41. Kapitel- Warum?

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Eine seltsam friedliche Ruhe lag in der Luft an jenem späten Abend, in jenem fremden Haus. Gerade schlich ich den Flur entlang, langsam, still, während ich bereits vor Minuten schon am ganzen Leib zu zittern begonnen hatte. Kaum zu beschreiben war sie, die Angst, welche ich in diesem Augenblick stark und deutlich empfand. Es war die Ungewissheit, was nun folgen würde, die mich fürchten ließ. Zudem verstand ich nicht, was hier gerade geschah. Wieso war diese Frau so nett zu mir? Weshalb ihre Worte von 'erwarten'? Es war ja nicht gerade so, dass ich mich vor einem Besuch angekündigte! Meine Gedanken folgen einfach wirr durch meinen Kopf, ließen sich nicht ordnen und dennoch vernahm ich ganz deutlich, wie alles in mir rief: 'Renn!' Ganz unbehaglich fühlte ich mich in diesem Häuschen. Ob es die Schuldgefühle waren, die mich nun ganz und gar zu erdrücken begannen?
Kurz nur sah ich von meinen Schuhen auf, blickte zu den engen Wänden des langen Hausflures hinauf und musste etwas Erstaunliches feststellen. Etwas, dass mich sogar meine gewaltige Furcht für einen kurzen Moment vergessen ließ. Denn es waren Schriften, welche die sonst so kahlen Wände dieses Raumes füllten. Zeitungsartikel, eingerahmt in verziertes Edelholz. Ich konnte meinen Augen kaum trauen, so viele von den kleinen Papieren erfasste mein Sehsinn in diesem Durchgang. Und mit welcher Liebe sie hier angebracht waren, begriff ich auch erst bei dem zweiten Hinsehen. „Gefallen sie dir?“, ergriff die Dame des Hauses nun erneut das Wort und ich fuhr erschrocken zusammen, hatte schon ganz vergessen, dass auch sie Teil dieser Situation war, so sehr nahm mich der Anblick dieser Rahmen in seinen Bann. Noch nie hatte ich gesehen, dass jemand sich so viel Mühe gab und das nur für ein paar einfache Zeitungsausschnitte. „Ja.“, erwiderte ich dementsprechend und vernahm dabei das deutlich hörbare Zittern meiner Stimme, während wir nun in die geräumliche Küche der alten Frau einbogen. Hier fanden sich, abgesehen von den gängigen Küchenutensilien, auch eine einladend ausschauende Sitzecke und viele bunte Topfpflänzchen wieder. Alles in allem ein wunderschön eingerichteter Raum, in dem ich nur zu gern einmal ein ausgelassenes Frühstück mit meinem Fuchs genossen hätte. Sofort musste ich mir vorstellen, wie er mich glücklich lächelnd mit zwei Tassen Kaffee empfing, während ich ihm fröhlich ausgeschlafen sein rotes Haar aus dem Gesicht strich, seine süßen Sommersprossen betrachtete, ganz nah bei ihm... „Die Artikel sind von mir. Ich bin Jounalistin.“, riss meine Gastgeberin mich dann jedoch ganz plötzlich aus meinen wirklich furchtbar dummen Tagträumen und ich fiel augenblicklich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück, dort, wo ich auch hingehörte. Ich war hier um diese Dame zu ermorden und nicht, um mir vorzustellen wie ein Essen mit meinem Freund so verlaufen könnte! Hallo, spann ich nun total oder was?! Konnte ich mich denn nicht einmal konzentrieren?! Ich hatte doch beschlossen, das hier möglichst schnell hinter mich zu bringen! Also echt, ich sollte mich 'mal zusammen reißen! „Ich verzichte auf den Tee!“, begann ich also augenblicklich zu knurren und meine Stimmung veränderte sich schlagartig. Rasch sah ich mich um, suchte nach einer geeigneten Möglichkeit diese Frau möglichst rasch loszuwerden.
„Das wird mein letzter Tee sein. Gewähre ihn mir doch bitte.“, sprach meine Gegenüber daraufhin ruhig und beinah schon zu gesittet, worauf ich zu stocken begann. Erschreckt blickte ich zu ihr hinüber, erkannte, wie sie sich entspannt an den Tisch setzte, auf welchem bereits eine fertig gekochte Kanne roten Tees stand. Fast so, als hätte sie tatsächlich nur auf mich gewartet. Verängstigt wich ich zurück, ballte meine Hände zu Fäusten. Was sollte das?! Was hatte das zu bedeuten?! Sie konnte doch gar nicht wissen, dass ich ihr einen Besuch abstatten würde! Sie konnte unmöglich ahnen, was ich hier zu suchen hatten! Woher auch?! Nein, niemals würde sie darauf kommen können, dass mein Ziel einzig und allein ihren Tot beinhaltete! Nie und nimmer! Doch, wieso schien sie dann so abgeklärt?! Verwechselte sie mich vielleicht mit jemandem?
„Komm doch, ich gieße uns schon einmal ein, wenn es recht ist, ja?“, fügte sie schließlich noch hinzu, als ich, nach wie vor im Türrahmen des liebevoll ausgestatteten Raumes stehend, den Sicherheitsabstand wahrte.
Ich wagte es kaum, einen Schritt näher zu treten, überwand mich letztlich jedoch und gesellte mich zu der Dame, nahm am Tisch Platz und starrte angespannt zu ihr hinüber. Ich wusste nicht, weshalb ich ihren Worten Folge leistete, doch wirkte sie auf mich einfach nicht wie ein Mensch, dessen Handeln durch Hintergedanken geprägt war. Im Gegenteil, viel eher schien sie eine wirklich aufrichtige Person darzustellen, was mich immer mehr an dem Auftrag meiner Schwester zweifeln ließ. Wieso sie? Warum diese ältere Dame? Ich verstand das einfach nicht! Was hatte sie denn getan, um den Tod verdient zu haben?
„Sie schicken dich wegen des letzten Artikels, ich weiß. Ich habe es von Anfang an gewusst, schon als ich ihn geschrieben habe. Doch es ist in Ordnung. Ich bin so alt, mein Leben hat mir nicht mehr viel zu bieten. Es hat mir bereits all das gegeben, was ich mir gewünscht habe. Alle meine Ziele habe ich erreicht und nachdem vergangenes Jahr mein geliebter Ehemann von uns gegangen ist, kommt nun auch meine Zeit. Ich habe keine Kinder und auch keine anderweitigen Verpflichtungen, die es zu erfüllen gäbe. Ich wusste sie schicken jemanden und nun, nun bin ich bereit dafür.“
Ruhig schlürfte die fremde Frau von ihrem Tee und blickte mich aufrichtig an. Ich hingegen saß nur dort, konnte keinen Ton von mir geben, so erschüttert war ich von ihren Worten. Was? Was meinte sie damit? Wie... wie konnte das alles sein?! Wer sollte mich schicken? Und was für ein Artikel? Wieso wusste sie von meinem Vorhaben, sie zu töten?! Was geschah hier bloß?! Völlig durcheinander senkte ich den Kopf, hielt ihn mir und musste erst einmal mit dieser Situation klar kommen. Verdammter Dreck, wieso musste mir immer so ein Mist passieren?! Warum konnte ich jetzt nicht einfach bei Jan sein, seine Hand halten und wie ein ganz normaler Mensch den Abend verbringen?! Nichts weiter wünschte ich mir.
„Ich habe im Badezimmer zwei volle Packungen Schlaftabletten. Ich kaufte sie extra für dieses Treffen. Wenn du gestattest, würde ich gern durch die Einnahme dieser Medikamente sterben. Ich war noch nie ein Fan von grober Gewalt.“
Beinah geschockt blickte ich auf, erwachte aus meinen Gedanken, starrte die ältere Dame fast schon fassungslos an. Sie schien ja echt schon alles geplant zu haben! Was war nur mit dieser Frau falsch?! Und wieso gab sie diese furchtbar verwirrenden Dinge von sich? „Ich hol sie.“, gab ich jedoch von mir, denn ich wusste, mir blieb sowieso keine Wahl, wie immer eben! Ich musste diese Fremde töten, auch wenn ich sie noch so gern verschont hätte und wenn das einzige, was ich jetzt noch für sie tun konnte, war, sie ihren Tod selbst wählen zu lassen, dann wollte ich dem nicht im Wege stehen. Dafür war sie mir einfach zu aufrichtig. Ihre Worte wirkten so echt, so ehrlich und auch wenn ich ihren Inhalt nicht verstand, so war ich mir jedoch sicher, dass sie der Realität entsprachen.
Stumm stand ich nun also hoch, ließ mir eine kurze Wegbeschreibung zum Badezimmer geben und war mit den Pillen schneller zurück als mir selbst lieb war.
Mein Opfer füllte die Tabletten in eine leere Tasse, zerkleinerte sie ein wenig mit einem massiven Löffel, während ich zusah, nichts sagen oder tun konnte. „Nimm sie nicht!“, schrie ich rein gedanklich in mich selbst und spürte, wie mein ganzer Körper verkrampfte. Diese Frau war so höflich, so liebevoll und zuvorkommend, ganz anders als meine bisherigen Opfer! Ich wollte nicht, dass sie sterben musste. Sie hatte dies hier nicht verdient, das fühlte ich ganz deutlich. Klar, ich kannte diese Dame nicht, doch ich konnte es so deutlich spüren, wie kaum etwas zuvor. Sie hatte den Tod nicht verdient! Wieso nur musste meine Schwester sie auswählen?! Warum nur eine einfache Journalistin, die doch anscheinend keinem etwas getan hatte?! Ich konnte das einfach nicht nachvollziehen! Was war nur mit meiner geliebten Schwester geschehen, dass sie solch dumme Entscheidungen traf?! Doch was wusste ich schon? In Anbetracht meiner Unwissenheit gegenüber den Worten meines Gegenübers, schien ich ja echt von rein gar nichts auch nur den Hauch eines Plans zu haben! Verdammt!
„Es tut mir leid.“, hauchte ich leiser als ein Flüstern und vernahm wie Tränen in meine Augen stiegen, als die Dame, auf der anderen Seite des Tisches, die Lippen an ihrer Tasse ansetzte und die tödliche Dosis der Medikamente ihren Rachen hinab rann. Nun war alles vorbei. Der Auftrag war so gut wie erfüllt. Und das sogar recht schnell und nicht einmal die Hände hatte ich mir dreckig machen müssen! Ja, nicht einmal das. Wieso aber fühlte ich mich dann viel schuldiger, viel schlimmer, als nach den letzten Morden? Warum hatte ich nun das Gefühl, ein wahrhaftiges Monstrum geworden zu sein? Viel schlimmer als mein Vater oder sonst jemand? Weshalb gerade jetzt, wo ich doch nur hier gesessen und geschwiegen hatte?
Der Kopf meines Opfers fiel hinab auf die Platte des massiven Tisches. Die Lider ihrer Augen standen geöffnet, ihr Herz schlug nicht mehr und kein Luftzug durchflog ihre Lungen. Sie war tot. Und ich, ich konnte nichts tun als dort zu hocken, in ihrem so lieblich eingerichteten Häuschen, und leise schluchzend ihren Tod zu bedauern. Den Tod, den ich selbst veranlasst hatte, den ich allein als mein Ziel dieser Nacht abzustempeln wusste, denn nichts mehr sollte er sein. Nur ein Mord von vielen. Nichts weiter. Augen zu und durch, so hieß es doch, oder? Wieso nur fiel mir das dann so verdammt schwer? Warum nur?

Höllenkrieger- Legt die Waffen nieder!  || Boyslove! Yaoi!♡~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt