25. Kapitel- Zwei Mal ist kein Mal

87 15 3
                                    

Zitternd setzte ich einen Fuß vor den Nächsten, schlich so still es mir nur irgend möglich war, durch den länglichen Flur, was sich jedoch als nicht ganz so simpel heraus stellte, denn nicht nur das Chaos von Müll und Dreck versperrte mir den Weg, sondern auch die alten Zeitungen, ranzigen Möbel und vergilben Gegenstände schienen ein beinah unüberwindbares Hindernis. Immer wieder hielt ich Inne, zweifelnd, ängstlich und am liebsten wäre ich wohl gleich wieder aus dem Haus gerannt, doch ich konnte nicht. Ich musste das hier tun und so nahm ich meinen Weg durch das Wirrwarr von Müllhalde wieder auf, ohne darüber nachzudenken, weshalb es in diesem Haus dermaßen verdreckt war. Im Normalfall hätte ich mich sicher darüber gewundert, mich gefragt, wie jemand denn nur so leben konnte, in dieser befremdlichen, vollkommen Lebens-unwürdigen Umgebung. Weshalb verdarb man sein eigenes Haus selbst, ließ es verkommen? Dies war mir unbegreiflich, doch in gerade diesem Moment interessierte es mich auch nicht. Ich war in Gedanken ganz und gar bei dem Vorgang des Mordes. Wie sollte ich es tun? Es musste möglichst schnell gehen, so viel war klar! Fieberhaft überlegte ich, sah mich bereits jetzt nach einer möglichen Waffe um, nur hin und wieder musste ich schwer schlucken, denn die Übelkeit hatte sich schon längst bis in die hinterste Ecke meines Körpers ausgebreitet und eine Gänsehaut überlief mich eiskalt. Zu wissen, was ich gleich tun würde, brachte mich beinah um den Verstand und auch wenn ich versuchte, es möglichst wenig an mich heran zu lassen, so gelang es mir nur teilweise. Erst, als ich einen, mir seltsam unbekannten Geruch vernahm, der mir stechend schnell in die Nase stieg, horchte ich auf und wurde somit aus meinen vernichtenden Gedanken gerissen. Auf einmal roch die Luft nicht mehr so, wie sie es bisher getan hatte, nein! Ganz plötzlich machte sich ein süß-säuriger Gestank in ihr breit, welcher mit jedem Schritt Richtung der angelehnten Tür, am Ende des Raumes, noch weiter zunahm. Der Geruch war ganz fürchterlich, sodass auch das Naserümpfen kaum etwas half. Ich schüttelte mir vor Ekel, so etwas hatte ich ja noch nie wahrgenommen! Doch, bei dem Gestank war das vermutlich auch besser so!
„Tor!“, hörte ich plötzlich eine seltsam schnurrende Stimme, die so unfassbar laut war, dass ich fast einen ganzen Meter zurück sprang und mir mein Herz nicht nur bis in die Hose, sondern sogar in die Schuhe rutschte. Sofort schoss mein Puls in die Höhe und ich starrte geschockt zu dem Zimmer hinab, aus dem die Schreie wohl kommen mussten. Oh Gott, ich wusste, ich hätte das hier niemals tun sollen! Ich wusste es doch! Fest ballte ich meine Fäuste und warf einen Blick zurück, hinüber zur Haustür. Wie gern wäre ich einfach wieder gegangen und hätte das alles vergessen, wie gern! Doch, das ging nicht. Noch einmal holte ich tief Luft und biss die Zähne zusammen. Ich musste es einfach nur ganz schnell hinter mich bringen, diese Person ermorden und nie niemals wieder kommen! Ganz ganz schnell! Tränen stiegen in meinen Augen auf und ich schüttelte enttäuscht den Kopf, enttäuscht über mich selbst. Wann war ich denn bitte zu so einer Pussi mutiert, dass ich sogar schon heule obwohl doch gar nichts passiert ist?! Es war doch nichts weiter, nur ein kleiner Mord. Total normal! Geschafft hatte ich das doch schon einmal, da kam es auf ein zweites Mal, eine Wiederholung, auch nicht mehr an! Das redete ich mir zumindest ein, bevor ich schließlich, mehr oder weniger zielsicher, auf die Tür zusteuerte, welche einen Schlitz weit geöffnet stand, sodass ich durch diesen hindurch in das Innere des Raumes linsen konnte. Dabei versuchte ich natürlich möglichst lautlos zu bleiben, in der Hoffnung unbemerkt beobachten zu können, denn bevor ich meinen Plan umsetzten konnte, musste ich mich von den Stärken und Schwächen meines Opfers überzeugen. Nicht, dass er eine Schusswaffe besaß und mich beim Betreten des Zimmers einfach umnieten würde, oder ähnliches. Also blickte ich durch den Spalt und erkannte eine Art Wohnzimmer, in welchem außer ein Fernseher und einige Schränke, auch ein altes, durch gelegenes Sofa Platz fand. Der Anblick, der mich dann jedoch überraschte, war mehr als erschreckend, denn abgesehen von den zwei großen, dunklen Hunden, welche sich vor dem Fernseher auf den Boden gelegt hatten, war dort noch jemand zu sehen. Ein Mann mittleren Alters hatte sich auf den durchnässten Polstern des Sofas nieder gelassen und kam aus dem Schwitzen schon gar nicht mehr heraus. Aufgeregt sah er zum Fernseher hinüber, während sein ungepflegtes, vor Fett nur so triefendes Haar schlaff auf seinem fleckigen, verdreckten Oberteil klebte. In seiner Hand hielt der Fremde eine weiße Stange, deren Ende glühte und welche er sich immer wieder und wieder zwischen die Lippen steckte um an ihr zu ziehen. Ob sie es war, von der dieser Gestank ausging? Verstört verzog ich das Gesicht. Das war ja widerlich! Doch nicht genug, denn es ging ja sogar noch weiter, denn der Mann trug ja nicht einmal eine Hose! Zufrieden saß er dort, nur in Unterwäsche und seinen weißen Baseballsocken, welche ebenfalls von gelblich ekligen Flecken gezeichnet waren. Da wurde einem wirklich gleich ganz anders, vor allem wenn man dann noch den kleinen Couchtisch vor ihn betrachtete, auf dem unzählige leere Bierflaschen standen, zwischen welchen hier und dort sogar einige Pillen und unauffällige Päckchen weißen Pulvers hervorlugten. Was war das? Wie Nahrung sah es nicht gerade aus, doch wirklich wissen wollte ich das vermutlich auch gar nicht. Es war jedoch sowieso egal, was interessierte es mich? Ich war hier um diesen Mann zu ermorden und nicht, um mich darüber zu wundern was er nun zu sich nahm und was nicht. Bald schon hatte er dieses Problem sowieso nicht mehr. Ein Toter brauch kein Essen mehr. In bereits wenigen Minuten würde er sich wünschen, sein Leben nicht so unbedacht verschwendet, weggeschmissen zu haben. Noch ein letztes Mal glitt mein Blick zu den Hunden, die jedoch wohl eher keine Bedrohung für mich darstellten. Auch, wenn diese Tiere im Normalfall eine beträchtliche Beißkraft besaßen, so wirkten diese Beiden abgemagerten Beispiele alles andere als bedrohlich. Ein Wunder, dass sie überhaupt noch lebten bei diesem Umfeld, doch immerhin stand ich ja auch hier. Und weshalb? Wegen meiner Schwester natürlich, was auch der Grund dafür war, dass ich ihr das hier schuldig war. Ich wollte doch ein guter kleiner Bruder sein und so trat ich mit einem kräftigen Ruck die Tür auf, welche ungehindert gegen die Wand knallte, sodass alle, sich im Raum befindenden, überrascht aufschreckten.
„Ey! Was soll das?!“, begann der klebrige Typ, welcher sich nur mühsam von seinem Sofa hoch raffen konnte, sofort zu schreien, doch ich beachtete ihn erst gar nicht. Zunächst musste ich die Hunde weg schaffen, denn die waren ja nicht meine Opfer und für ihren schleimigen Besitzer konnten sie ja auch nichts. So ging ich also auf die beiden zu, welche kurz darauf von dem Mann angebrüllt wurden, sie sollen mich doch angreifen. Sie jedoch begannen nur mit wimmern, als ich direkt vor ihnen zum Stehen kam. Angst machte sich in ihrem Blick breit, bevor ich einen Schritt zur Seite trat und sie jaulend aus dem Zimmer flüchteten. Hinter ihnen warf ich nun rasch die Tür ins Schloss, um weitere Fluchtmöglichkeiten zu verringern und konnte mich danach endlich meinem Opfer widmen. Dieses war mittlerweile aufgestanden und schien nicht gerade gut auf mich zu sprechen zu sein. Fest starrte ich ihm ins Gesicht, doch innerlich erstickte ich beinah vor Angst. Meine Hände begannen zu zittern und eine Art von Panik, die ich aus meiner Kindheit nur allzu gut kannte, schnürte mir die Kehle zu. Oft schon war es mir so ergangen, häufig während den 'Liebeserklärungen' meines Vaters und genau wie damals wäre ich im Moment am liebsten tot umgefallen, doch wie schon in meiner Kindheit war das nie möglich gewesen. Ich musste da durch, ob ich wollte oder nicht und als ich das lange, hinter Flaschen versteckte Messer entdeckte, was der Mann wohl als Flaschenöffner verwendet auf dem Couchtisch zurück gelassen hatte, stand meine Mordwaffe fest. Ich musste sie nur noch erwischen! „Verpiss dich, verdammt! Siehst du nicht, dass ich das Spiel gucke?!“, schrie der Fremde derweil immer weiter, zunehmend lauter, bis ich hinter mich fasste und den Fernseher gekonnte mit einem Knopfdruck ausschaltete. Ups. Das war dann wohl das letzte Spiel gewesen, was dieser Kerl je geguckt haben würde. Hoffentlich war es gut. Jetzt jedoch rastete der, anscheinend nicht einfach nur Betrunkene, komplett aus. Ich wusste nicht, was er genommen hatte, doch ein war klar, er war wohl nicht mehr Herr seiner Sinne. Ob das allerdings gut oder schlecht war, blieb offen. Wutentbrannt ging der Mann nun auf mich los, schlug mir ins Gesicht, sodass morgen wohl auch noch das andere Auge blau anlaufen würde. Sah sicherlich schön blöd aus. „Du Wichser!“, kreischte er und begann nun auch, in meine Magengegend zu boxen, ich jedoch wich zurück, warf meinen Kopf zurück und knallte meine Stirn gegen die meines Opfers. Ein Klatschen erklang und der Mann taumelte benommen zurück, fiel geschwächt aufs Sofa hinab. „Scheiße, Mann.“, fluchte er, doch ich ließ mich davon nur wenig beeindrucken. Kurz rieb ich mir meine Stirn, bevor ich einen Schritt auf den Typen zuging. Ich brauchte dieses Messer, schnell! Nur so konnte ich das hier möglichst rasch hinter mich bringen, um es danach einfach aus meinem Gedächtnis streichen zu können! „Wieso brichst du hier einfach ein?! Siehst du nicht, dass ich nichts habe?!“, beschwerte sich der Fremde noch immer, während ich bereits meine Chance sah und blitzschnell nach dem Messer schnappte. Ja, verdammt! Ich hatte es in die Finger bekommen, umfasste es am Griff und wich damit einige Meter zurück. Ja! Nun hatte ich eine Waffe, dies jedoch hatte nicht nur ich mitbekommen. „Mann, wenn du was rauchen willst, bitte! Hier, nimm!“, mit diesen zitternden Worten, voll Angst, voll Panik zündete der Mann eine weitere der weißen Stangen an und hielt sie mir panisch hin. Er schien wohl langsam zu bemerken, wie schlecht die Situation für ihn aussah, weshalb er auf Bestechung setzte. „Bitte! Tu mir nichts! Bitte, ich geb' dir alles! Nimm alles mit, ist mir egal, nur bitte lass mich leben!“, flehte er mich an und Tränen stiegen in seinen Augen auf, während er die Hände wie beim Gebet faltete und schluchzend zu mir hinauf blickte. Kurz zögerte ich. Konnte ich diesen Menschen wirklich töten? Ja, er war widerlich, nichts wert, ganz klar, doch dennoch war er doch ein Mensch, genauso wie auch ich, oder? Ich meinte, was würden seine Eltern sagen, wenn sie erführen ihr Junge sei ermordet wurden. Wie würden sie gucken, was für ein Gesicht würden sie machen? Ich wusste doch nur zu gut wie es war, einen wichtigen Menschen zu verlieren. Meine Schwester war mir ebenso kaltblütig genommen worden. Wie konnte ich da...? War ich etwa schon genauso grausam wie mein Vater geworden? Was unterschied mich denn noch von ihm, wenn ich diesen Mann hier einfach so umbrachte, ohne den Grund überhaupt nachvollziehen zu können. Tränen liefen auf meinen Wangen hinab. Nein, das konnte ich doch nicht wirklich tun! „Ethan! Liebst du mich?! Ethan! Ich brauch deine Hilfe, bitte!“, erklang da plötzlich der qualvolle Schrei meiner Schwester und ließ mich geschockt zusammen zucken. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinab und mein Herz schlug so schnell wie nie zuvor. Schwester? „Bitte, bitte Ethan, hilf mir! Ethan! Bitte! Liebst du mich nicht? Ethan!“ Immer weiter verkrampfte sich mein Körper und ich begann zu schreien. „Geh, geh weg! Ich kann das nicht! Geh! Bitte geh!“, brüllte ich meine ganzen Ängste hinaus, doch die hysterische Stimme meiner Schwester verstummte nicht. Immer wieder rief sie meinen Namen, als wäre es ein Schlachtruf, als wäre es eine Strafe. „Ethan! Ethan!“ Die Adern an meinem Hals traten hervor und ich schrie schmerzerfüllt auf, bevor ich den fremden Mann am Hals packte. Ich zog ihn hoch, drückte ihn mit dem Kopf gegen die Wand des kleinen Wohnzimmers und noch während er nach Gnade schrie und beinah verrückt wurde vor Panik, rammte ich ihm das Messer genau in die Stirn, so tief ich es nur konnte. Und als er zu Atmen aufhörte, sein Herz stehen blieb und starb, da starb auch etwas in mir. Etwas sehr wichtiges, menschliches in mir wurde einfach ausgelöscht und ein tiefes, schwarzes Loch von Leere und Depressionen brannte sich in mein Herz, als wäre es von einer Art Krankheit befallen. Eine unheilbare Krankheit, die eines Tages, da war ich mir sicher, mein Leben einfordern würde. Zitternd ließ ich von dem Mann ab, dessen Körper leblos auf die Couch hinab fiel, während ich ins Nichts starrend einen Schritt zurück setzte, mir das Blut aus dem Gesicht wischte und den Blick senkte. Was hatte ich getan?
Die Stimme meiner Schwester war verstummt und auch die Hunde gaben keinen Ton mehr von sich, wo auch immer sie sich im Haus versteckt hatten. Absolute Stille, bevor ich mich umdrehte und meine Augen sich geschockt weiteten, denn als ich das Bild erblickte, was dort offen zu betrachten neben dem Fernseher an der Wand hing, war alles andere als normal. Es zeigte nicht einfach nur das Opfer in seinen jungen Jahren, nein! Der tote Mann hinter mir trug auf diesem Bild ein Basecap, aber kein normales, nein. Auf der dunklen Kappe war ein kleiner, tiefblauer Vogel zu erkennen. Dieses Zeichen, welches mich seit Tagen verfolgte. Dieses Zeichen. Oh Gott, was hatte ich nur getan?!

Höllenkrieger- Legt die Waffen nieder!  || Boyslove! Yaoi!♡~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt