26. Kapitel- Ein stürmischer Heimweg

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Mit gesenktem Blick schritt ich die lange Hauptstraße entlang, spürte die Kälte auf meiner Haut, die eisigen Tropfen des Regens, der tatsächlich noch aufgezogen war. Schnell retteten sich die Leute in ihre Häuser, flüchteten vor dem Regen, nur ich, ich lief schweigend weiter, denn was machte es noch für einen Unterschied? Die Nässe würde niemals bis in mein Inneres vordringen, das sich ganz taub und leer anfühlte, als wäre jedes Leben aus mir gesaugt. Ohne die Motivation oder Kraft meinen Kopf zu heben und nach vorn zu schauen, blieb ich stumm stehen, strich mir die Tränen aus dem Gesicht, die vom Regen kaum zu unterscheiden waren. Jemanden zu töten, sein Leben einfach auszulöschen, das veränderte einen Menschen, egal wie sehr er darauf trainiert wurde, doch ein Mal ist kein Mal und zwei Mal ist fast nur ein Mal, oder? Schwer schluckte ich. Ich musste nach Hause, das hier einfach verdrängen, vergessen. Dieser Tag war nie geschehen, wieso auch? Sollte ich mir tatsächlich durch so einen Tag mein neues Leben zerstören lassen? Nein, das konnte ich unmöglich tun. Und dennoch, so spürte ich ein deutliches Stechen in mir, so stark, dass sogar das Atmen schmerzte, doch was konnte ich schon dagegen tun, außer zu hoffen, dass es irgendwann verschwinden würde. Irgendwann. So schlich ich über den menschenarmen Fußweg, während mein Körper fortwährend zitterte, sodass mir das Laufen zunehmend schwer fiel. Wieso fragt ihr euch? Warum frage ich mich. Vielleicht war es die Kälte, die meine Knochen frösteln ließ, vielleicht aber auch die Angst, die noch immer tief in mir ankerte, gegen die ich mir nicht wehren konnte. Ich fürchtete mich, vor die Gewalt meiner Mitmenschen, vor dem Geist meiner Schwester und ja, sogar vor mir selbst. So kannte ich mich gar nicht, doch nach diesen beiden Morden war mir nur zu gut bewusst, dass ich mich besser schnellstmöglich mit mir bekannt machen sollte. Ich würde wohl noch eine Weile so bleiben, denn mit Sicherheit konnte ich sagen, dass dies bestimmt nicht der letzte Auftrag meiner liebsten Schwester gewesen sein würde, auch wenn ich mir sehnlichst wünschte, es wäre so.
„Hey!“, erklang da auf einmal eine, mir seltsam bekannte, Stimme, während ein kleines Auto neben mir auf der Straße hielt. Das Fenster der Beifahrerseite war herunter gekurbelt, wodurch die Stimme des Fahrers sehr wohl zu hören war, nur zu mir durchdringen konnte sie nicht. Kurz überlegte ich zwar, stehen zu bleiben, doch entschied ich mich dagegen. Was sollte das noch? Ich wollte doch einfach nur meine Ruhe! Einfach schnell Heim und mich in mein Bett verkriechen! Was war denn so schwer daran?! „Ich kann dich gern mitnehmen. Du willst doch nach Hause, oder?“ Bei diesem Satz sah ich erschreckt auf, zuckte beinah sogar zusammen, bevor ich mich zu dem Auto wandte und in seinem Inneren einen jungen, schicklich gekleideten Mann entdeckte. „Ben.“, entschlüpfte meinen Lippen diese kleine Erkenntnis, woraufhin er mir die Tür aufstieß. Zögerlich sah ich mich um, erkannte den Regen, erinnerte mich an die weite, lange Strecke die ich noch vor mir hatte. Zu Fuß würde ich sicher noch eine halbe Ewigkeit brauchen, bis ich an meiner Wohnung ankam, doch ich wollte ja möglichst schnell dort sein. So gesehen war Bens Angebot wirklich vorteilhaft für mich, sodass ich schließlich tatsächlich in seinen Wagen stieg und das Fenster schloss. „Wieso treffen wir uns eigentlich immer nur, wenn es regnet?“, lachte Ben mir freundlich entgegen, ich jedoch zuckte nur mit den Schultern. War mir doch völlig egal, wann ich diesen Typen traf und wann nicht. Wichtig war nur, dass ich jetzt endlich Heim kam und so begann die Fahrt durch den aufziehenden Sturm, der sich auch in meinem Inneren auszubreiten schien, immer tiefer, immer kälter.

Lieblich fröhliche Musik drang leise aus dem alten Autoradio, während Ben entspannt durch die Stadt fuhr. Ihn schien das Wetter wohl eher weniger zu stören, stattdessen wirkte er viel interessierter an dem, was sich im Auto abspielte. „Und, was hast du heute so schönes gemacht?“, begann er mit Smalltalk, mir jedoch lief es kalt dem Rücken hinab. Was ich getan hatte? Ich schluckte schwer. Das wollte Ben lieber nicht wissen, ganz davon abgesehen, dass ich auch überhaupt nicht vorhatte darüber zu reden. Wozu auch? Ich wollte nicht auch noch von anderen verurteilt und gehasst werden, reichte doch schon, wenn ich das selbst machte. „Ich war auf der Arbeit, den ganzen Tag.“, entgegnete ich also und stellte fest, dass mich dieses Gespräch tatsächlich ein wenig abzulenken schien. Oft schon hatte ich von diesem Phänomen gehört, das beschrieb, war man in Begleitung anderer verdrängte man automatisch Angst und Depressionen, konzentrierte sich lieber auf den Moment. Ernst, wenn man dann wieder in Gegenwart von einzig und allein sich selbst war, kamen die Zweifel und negativen Gedanken zu einem zurück. Bisher hatte ich das noch nie erlebt und somit bestätigen können, doch wie gesagt half mir der Kontakt mit anderen tatsächlich, zumindest ein Stück weit. „Ich war heute beim Tätowierer! Guck mal!“, verriet Ben stolz und hielt mir seinen, in durchsichtige Folie gewickelten, Unterarm vor die Nase. Ich allerdings fuhr geschockt zusammen, als ich den stattlichen, blauen Vogel auf seiner Haut entdeckte und mir augenblicklich wieder ins Gedächtnis gerufen wurde, dass dieses Symbol nicht nur bei den Opfern, sondern auch auf dem Flyer abgebildet war, den Ben mir einen Tag zuvor gegeben hatte. „Von diesem Club?“, fragte ich mit gedrückter Stimme und wandte meinen Blick von dem Tattoo ab, welches mein Herz beinah zu einem Stillstand gebracht hatte. Oh Gott, so viel zu der Theorie, dass Gespräche gut waren und ablenkten. Das war dann wohl auch dahin. „Ja, genau!“, nickte Ben, woraufhin ich die Luft anhielt. Hieß das, die ganzen Leute waren Teil des Clubs? Konnte es so einen Zufall geben? Doch einen blauen Vogel gab es ja nicht nur einen auf der Welt, wer sagte also, dass es nicht mehrere Bedeutungen für dieses Zeichen gab? Seltsam war es allerdings trotzdem und kurz dachte ich auch darüber nach, Ben nach den toten Männern zu fragen, doch wie erklärte ich ihm denn bitte, woher ich die kennen sollte, wenn ich doch gerade erst in die Stadt gezogen war! Abgesehen davon kannte ich ja nicht einmal die Namen der Opfer, wie also sollte diese Frage aussehen? 'Hast du in letzter Zeit von toten Menschen in deinem Club gehört, oh und woher ich das weiß, obwohl es in den Medien nicht bekannt gegeben wurde? Ja, weil ich der Mörder war.' So etwa? Genau, alles klar. Nein, nein ganz klar, es konnte nur ein dummer Zufall sein, nicht mehr. Nur ein Zufall. Seufzend ließ ich meine Stirn gegen die kühle Fensterscheibe fallen. Ich musste nach Hause und schlafen, das Bild der toten Männer einfach aus meinem Kopf löschen. Irgendwie musste das doch funktionieren! Irgendwie!

Höllenkrieger- Legt die Waffen nieder!  || Boyslove! Yaoi!♡~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt