6. Kapitel- Beginn der Zukunft

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Nebeneinander saßen wir auf der alten Matratze, schmierten uns die Brötchen, die Jan mitgebracht hatte mit einer hellen Marmelade, die ebenfalls aus seinem Besitz stammte. Gelassen erzählte der Kleine mir von jenem Supermarkt, in dem ich mich heute als Aushilfe vorstellen würde. Auch er arbeitete dort und das schon eine ganze Weile lang. So finanzierte er sein Studium, erklärte er. Er war nämlich Student im Bereich der Verhaltensforschung. Außerdem forschte er privat noch über einige Themen, dessen genauen Inhalt er mir allerdings nicht nannte. So unbeschwert mit jemandem zu erzählen, das war völlig neu für mich. Doch es beruhigte mich ungemein. Das erste Mal in meinem Leben musste ich den Kontakt zu einem anderen Menschen nicht fürchten. Ich brauchte weder nervös noch angespannt sein, konnte mich einfach gehen lassen. Ich kannte diesen Jungen zwar noch nicht lang, doch allein diese eine Sache machte ihn mir bereits jetzt ungemein sympathisch „Und du, wie sieht es in deinem Leben so aus?", wandte er sich da plötzlich an mich und ich erstarrte. Was? Wieso fragte er das denn auf einmal?! Ich hielt Inne, musste mich einen Moment sammeln! Natürlich wollte er auch etwas von mir wissen, nachdem er so viel über sich geredet hatte! Er interessierte sich eben für mich! Bei diesem Gedanken schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen und ich schüttelte nur den Kopf, bevor ich nüchtern entgegnete: „Bevor du mir deine Hilfe angeboten hast, hatte ich nichts, so viel kann ich dir sagen. Obwohl, doch, eins hatte ich." Ich schluckte schwer, sah auf und strich Jan sanft durch sein Haar. Verträumt spielte ich mit einer seiner Strähnen und fuhr leise fort: „Ich hatte eine Schwester." Jan runzelte die Stirn und schlug meine Hand beiseite, da blinzelte ich ihn überrascht an. Ups, da war ich mit den Gedanken wohl zu sehr abgedriftet und hatte den Jungen doch glatt mit meinem Schwesterchen verwechselt! „Was ist mit ihr? Wo ist sie?", fragte er schmatzend, nachdem er einen übergroßen Bissen seines Brötchens genommen hatte, um von seiner Verlegenheit abzulenken. Verwirrt legte ich den Kopf schief. Sein Verhalten war echt wechselhaft! „Sie ist jetzt an einem besseren Ort.", ich sah auf die Marmelade hinab und schmunzelte auf. Ja, nun hatte sie es besser. Doch so ganz weg war sie ja auch nicht! Augenblicklich fielen mir die Erlebnisse von letzter Nacht ein und ein kalter Schauer überlief mich. Nein, sie war nicht weg, sie war ganz nah bei mir. Hier, in diesem Moment. Ich spürte sie. Eine Gänsehaut überzog mich und ich spürte, wie mein Herz einen Schlag aussetzte. Auch Jan schien diese Veränderung nicht zu entgehen. „Alles okay?", fragte er, doch ich hörte ihn nicht. Seine Stimme drang nicht zu mir durch. Erst, als er mich an der Schulter berührte und begann leicht an mir zu ruckeln, kam ich wieder zu mir. Erschreckt betrachtete ich ihn, der ziemlich geschockt aussah. Ob er sich fürchtete? Ich senkte den Blick. Scheiße! Mein Herz begann zu schmerzen. Ich wollte ihm keine Angst machen! „Ja.", entgegnete ich also trocken, bevor ich, und ich kann immer noch nicht glauben, das getan zu haben, aber ich zog den Kleinen zu mir, umarmte ihn, drückte ihn fest an mich. Ich wollte nicht, dass er sich aus Furcht von mir abwendete! Nein, das konnte ich nicht zulassen! Ja, ich kannte ihn erst einen verdammten Tag, doch, dieser Junge verstand mich! Er half mir! Er war einfach an meiner Seite, sorgte sich sogar um mich! Außerdem war er ein verdammt guter Mensch und ich wollte ihn einfach nicht verlieren! Ich hatte ihn doch gerade erst gefunden! „Es tut mir so leid.", wiederholte ich leise immer wieder, doch Jan strich mir nur beruhigend über den Rücken. „Ist doch nichts passiert. Alles gut, Ethan!", erwiderte er jedes einzelne Mal und ich spürte, wie ich von Mal zu Mal immer süchtiger danach wurde. Jan war wie eine Droge für mich. Eine, die schon beim ersten Nehmen abhängig machte. Unaufhörlich.
Eine Weile blieben wir so, Arm in Arm sitzen, bis ich mich wieder beruhigt hatte und wir schließlich zum Aufräumen der Wohnung übergingen. Jan zeigte mir, wie man Geschirr spülte, es abtrocknete, wie man Staub saugte und wischte. Es war unglaublich interessant und schon bald musste ich feststellen, wie witzig die Hausarbeit mit ihm war.
„Sieh! Ich hab getroffen!", grinste er mich breit an, während sein Finger in Richtung des Mülleimers zeigte, in den wir, vom anderen Ende des Zimmers, die nassen Putztücher warfen. Jan meinte, dieses kleine Spiel war so etwas wie Basketball. Nun, egal was es war, es machte ungemein Spaß! Jan hatte den Papierball bereits zum zweiten Mal versenkt, ich hingegen noch kein einziges Mal. Aber das würde sich nun ändern! Ich legte an, zielte und warf mit aller Kraft! Und tatsächlich, der nasse Ball landetet direkt in dem kleinen Eimer! Meine Augen weiteten sich, ich konnte es selbst kaum fassen, da kreischte Jan auch schon auf. Er hüpfte in die Luft, fiel mir um den Hals und gratulierte mich recht herzlich. Ich legte meine Arme um seine Hüfte, begann zu Lachen. „Spinner!", grinste ich ihn an, doch er verzog nur das Gesicht. „Neidisch?", entgegnete er beleidigt und spielte damit auf seinen momentanen Punktevorsprung an. Ich schüttelte nur schmunzelnd den Kopf, pikste den Kleinen in seine Seite, woraufhin er laut quietschte und einen Sprung zurück tätige. Es war erstaunlich, wie gut wir beide uns verstanden. Mir war selbst unklar, woran es lag, doch es kam mir vor, als würde ich Jan schon ewig kennen. Es war wie in einem Traum, als hätte es die letzten achtzehn Jahre niemals gegeben. Doch, ich hatte keine Lust mich ständig nach dem Grund zu fragen, wollte es einfach genießen, solang ich es konnte.
„Sag, wollen wir nicht langsam ein schönes Hemd für das Bewerbungsgespräch aussuchen? Zeig mal, was du so hast!", lächelte mich Jan da plötzlich an und ich stockte irritiert. Was? Hemd? „'Tschudlige aber ich besitze nur das, was ich am Körper trage. Reicht das nicht?" Ein Hemd? War das sein Ernst? Ich hatte noch nie im Leben so etwas getragen. Erschreckt zog Jan die Augenbrauen in die Höhe und musterte mich geschockt. Das hatte er wohl nicht erwartet, doch es hätte ihm klar sein müssen. Ich hatte gestern ja nicht gerade mit Koffern vor ihm auf der Straße gelegen. „Gut!", erlangte er schließlich seine Fassung wieder, wandte sich ab und begann damit, sich seine Straßenschuhe anzuziehen. Fragend blickte ich zu ihm herüber, doch er achtete gar nicht darauf. „Zieh dich an!", wies er mich zurecht und ich folgte, in dem ich in meine alten Turnschuhe schlüpfte. Sie hatten bereits Löcher, doch besser als gar keine Schuhe waren sie allemal und ich war stolz darauf, sie mein Eigen nennen zu können! „Wo gehen wir hin?", fragte ich nun doch etwas neugierig, als Jan gerade den Reißverschluss seiner Jacke, an sich hinauf zog. „Shoppen.", entgegnete er ganz nebenbei, drehte sich um und war kurz darauf auch schon aus der Wohnung, hinaus auf den Hausflur getreten. Er war wie ein Wirbelsturm, der einen mitriss. Beängstigend, doch anziehend zugleich. Abgesehen davon, das Wehren sowieso zwecklos war, bei diesem Starrkopf. Rasch sprintete ich ihm nach, zog die Tür hinter mir ins Schloss. Shoppen also, na 'mal sehen, wie das so werden würde. Bisher war ich jedenfalls noch nie einkaufen und dann auch noch mit so einem Verrückten wie Jan? Na das konnte ja heiter werden!

„Komm, Ethan! Na komm schon raus! Zeig dich!", drängelte Jan wie ein kleines Kind vor der Umkleide des kleinen Geschäftes Mitten in der Innenstadt dieses fremden Ortes. „Ja, warte doch mal!", erwiderte ich und wusste nicht, ob ich nun genervt sein oder das Verhalten des angeblichen älteren niedlich finden sollte. Er war so aufgeregt, meinetwegen! Ich grinste, zog den dunkelblauen Vorhang der Umkleidekabine beiseite und präsentierte ihm, wie das Hemd, was er ausgesucht hatte, an meinem Körper aussah. Und er schien schwer begeistert! Das edle Kleidungsstück war weiß, rein, hätte lange Ärmel und saß weder zu fest, noch zu locker. Eigentlich perfekt, doch Jan hatte trotzdem etwas zu meckern. „Der Kragen ist falsch.", meinte er, kam einen Schritt auf mich zu und richtete besagten Kragen des Kleidungsstückes. Ich spürte, wie seine sanften, weichen Hände an meinem Hals herum hantierten und die Wärme seiner Haut auf die Meine traf. Sein Duft stieg mir in die Nase. Ein Duft, so süß wie der Junge selbst. Und sein rotes Haar kitzelte mich am Kinn. Ich lächelte den Kleinen zart an, bevor ich ihm liebevoll über die Wange strich. „Danke für deine Hilfe. Ich werde wirklich alles zurück zahlen. Ich schwöre es dir!", sprach ich und meinte es auch absolut ehrlich. Zwar mochte ich es nicht, diese Almosen von ihm anzunehmen, doch mir blieb keine andere Wahl. Ich hatte ja nichts. Dennoch wollte ich nicht, dass Jan sich ausgenutzt fühlte oder ähnliches. Er sollte sich nicht schlecht fühlen müssen! Mein Gegenüber allerdings nickte nur. „Weiß ich doch!", sprach er, nicht mehr. Nur diesen einen Satz, bevor er sich erneut der Suche nach weiteren Kleidungsstücken für mich, begab. Ich wiederum sah ihm nur stumm nach. Wie konnte es sein, dass gerade ich derart Glück hatte? Womit hatte ich diesen Engel verdient? Oder war er der Lohn dafür, bis hierher durch gehalten zu haben?
Nachdem wir unsere Shopping Tour schließlich beendet hatten, konnte es endlich los gehen, zum Supermarkt! „Bist du aufgeregt?", erkundigte Jan sich, während er neben mir her, den Fußweg entlang, schritt und so unbeschwert wirkte wie eh und je. Ich zuckte mit den Schultern, trug gerade das schöne weiße Hemd, darüber eine dünne, schwarze Jacke. Sogar eine Krawatte trug ich! Und eine dunkle Jeans schütze meine Beine vor der Kälte. Selbst neue Schuhe hatte mir der Kleine besorgt! Oh verdammt, wie sollte ich das nur je wieder gut machen? Ich musste Geld verdienen, schnell! Ich wollte Jan jeden einzelnen Cent zurück zahlen, am besten sofort! Natürlich war ich dementsprechend aufgeregt, ich brauchte diesen Job immerhin! Doch das wollte ich mir nicht anmerken lassen. Ich hatte nicht vor, Jan damit nur unnötig noch unruhiger zu stimmen. Er sollte sich nicht sorgen müssen, nicht deswegen. „Ich schaff' das schon!", sprach ich zu ihm und wusste ihn diesem Moment gar nicht recht, wem ich damit nun Mut machen wollte, ihm oder mir.
Jan umarmte mich noch ein letztes Mal, dann schob er mich auf ein großes Glas-Tor zu. Es öffnete sich sofort, als ich davor stand und Jan gab mir ein Zeichen, dass ich von nun an alleine weiter musste. Er hatte mir bereits auf dem Weg hierher erklärt, dass es nicht gut ankommen würde, wenn wir dort zusammen auftauchten. Es kam zu unselbstständig rüber und das hinterließ keinen guten Eindruck beim Chef. Und genau dieser Eindruck zählte hier, denn ich konnte weder eine abgeschlossene Ausbildung, noch jegliche andere Erfahrung vorweisen. Hoffentlich behielt Jan recht und der Chef war so verzweifelt, dass er tatsächlich jeden annahm. Mit einem etwas mulmigen Gefühl stapfte ich auf den Personalraum zu, um dort laut anzuklopfen. Verdammt, ich brauchte diesen Job einfach!

Höllenkrieger- Legt die Waffen nieder!  || Boyslove! Yaoi!♡~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt