38. Kapitel- Schönen Abend noch!

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Ganz still war es noch in der Verkaufshalle, als meine Kollegen und ich den alten Supermarkt betraten. Gerade erst hatte ich erfahren, dass mir heute mit eines der bedeutsamsten Ereignisse meiner bisherigen beruflichen Laufbahn bevor stand. Denn von diesem Tag an durfte auch ich an der Kasse sitzen und die Waren der Kunden über das Band ziehen! Diese Ehre war natürlich etwas ganz besonderes für mich und ich freute mich gewaltig darüber, doch so richtig bei der Sache schien ich nicht zu sein, was wohl auch nicht zuletzt daran lag, dass meine Gedanken noch immer einzig und allein von Jan und dem Traum der vergangenen Nacht beherrscht wurden. Dennoch nahm ich mir bereits beim Anlegen der Arbeitskleidung fest vor, mich mit aller Mühe und Hingabe meiner heutigen Aufgabe zu widmen. Ich musste nur stark genug wollen, dann könnte ich mich sicherlich auch besser konzentrieren! Und so trat ich meinen Weg zur Kasse an, setzte mich auf den weichen Drehstuhl und atmete einmal tief durch. Gott war ich nervös, denn gleich würden sich die ersten Kunden in den Laden verirren, bei uns einzukaufen und schließlich zu mir, an die Kasse, kommen. Hoffentlich unterlief mir kein Fehler! Ich durfte mir echt nichts Schlechtes mehr erlauben, hatte ja schon eine Abmahnung in der Tasche! Ach, wäre Jan doch nur hier gewesen, dann hätte sich meine Furcht sicherlich augenblicklich in Luft aufgelöst. Was er wohl gerade tat, mein kleiner Fuchs? Ob in diesem Moment vielleicht bereits die morgendliche Routine des Krankenhauses begonnen hatte? Ärztlicher Check, Frühstück, Blutabnahme und was sonst noch alles dazu gehörte?
„Ethan!“ Ich zuckte zusammen, wurde unsanft aus meinen Gedanken gerissen und das sachte Lächeln, welches sich während meines gedanklichen Abschweifens auf meinen Lippen gebildet hatte, verflog sofort. Der Chef stand vor mir, musterte mich streng und fuhr mit seinen Worten fort: „Ich erwarte von dir heute Leistung! Verstanden? Ich möchte, dass du voll bei der Sache bist und dich bitte nicht ablenken lässt! Wir dürfen nicht noch mehr Kunden verlieren! Die großen Supermarktketten haben uns schon genug Käufer ausgespannt!“ Eifrig nickte ich, konzentrierte mich wieder auf das Wesentliche, woraufhin mein Chef in seinen Räumlichkeiten verschwand und sich die Glastüren unseres Ladens bereits zum ersten Mal automatisch öffneten, an diesem frühen Morgen.
Um diese Uhrzeit schienen vor allem Arbeiter den Weg in unseren Discounter einzuschlagen. Diese wollten bei uns wohl für ihr Frühstück und ihre Verpflegung, über den langen Werktag hinweg, sorgen. Außerdem wirkten sie alle sehr in Eile, was jedoch nicht verwunderlich war, wenn sie eben schnell zu ihren Arbeitsplätzen weiter mussten.

Und so trat bereits der erste junge Mann vor mein Band und nickte mir grüßend zu. Ich erwiderte die gesellschaftliche Geste angemessen, bevor ich mich um seinen Einkauf kümmerte, welcher aus einem Sandwich und einer großen Flasche Wasser bestand. Noch etwas zögerlich las ich den Preis von der elektronischen Anzeige der Kasse ab, während der Fremde mir das Geld bereits passend auf der Ablage ausbreitete und sich schleunigst zum Ausgang unseres Ladens aufmachte. „Wiedersehen!“, rief er noch höflich, dann war er aber auch schon verschwunden. Musste wohl schlimm sein, so unter Zeitdruck zu stehen. Nun, wenigstens höflich war er, was für mich allerdings wohl eher weniger galt. Ich versuchte mich zwar an den Normen und Regeln der Gesellschaft, doch das war alles noch so furchtbar neu für mich, sodass ich mich wirklich nicht gerade leicht damit tat. Nun, zumindest wusste ich jetzt schon einmal, dass man die Käufer hier ordentlich grüßen und verabschieden musste, was immerhin schon ein Anfang war, oder?
Doch es blieb kaum Zeit weitere Gedanken an dieses Defizit zu verschwenden, denn noch bevor ich meine Gedanken beenden konnte, stand bereits der nächste Kunde vor mir, ein Jugendlicher, welcher seine Einkäufe achtlos auf das schwarze Band schmiss und wie besessen auf sein Smartphone starrte. Okay? Hoffentlich ging es dem Kleinen gut? Ein Grinsen schlich mir aufs Gesicht, als ich meinen Gegenüber so betrachtete. Doch ich gab keinen Kommentar dazu ab, denn höflich, ja, das musste ich sein und so sprach ich freundlich ein kurzes: „Guten Morgen!“ aus, auf das jedoch nur ein genervtes Augenrollen erwidert wurde. Oh Gott, wie schön es doch sein musste, die Pubertät voll ausleben zu können! Nun, bevor ich mich noch unbeliebter bei dem Jungen machte, zog ich seine Einkäufe über die Kasse und stellte fest, dass es sich dabei um nichts Geringeres als Muffins und Cola handelte. Was für ein zuckriges Frühstück! „Lass es dir schmecken!“, räusperte ich mich und versuchte das aufkeimende Lachen zu unterdrücken, als der Kleine seine beinah in den Knien hängende Hose hinauf zog und schon fast beleidigt das Geld auf den Tresen knallte, nur um sich anschließend schleunigst aus dem Staub zu machen. Ich machte mich nicht über den Jungen lustig, nein, im Gegenteil! Ich beneidete ihn dafür, dass er sich erlauben konnte, dermaßen aus der Reihe zu tanzen und seinen Launen freien Lauf zu lassen. Denn ich persönlich hätte mich das in seinem Alter niemals, nie und nimmer, getraut, auf gar keinen Fall, da ich ja genau wusste, was auf Ungehorsam folgte und das war weiß Gott nichts Wünschenswertes. Dementsprechend befremdlich wirkte dieses Macho-Gehabe jedoch auch auf mich, vor allem dieses 'genervt sein', weil man ja so viel 'cooler' war als all die anderen. Das würde ich vermutlich nie ganz nachvollziehen können, jedoch brach ich beinah in tosendem Gelächter aus, als ich darüber fantasierte, ob Jan diese Phase in seiner späten Kindheit auch einmal mitgemacht haben musste. So stellte ich mir meinen Fuchs mit Jogginghose und Basecap vor, wie er genervt von der Welt Kaugummi kaute. Immer wieder prustete ich leise auf, bei diesem völlig abwegigen Gedanken. Mir war zwar völlig klar, dass Jan wohl eher nicht so drauf gewesen war, da es sich absolut nicht mit seinem sanften, liebevollen Charakterzügen vertragen hätte, doch allein der Gedanken daran war derart witzig!
Und so vergingen Minuten, Stunden und ich kassierte einen Kunden nach dem nächsten ab, wobei allesamt einen äußerst zufriedenen Eindruck machten. Dort war zum Beispiel ein älteres Ehepaar unter den Käufern, welches schon ganz faltig war. Kurze, gräuliche Stoppeln waren das einzige, was den Kopf des Mannes noch bedeckte, doch seine Frau hatte ganz intensiv weißes Haar, welches ihr sogar bis zu den Schultern hing. Sie erworben bei uns frisches Brot von der Bäckerei-Theke unseres Geschäftes, außerdem beinhaltete ihr Erwerb bei uns noch Margarine und eine Vielzahl von bunten, rundlichen Marmeladentöpfchen. Alles sprach also für ein ausgewogenes Frühstück, welches die beiden wohl vorhatten zu veranstalten. „Schönen Tag noch!“, wünschte der Herr des Pärchens, nachdem es bezahlt und seine Einkäufe langsam in einem gewebten Holzkorb verstaut hatte. Daraufhin verließen die Beiden den Laden, Hand in Hand, und ich hoffte wirklich, ihr morgendliches Mahl würde ihnen gut bekommen. So liebevolle Leute! Es war wirklich erstaunlich wie viele nette Menschen es gab! Eigentlich dachte ich, es wäre ganz anders. Ich hatte angenommen, die Masse an Personen wäre viel unfreundlicher und verschlossener. Doch nein, ich musste zugeben, sie waren wirklich fast alle sehr zuvorkommend und höflich. Krass. Dann hatte ich in meiner Vergangen wohl einfach nur Pech mit meiner Familie gehabt. Dann waren gar nicht alle Leute so böse und hinterhältig, sondern eigentlich sogar ganz okay. Diese Einsicht war wirklich essenziell für mich, doch traf sie mich beinah wie der Schlag. Es gab also gar keinen Grund mehr, vor ihnen Angst zu haben? Doch kam mir in diesem Moment erneut das Bild von Jan in den Kopf, wie er völlig Wunden übersät in diesem Krankenhausbett lag, sich kaum noch bewegen konnte. Diese Jungs, die hatten ihn kaltblütig zusammen geschlagen, einfach so. Ich schluckte schwer. Nun, es schienen wohl doch nicht alle so freundlich zu sein, im Gegenteil.

Allmählich nährte sich der Tag dem Ende zu und die warmen Strahlen des sanften Abendrotes fielen durch die großen Fensterscheiben in den Laden. „Schönen Abend noch!“, verabschiedete sich der letzte Kunde dieses Abends und verließ uns lächelnd, während ich zurück blieb, auf meinem Stuhl kauernd und vor Müdigkeit unaufhörlich gähnend. Ich war echt furchtbar erschöpft, hatte nicht gedacht, dass die Arbeit an der Kasse dermaßen kraftraubend sein konnte, doch nun freute ich mich auf ein baldiges Wiedersehen mit meinem Freund, Jan. Ich erhob mich also, streifte meinen Arbeitskittel ab und packte meine Sachen zusammen. Ob mein Vermieter bald wieder nach Hause konnte? Wann würde er zurück zur Arbeit kommen? Mit seinem gebrochenen Arm würde das wohl noch eine Weile dauern. Klar, es war zwar nur der Linke, doch für die Tätigkeit im Laden war Beidhändigkeit schon ein Riesenvorteil. Was, wenn ich ihn dann weniger zu Gesicht bekam? Doch nein, sofort schüttelte ich den Kopf, verwarf diesen Gedanken sofort. Wieso sollte ich ihn denn dann weniger sehen? Also echt, so ein Unsinn, den ich mir da schon wieder zusammensponn!
Und dennoch, es gab da etwas, was meiner Aufmerksamkeit noch viel mehr bedarf als sich einen Kopf über irgendwelche erfundenen Hypothesen zu zerbrechen!
Noch immer war es mir nicht gelungen, die Gedanken an meine nächtliche Fantasie vollständig zu verdrängen, dazu kam noch eine wirklich lebhafte Fantasie, welche mich noch immer die nackte, feuchte Haut von Jan auf mir spüren und sein Wimmer hören ließ. Das ich so ein kreatives Wesen hatte war mir bis zum heutigen Tag ja gar nicht bewusst, doch nun konnte ich es kaum noch unterbinden. Schon den ganzen Tag hatte ich mich zusammen gerissen, mich auch ja auf meinen Job zu konzentrieren, doch nun war das vorbei. Ich hatte Feierabend und als hätte sich ein Schalter in meinem Kopf umgelegt, prasselten Unmengen an Eindrücken und Tagträumen auf mich ein. 'Ethan!', hörte ich sein leises Stöhnen, welches er mir direkt ins Ohr hauchte. Er schien mir plötzlich so nah, dass sich die Haare auf meinen Armen aufstellten und eine Gänsehaut meinen Körper überzog. Ich konnte beinah seinen Atem auf mir spüren, schloss dabei für einen Moment die Augen, während sich mein Körper fast schon verkrampfte.
Verdammter Mist, wie sollte ich das nur abstellen?! Wenn Jan mir nachher auch noch in der Realität gegenüber stand, oh Gott, was sollte ich dann nur tun, um nicht direkt die Beherrschung zu verlieren? Was sollte das alles überhaupt? Holte ich jetzt etwa meine verpasste Pubertät nach, in der die ganzen Hormone verrückt spielten? Echt, das konnte sich doch niemand geben! Ich musste mich mal etwas zusammen reißen, immerhin war ich achtzehn Jahre alt! Erwachsen!
Dennoch war mir vollkommen klar, ich würde nachher in der Klinik wohl mit Sicherheit im Boden versinken wollen. Ich meine, wie sollte ich Jan denn bitte noch in die Augen sehen können, nach allem, was ich mir über ihn fantasiert hatte?! „Ich werde diesen Krankenbesuch auf keinen Fall überleben.“, seufzte ich, während ich durch die automatische Tür den Einkaufsmarkt verließ. „Wieso denn nicht?“, erwiderte da plötzlich und wie aus dem Nichts eine junge Frauenstimme und ich machte vor Schrecken einen ganzen Satz zurück, ehe ich Peggy neben mir wiederfand. Sie lehnte an einem der Schaufenster und winkte freundlich zu mir herüber.
Fröhlich führte sie mich zu ihrem Automobil und begann mit etwas Smalltalk. „Und, wie war dein Tag bisher so?“, lächelte sie zufrieden und berichtete von einem Seminar, welchem sie heute beigewohnt hatte. Ich jedoch konnte ihr kaum Folgen, da so gut wie jeder meiner Gedanken nur einem einzigen galt, wie so oft schon in letzter Zeit...

Höllenkrieger- Legt die Waffen nieder!  || Boyslove! Yaoi!♡~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt