29. Kapitel- Pures Licht

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Sanft schien die Sonne zu meinem Fenster herein, die Vögel sangen ihre Liedchen und auch der Krach des Straßenverkehrs war deutlich zu hören, genauso wie auch den Trubel der Menschenmassen, die sich unten auf den Fußwegen und Seitengassen tummelten. Alles war, wie sonst auch, es gab absolut nichts, was anders wirkte als an jedem anderen Tag. Sogar im Hausflur regte sich bereits einiges, was man daran hörte, dass lautstark die Treppe hinauf, wie auch hinab gestapft wurde und auch in meiner Wohnung brummte leise der Kühlschrank in der Küche, tickte die Uhr immer wieder nach demselben Zeitraum, vielen still einigen Wassertropfen im Bad aus dem Hahn, hinab ins Becken. Alles war wie immer und doch, wieso fühlte ich mich dann dermaßen verändert? Stumm lag ich dort, auf meiner Matratze, starrte zur Zimmerdecke hinauf. War dieser Raum schon immer so furchtbar groß gewesen? So unsagbar kühl und so ganz unbehaglich? Dabei hatte es mir bisher doch immer so gut gefallen, in meinem neuen Zuhause, nun allerdings lag ich hier und wusste nicht, seit wann ich schon dieses Loch in meiner Brust fühlte. Es war ganz eigenartig, fast so, als wäre ich der einzige Mensch dieser Welt. Und auch, wenn ich wusste, dass dies nicht der Fall war, fühlte es sich dennoch eben genauso an. Immer wieder sah ich die Bilder der letzten Nacht vor mir. Wie lange würde ich mein wahres Ich wohl noch geheim halten können? Dieses Monster, welches ich war, wie lange würde ich das noch kontrollieren können? Obwohl, konnte ich es überhaupt in Zaun halten? Denn ich erinnerte mich an anderes, an eine Nacht, in welcher ich ohne es zu wollen, komplett meine Beherrschung verloren hatte. Dieser Mann, den ich dort so grausam ermordet hatte, auch er ging mir nicht aus dem Kopf. Doch was mich noch viel mehr beschäftigte war, was wohl geschehen würde, wenn derartige Ausraster in Gegenwart von Jan passieren würden? Nicht nur, dass er dann die Wahrheit kannte, nein, was wenn ich ihn verletzten würde? Oder gar töten? Konnte ich das wirklich verantworten? Vielleicht war ich zu gefährlich für ihn? Ich schluckte schwer, doch der gigantische Kloß in meinem Hals war mittlerweile so heran gewachsen, dass er mir die Kehle zuschnürte. Mit feuchten Augen sah ich zur Wohnungstür hinüber. Ich sollte aufstehen und mich für die Arbeit fertig machen. Doch wozu? Um die Leute dort auch noch zu gefährden? War es das, was ich wollte?!
Nur schleppend erhob ich mich, sah neben die Matratze und spürte augenblicklich den stechenden Schmerz in meiner Brust, als ich es entdeckte. Das kleine Oberteil von Jan lag noch immer dort, ganz unauffällig, als hätte es noch nie etwas anderes getan. Mit zitternder Hand erhob ich es, zog es an mich.
Jan, immer wenn ich an die vergangenen Tage dachte, sah ich nur das Schlechte, dabei hattest du mir doch allen Grund zum Lächeln gegeben. Diese Wohnung, ein voll befüllter Kühlschrank, dein herzerwärmendes Frühstück, unser Karaoke-Abend, dein Lächeln, die Art wie du mich ansahst, all das, das war wie ein Traum.
So wunderschön und dennoch so kurzweilig, dass man fast bereute, die Zeit nicht anhalten zu können. Nein, niemals könnte ich ihm wehtun, niemals könnte ich Jan verletzten, nie! Nicht ihn, nicht Jan! Fest vergrub ich mein Gesicht in dem Oberteil, benässte es mit meinen Tränen des Schmerzes, bevor ich, woher auch immer, die Kraft nahm mich aufzuraffen, mir etwas Ordentliches anzuziehen und schlussendlich tatsächlich am Esstisch in der Küche zu sitzen. Ganz allein rupfte ich kleine Stückchen von einer trockenen Scheibe Brot ab, welche ich mir anschließend schweigend in den Mund schob, eins nach dem anderen, bis gar nichts mehr auf meinem Teller lag. Wie lange würde es wohl dauern, bis er mir verzieh? Musste ich von nun an immer alleine hier essen? Diese Fragen beschäftigten mich in diesem Moment und nicht nur sie, nein, noch hunderte mehr schwirrten mir durch den Kopf, doch auf keine fand ich auch nur die kleinste Antwort. Mein Wissen war wie verschwunden, kaum zu glauben, dass ich mich überhaupt noch an meinen Namen erinnerte, bei dieser Leere, die sich in mir angesiedelt hatte. Ein tiefes Seufzen entglitt meinen Lippen. Zumindest auf Arbeit würden wir uns noch begegnen, wenn er schon nicht mehr vorhatte, mich zu besuchen. Ich musste mich entschuldigen, dringend. Erschöpft stützte ich mein Kinn auf meinen Händen ab. Dabei standen meine Ellenbogen auf der Platte des Tisches, sodass ich mich nicht allzu sehr hinab beugen musste, denn mir tat echt alles weh. Es schien, als hätte jede Kraft meinen Körper verlassen und müde war ich, so unglaublich müde! Wann hatte ich angefangen, so zu zerfallen? Bislang war mir das noch nicht wirklich aufgefallen, seitdem ich dieses Leben führte, doch ob das tatsächlich nur an dem kleinen Fuchs lag, der mir mit seinem warmen Lächeln wieder und wieder die Kraft gab, einfach weiter zu machen? Die Arbeit, die hätte ich doch nie im Leben angetreten, hätte es Jan nicht gegeben. Und wie hatte ich es ihm gedankt? Er behielt schon Recht mit seinen Worten, ich war undankbar. Doch ich wollte es wieder gut machen, wollte seine Vergebung und war bereit, alles nur erdenkliche dafür zu tun, völlig irrelevant was es war! Er war doch mein Freund, mein aller erster Freund und ich wollte seinen Hass nicht spüren, wollte seine Verachtung mir gegenüber nicht sehen. Nein! Stolz sollte er sein, ich hatte doch nur vor, ihn auf mich stolz zu machen. Von Anfang an war sein Lob doch die ganze Welt für mich und seine Liebe war es, die mir gezeigt hatte, wie schön das Leben doch sein konnte. Und nun? Nun saß ich ganz allein hier. Mein ganzes Leben schon hatte ich im Keller verrotten müssen, ohne jemanden an meiner Seite zu wissen, von der Welt verlassen, ohne jede Hoffnung und dennoch hatte ich mich noch nie zuvor so gefühlt wie in diesem Augenblick. Vielleicht weil ich das Gefühl nicht kannte, jemanden bei sich haben zu wollen und dennoch, war es das, was man Einsamkeit nannte? Die Sehnsucht, die in meiner Brust brannte, meine Gedanken, die beinah vollkommen von Jan eingenommen waren. Was tat er gerade? Wie ging es ihm in dieser Sekunde? War er noch enttäuscht? Wieso nur konnte ich es nicht ungeschehen machen, diese Enttäuschung, die ich ihm angetan hatte? Warum?!
Stumm erhob ich mich. Ich musste los, zum Supermarkt! Ich musste mich bei Jan entschuldigen, jetzt sofort! Mit diesem Ziel vor Augen stieß ich den Stuhl rücklings von mir, verließ den Tisch und sogar den gesamten Raum, bis ich im Flur meiner kleinen Wohnung angekommen war. Rasch schnappte ich mir meinen großen, dunklen Kapuzenpullover, welcher am Kleiderständer hinter der Wohnungstür Platz fand. Ich zog ihn mir über und griff auf die Ablage der Kommode, um das Haus nicht ohne Schlüssel zu verlassen und mich so letzten Endes noch auszusperren, da stockte ich für einen Moment. Mein Herz setzte einen Sprung aus, als ich ihn dort liegen sah, den kleinen, silbrigen Schlüssel, der nicht mir, sondern viel mehr meinem Freund gehörte. Jans Eigentum, sein Besitz, seine Freiheit meine Wohnung betreten zu können wann immer es ihm für richtig erschien. Ich überlegte nicht lang, als ich den glänzenden Gegenstand ganz einfach in meiner Hosentasche verschwinden ließ. Das einzige, was ich mit Sicherheit wusste war, dass ich ihm sein Eigentum zurück geben musste, denn ohne sie hätte ich ja gar nichts was für mich sprach. Was konnte ich Jan schon geben, außer das Versprechen, alles zu tun, was mir möglich war, um ihn kein zweites Mal zu enttäuschen? Und diesen Schlüssel? Der war mein einzig weiteres Friedensangebot. Ob das jedoch genügen würde, blieb abzuwarten. Mit nun voll bepackten Taschen ging es jetzt also los, Richtung des Supermarktes. Ich war sogar schon richtig aufgeregt, als sich die Härte des Asphalts unter meinen Schuhsohlen bemerkbar machte und ich langsam einen Schritt vor den nächsten tat, immer schneller und schneller werdend. Ich wollte nicht länger warten, wollte ihn wieder sehen! Immer noch hallten seine Worte in meinen Ohren, sein von Tränen überströmtes Gesicht sah ich so klar vor mir, als würde er jetzt noch dort vor meinem Haus stehen, ganz durchnässt und unterkühlt vom Regen. Es war weiß Gott kein Anblick, auf das man hätte stolz sein können, doch selbst in dieser Situation war Jan noch so wunderschön, dass ich es fast nicht glauben konnte. Seine grünen Augen, die einem bereits aus der Ferne aufmerksam und frech entgegen strahlten und sein naives Lächeln, welches beinah süßer als jeder Zucker war. Verdammt, wie hatte ich das nur aufs Spiel setzten können? Ich schüttelte den Kopf, während meine Füße mich fortwährend eiliger über die Fußwege trugen, bis ich nicht weniger rasch umher rannte, als die übrigen Menschen, welche schleunigst und in Hektik ihre Arbeit aufsuchten und dadurch in dieses Meer von Massen gedrängt wurden, welches sich jeden Morgen aufs Neue in den Straßen und Wegen dieser Stadt ausbreitete. Nein, nein ich wusste doch sehr gut, weshalb ich ihn so hatte enttäuschen müssen! Meine Schwester, sie war es, für die ich selbst mein letztes Hemd opferte, für die ich jede Arbeit und Wohnung, jede Perspektive, ohne zu Zögern einfach aufgegeben hätte. Doch, wenn es um Jan ging, dachte ich da nicht genauso? Wie sollte ich denn entscheiden, wenn die beiden sich gegenüber standen? Wie, wenn doch beide ein wichtiger Teil von mir waren? Keiner der beiden war mir lieber als der andere und doch schien mich mein Leichtsinn, meine blinde Liebe und Verbundenheit zu meiner Schwester nun meine Freundschaft mit Jan zu kosten. Warum? Weshalb tat man mir das an? Aber was sollte ich schon daran ändern können? Ich wollte doch sowohl ein guter Bruder, als auch ein vorzuzeigender Freund sein! Ich wollte, dass beide ihren Frieden fanden, sowohl Jan als auch mein verehrtes Schwesterchen! Doch anscheinend war ich einfach unfähig, denn nicht nur Jan war mein Held gewesen, mein Retter, nein, auch sie hatte sich geopfert. Es gab da tatsächlich einige Paraallelen. Niemals konnte ich meine Schuld begleichen, bei keinem von beiden. Klar, Jan würde ich sein Geld zurück zahlen, doch die Chance, die er mir gegeben hatte, die Möglichkeit ein normales Leben zu führen, die konnte ich ihm niemals gleichtun. Ich würde wohl mein Leben lang in seiner Schuld stehen, aber hey, wenn das der Weg war, bei ihm bleiben zu können, dann bitte, lass mich Schuldner sein! Mein Leben lang und darüber hinaus! Denn, und da war ich mir sicher, mit Jan an meiner Seite war es alles andere als eine Last zu leben, nein, mit ihm wäre sogar ein Leben im Keller und bei völliger Finsternis ertragbar. Wieso wollt ihr wissen? Nun, Jan war pures Licht, er war Hoffnung, Liebe und keine Dunkelheit der Welt vermochte es, sein Strahlen zu vermindern. Er war das Feuer, welches in meinem Herzen brannte. Und mehr? Mehr brauchte ich nicht. Das allein machte mich bereits zum glücklichsten Menschen auf Erden. Wäre da doch nur nicht die Nacht, die jeden Abend wieder über mich herein brach. Und die Angst, dass Jan mir möglicherweise doch nicht vergeben würde.
„Oh, Gute Morgen Ethan! Du bist aber heute früh dran. Du möchtest deine Arbeitszeit von nun an wohl komplett ausschöpfe?!“, ertönte da plötzlich die kratzige, bissige Stimme des alten Mannes, welchen mir besser unter dem Synonym 'Chef' bekannt war und wodurch ich schlagartig erkannte, dass ich ganz vergessen hatte auf meine Umgebung zu achten, so in Gedanken versunken war ich gewesen! Denn zu meinem Überraschen war ich bereits an meinem Arbeitsplatz angekommen. Verdutzt blickte ich mich um, erkannte den Parkplatz, die Einkaufshalle, das Personal, doch eine Person fehlte. Wo? Wo war er denn?! Etwa schon im Geschäft, doch das hatte ja scheinbar noch geschlossen?! „Kommt Jan heute erst später?“, erkundigte ich mich etwas beiläufig, wobei ich deutlich die strengen Blicke meines Arbeitgebers auf mir spürte. „Ach, du weißt es gar nicht? Er hat sich doch die nächsten Tage frei genommen, wegen der Uni und all dem. War eine ganz kurzfristige Sache, was eigentlich sehr untypisch für Jan ist, doch wer weiß.“, entgegnete er schließlich und meine Augen weiteten sich bei jedem weiteren Wort, welches aus seinem Munde kam, als wäre es das normalste der Welt. Jan sollte ganz kurzfristig und wie aus dem Nichts einen länger anhaltenden Urlaub genommen haben, einfach so? Jan?! Das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, so ernst wie der Fuchs seine Arbeit nahm! Da war doch irgendwas seltsam dran! Ging er mir etwa tatsächlich aus dem Weg? Konnte das wirklich sein?!

Höllenkrieger- Legt die Waffen nieder!  || Boyslove! Yaoi!♡~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt