doch nicht so wirklich das, was ich mir erhofft hatte. Eins jedoch störte mich gewaltig an seiner Aussage! So sehr, dass sie mir sogar das Blut in meinen Adern gefrieren ließ. Fremden meine Probleme verraten?! Ich sträubte mich ja schon davor, es allgemein auszusprechen, hielt es sogar für völlig unmöglich und dann sollte ich auch noch mit Fremden darüber reden?! Wirklich?!
Nervös blickte ich mich um, während der bläulich bekleidete Prediger bereits seine Rede beendet hatte und nun fröhlich einen Neuen nach dem nächsten aufrief, wobei ein jeder ihm seine Probleme gestand, nur damit er ihnen schließlich immer mit einer perfekt ausformulierten Lösung entgegnen konnte. Wie deprimierend. Ich fand also nicht einmal auf eine einzige meiner Fragen eine brauchbare Antwort und dieser Typ zog sie sich ganz leicht aus dem Ärmel, als wäre es nichts? Doch, das sollte in diesem Moment kein Thema sein. Mich beschäftigte nämlich etwas viel dringenderes! Panisch sah ich zu, wie immer mehr der Neuen aufstanden, um das Wort an sich zu nehmen. Man konnte sich also denken, dass ich meiner Ansprache immer näher kam, doch was bitte sollte ich denn sagen?! Ich konnte doch schlecht über die Wahrheit sprechen! Wie auch?! Und sowieso, niemand sollte es wissen, sollte erfahren, dass ich ein Monster war. Nie hätte ich ihren Blicken und dem Geflüster stand halten können, niemals hätte ich es ertragen oder gar damit umgehen können. Nein, dieses Geheimnis konnte ich niemandem anvertrauen, ganz ausgeschlossen! Ich fuhr zusammen und augenblicklich richtete sich meine gesamte Aufmerksamkeit auf Ben, als ich mir über einen erschreckenden Fakt klar wurde. Es fiel mir beinah wie Schuppen von den Augen, ich konnte kaum fassen, es bisher nicht bemerkt zu haben, doch Ben wusste von Jans Existenz. Er kannte ihn! Konnte ihn mit einiger Recherche vermutlich sogar ausfindig machen! Würde Ben also von meinem wahren Ich erfahren, läge die Vermutlich nicht weit, dass auch Jan Wind davon bekommen könnte! Schwer schluckte ich, als ich bereits deutlich spürte, wie meine Wangen sich kreidebleich färbten. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, hier her zu kommen? Jan hasste mich doch wieso schon genug, sodass er mir scheinbar aus dem Weg ging und das so extrem, dass er nicht einmal bei der Arbeit erschien, doch was wusste ich schon! Ich war einfach unsicher, konnte mit der jetzigen Situation halt echt nicht mehr umgehen!
Läge die Hand meines kleinen Fuchses in meiner, würde mich sein strahlendes Lächeln nur noch ein einziges Mal treffen, vielleicht hätte ich dann die Kraft gehabt, das hier heil zu überstehen, ohne derartig in Panik zu verfallen! Nur für einen klitzekleinen Moment, nur, damit ich das Licht in meiner Dunkelheit nicht völlig aus den Augen verlor. Ganz kurz nur, um zu wissen, dass es die Qual doch wirklich wert war.
Schwer stieß ich die Luft aus meinen Lungen. Ich musste zu ihm, zu Jan, musste das einfach klären! Ich würde mich entschuldigen, würde alles tun, was er verlangte. Nur hassen sollte er mich nicht, meiden genauso wenig. Wir waren doch Freunde, oder? Und ich wollte, dass es auch so bleibt. Mit ihm war alles so viel einfacher.
Und so machte ich mir Gedanken über Gedanken, welche allesamt kreuz und quer durch meinen Kopf flogen, sodass ich kaum noch etwas von meiner Umwelt wahr nahm, bis es auf einmal mucksmäuschenstill um mich wurde und mich irgendetwas am Ärmel meines Oberteils zog. Augenblicklich erwachte ich aus meinem Tagträumen und fand mich noch immer im Saal des Clubs wieder, neben mir ein eindringlich schauender Ben. Er war es, der meinen Arm umgriff, da er mein Abschweifen wohl bemerkt haben musste. Und auch, als ich vorsichtig damit begann, meinen Blick auszuweiten, fiel mir auf, dass sie allesamt nur einen einzigen anstarrten, welcher in diesem Moment wohl im absoluten Mittelpunkt zu stehen schien. Tja, blöd nur, denn wie sollte es auch anders sein, war ich derjenige war, welchen es traf. Dabei muss ich vermutlich nicht nochmal darauf hinweisen, dass ich es hasste, wenn sich die Aufmerksamkeit anderer nur auf mich richtete. Es belastete mich so arg, dass ich ganz plötzlich kaum noch zu einem klaren Gedanken gelangen konnte. Mein Kopf war nun völlig leer, als ich mich langsam von meinem Sitzplatz erhob und zitternd zu dem bläulich bekleideten Sprecher hinauf sah. „Wie ist dein Name, Junge? Nenn uns doch deine Last, damit wir auch dir helfen können.", sprach dieser inzwischen bereits, da meine Kehle wohl keine Spur von Anstalten machte, einen Ton hinaus zu lassen. Doch selbst wenn ich etwas hätte heraus bekommen können, blieb die Frage was genau es sein sollte. Welche Worte wären die richtige Wahl? Es war zu spät um sich eine gute Ausrede zu überlegen, doch die Wahrheit konnte ich diesen Leuten auch schlecht offenbaren. Und so blieb mir gar nichts anderes über, als all meinen Mut zusammen zu schaufeln und mich mit aller Kraft zu folgender Antwort zu überwinden: „Ich bin Ethan und.." Kurz nur stockte ich, fragte mich, ob es nicht doch möglich war, vielleicht jetzt noch schnell abzuhauen, verwarf diese Idee aber schnell wieder und fügte stattdessen mit brüchiger Stimme und so leise, dass man es kaum noch vernahm, hinzu: „Und ich bin ein schlechter Mensch."
Ganz ruhig war es im Saal, kaum einer traute sich überhaupt zu Atmen, nur ich stand dort, mit zitterndem Körper und spürte, wie mich die Blicke meiner Mitmenschen durchbohren. Was für ein grausames Gefühl, sodass ich meine Aussage am liebsten sofort zurück gezogen hätte! Doch, was hätte ich bitte sonst erwidern sollen? Was wenn nicht diesen Satz, der so furchtbar viel Gewicht hatte, doch genauso unglaublich ehrlich war? Ich wusste nicht, wie ich es anders hätte ausdrücken können, dennoch war mir bewusst, welch Entsetzen ich bei den feinen Anzugmännern und ihren zarten Begleitern entfacht haben musste. Langsam wandte ich mich von dem Sprecher ab, den ich die letzten paar Augenblicke unsicher betrachtete hatte. Ich wollte mich setzten, wollte der Situation auf diesem Weg entfliehen, doch leider wurde mich sofortig deutlich gemacht, dass dies wohl nicht so einfach zu akzeptieren war. „Das war auch ich früher!", verkündete der Redner nämlich ganz plötzlich und augenblicklich ging ein fassungsloses Raunen durch den Raum, ausgehend von den Clubmitgliedern, welche wohl nicht mit solch einer Aussage gerechnet hatten. Als ob die alle immer nur gut waren, klar. Innerlich schüttelte ich den Kopf über diese Leute, was dann jedoch geschah, verblüffte sogar mich, denn als der Mann im Gewand mit seinen Worten fortfuhr, regte sich etwas in mir, etwas, dass sich beinah wie Hoffnung anfühlte. Hoffnung auf ein besseres, friedvolles Leben ohne Schuldgedanken, ohne Qualen. „Doch hier, durch diese wundervolle Familie lernte ich, ein besserer, gar guter Mensch zu werden. Auch du kannst das schaffen, werter Bruder. Auch du kannst ein guter, stolzer Mensch werden. Und wir helfen dir dabei!", wendete er sich mit diesen wenigen, doch tatsächlich sehr aussagekräftigen Sätzen nun direkt an mich und ich? Nun, ich war völlig geplättet. Seine Aussagen, die auf mich wie eine Erlösung klangen, als wären all meine Ängste und Sorgen so leicht zu lösen, hinterließen einen sehr starken Eindruck bei mir, wie ihr euch sicher denken könnt. Ich meinte, natürlich war ich mir zwar noch immer nicht eindeutig im Klaren darüber, ob dieser alte Mann tatsächlich Recht haben konnte. Ob ich es wirklich schaffen würde, mich zu ändern, jedoch wollte ich nichts von dieser Unsicherheit wissen, nicht jetzt, nicht in diesem Moment! Ich wollte ihm glauben, brauchte einfach einen Halt, eine Aussicht auf das Ende meiner Zerrissenheit, meines Problems. Wie lange würde es noch so weiter gehen? Gab es überhaupt einen Ausweg aus meiner derzeitigen Lage, irgendwann vielleicht einmal? Diese Worte eines völlig fremden Mannes schenkten mir die Hoffnung, diese eine Frage vielleicht doch bejahen zu können, wenn auch noch nicht in diesem Augenblick.
Ich ließ mich auf die Bank neben meinen Begleiter fallen. Ein besserer Mensch also? Schön wäre es sicherlich und wäre ich ein guter Mensch, würde auch Jan mir mit Sicherheit verzeihen, sodass wir zusammen glücklich werden könnten.
Noch ein letztes Mal sah ich mich in diesem prächtigen Saal um. Wenn diese Leute mir tatsächlich helfen konnten, vielleicht war es dann doch keine allzu schlechte Idee, sich ihnen zu offenbaren, zumindest in unbestimmter Zukunft. Zumindest, wenn ich dadurch ein besserer Mensch werden würde. Für Jan, für mich, für unser gemeinsames Leben.

Höllenkrieger- Legt die Waffen nieder!  || Boyslove! Yaoi!♡~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt