7. Kapitel- Sommersprossen

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Stumm saß ich in dem kleinen Zimmer des Personalchefs. Es war schlicht eingerichtet, glich einem Büro mit großem Schreibtisch und wenigen Stühlen. Zwei davon auf der Seite der Arbeiter, ein großer Drehsessel auf der anderen. Die Wände des Raumes waren weiß gehalten und einige an geklappte Fenster brachten frische Luft ins Geschehen. Tief atmete ich diese ein, als wolle ich sie ganz für mich allein beanspruchen. Ich war furchtbar nervös, hoffte, vielleicht würde mich etwas Sauerstoff vor einem Nervenzusammenbruch bewahren. Ich verschränkte meine Hände, drehte sogar Däumchen und zappelte mit den Füßen. Noch immer war der Chef des Supermarktes nicht aufgetaucht und das, obwohl ich mit Sicherheit schon geschlagene zehn Minuten hier auf ihn wartete. Dabei musste ich ja wohl nicht erwähnen, wie mir mein Herz mehr und mehr in die Hose rutschte. Ich brauchte diesen Job! Das war wirklich sehr wichtig! Ich durfte das hier nicht versauen, durfte nichts Falsches sagen oder tun! Für mich oder nein, noch besser für ihn. Für Jan! Ich musste ihm doch die Miete zahlen können, außerdem, ich hielt Inne. Jan hatte mir sehr geholfen, er war an meiner Seite und interessierte sich ehrlich für mich. Ich wollte ihn stolz machen. Ja, ich musste ihm zeigen, wie sehr ich das hier wollte! Ich wollte sein Lächeln sehen, wenn er von meiner Anstellung hier erfahren würde! Lächelnd senkte ich den Blick, als ich daran dachte, wie er wohl aussehen würde, der Gesichtsausdruck meines kleinen Helfers. Da hörte ich plötzlich das Klacken einer Tür und fast instinktiv sprang ich von meinem Platz auf. Ich spürte, wie mein Puls raste, mein Herz gegen meine Brust schmetterte vor Aufregung. Ich dufte auf keinen Fall etwas Dummes sagen! „Guten Tag. Sie müssen dann wohl Ethan sein?" Mit diesen Worten trat er kurz darauf ein, ein älterer Herr, mit weißem, kurzem Haar, welches eher Flaum glich und sich einzig noch an den Seiten seines Schädels wucherte. Seine Platte hingegen war bereits ganz kahl. Sein Gesicht allerdings zierten weiße, kurze Härchen in Form eines Oberlippenbartes, welcher fein sauber und ordentlich zu den Seiten gekämmt war. Der Ältere trug einen dunklen Kittel, eine Art Schürze, die ihm bis zu den Knöcheln ging und auf dessen Frontseite der Name des Einkaufladens als Aufdruck abgelichtet war. Darunter saß sein hellblaues Hemd, was schließlich in einer dunklen Jeanshose endete. Seine schwarzen Herrenschuhe schienen ganz typisch für sein Alter zu sein, doch alles in allem wirkte er noch nicht sonderlich gerostet. Viel eher geordnet und streng. Dies konnte einen ziemlich einschüchtern, wenn man bedachte, wen dieser Mann hier vor mir darstellen, meinen hoffentlich zukünftigen Chef! „Setzten Sie sich bitte.", fuhr dieser dann gleich fort, nachdem auch ich ihn höflich begrüßt und mich mit vollem Namen vorgestellt hatte. Zwar waren mir nicht komplett alle gesellschaftlichen Gepflogenheiten bekannt, doch war ich nicht dumm und konnte mir so einiges zusammen reimen. Außerdem versprühte dieser Mann tatsächlich eine gewisse Autorität, was ich allerdings nicht wirklich gut heißen konnte. Zu oft hatte ich mich bereits unterworfen, doch halt! Ich musste mich sammeln, musste mich zusammen reißen! Ich brauchte diesen Job unbedingt und auch, wenn Jan erzählt hatte, in diesem Geschäft sei wahrhaftig Not am Mann, so wirkte mein Gegenüber nicht gerade wie jemand, der jeden dahergelaufenen Grünschnabel für sich arbeiten ließ. Er schien auch trotz seiner anscheinend verzweifelten Lage, kontinuierlich das Beste für seinen Markt zu wollen und wenn ich so darüber nachdachte, war das etwas wirklich Gutes. „Ich freue mich, sie heute hier zu haben. Erzählen Sie doch mal, was treibt sie gerade zu uns?", begann der alte Herr dann mit Fragen und nickte mir freundlich zu. Mh, vielleicht war er doch nicht so festgefahren und streng wie anfangs vermutet. Ich zögerte einen Moment, doch erwiderte schließlich mehr oder weniger mit Überzeugung: „Ich bin der Untermieter von Jan. Er hat mir Ihr Geschäft empfohlen und da ich zurzeit auf Jobsuche bin, dachte ich, das hier wäre eine gute Wahl." Und so hatte auch ich das Gespräch gestartet. Wir erzählten und erzählten. Immer wieder kamen einige Fragen seitens des Ladenführers, die ich auch relativ schickt beantworten konnte, sodass sich meine Nervosität langsam verzog und ich sogar bei der Frage zu meiner Herkunft und meiner schulischen Laufbahn eine passende Ausrede fand. Ein Glück, denn etwas wie eine Schule hatte ich nie besucht. Nur durch meine liebe Schwester hatte ich Lesen und Schreiben erlernt, da sie es mich gelehrt hat. Noch ein Weilchen führten wir die Unterhaltung fort, bis wir uns schließlich erhoben, um uns zu verabschieden.
„Wir sehen uns dann Morgen zum Probe-Arbeiten. Vergessen Sie bitte nicht, dann noch ihre Unterlagen nachzureichen.", sprach der Herr nun abschließend und ich konnte es kaum fassen. Ich hatte es geschafft! Ich hatte den Job beinah in der Tasche! Meine Mundwinkel zuckten in die Höhe und wollten sich von dort auch gar nicht mehr weg bewegen. „Vielen Dank!", schüttelte ich die Hand meines, von nun an, Arbeitgebers. Oh ja, verdammt, ich hatte es tatsächlich geschafft! Nur die Papiere musste ich mir noch besorgen, doch das würde schon nicht so schwierig werden, hoffte ich. Erst einmal musste ich aber Jan davon erzählen! Der würde Augen machen! Und so schlenderte ich glücklich und mit einem breiten Grinsen auf den Lippen, zu der großen Glaswand herüber, die sich beim Annähern automatisch öffnete, sodass ich einfach hindurch spazieren konnte. „Jan!", rief ich bereits freudestrahlend, da erblickte ich ihn. Er saß auf einer niedrigen Mauer, zur Abendsonne hinauf schauend. Langsam färbte sich der Himmel bereits orange, sowie rot. Es war ein fast magischer Anblick, wie seine fuchsigen Haare im Licht funkelten und die kleinen Sommersprossen auf seiner Nase, seine geschlossenen Augen umrandeten. Er war wirklich ein bildhübscher Junge, das musste man ihm einfach lassen. Schon seltsam, bei unserer ersten Begegnung war es mir gar nicht sofort aufgefallen und nun? Nun sprang es mir quasi ins Auge. Jetzt blendete mich seine Schönheit beinah schon. Unglaublich, wie schnell der Tag vergangen war. Wenn ich so zurück dachte, wie lang mir die Tage früher immer erschienen waren, wie endlos, wie trostlos. Doch nun? Nun hatte sich das geändert, dies hoffte ich zumindest. Ich betete dafür, dass es nun anders war. Heute war so schön gewesen, so voll Freude und Gelassenheit. Das würde ich niemals vergessen. Ich würde ihm dafür immer dankbar sein, ihm, meinem kleinen Retter. „Ethan!", rief er da plötzlich, als er mich entdeckte und ich schritt lächelnd zu ihm hinüber auf die andere Straßenseite. „Und?", fragte er sofort, doch ich strich ihm nur über die Wange und nickte. Ich konnte es ja selbst nicht glauben, wie vertraut ich hier mit einem fast Fremden umging, doch was sollte ich denn bitte tun? Noch länger warten? Nein, ich hatte schon achtzehn Jahre meines Lebens in Angst und Qual verschwendet. Durch Jan erlebte ich nun, wie viel Freude man auch haben konnte, wozu also noch warten. Ich wollte einfach nur bei ihm sein, einen normalen Alltag führen, an seiner Seite. Daran war doch nichts verwerflich. Also, weshalb nicht sofort liebevoll miteinander umgehen, wenn es mir so richtig vorkam und auch Jan nicht zu stören schien? War doch nichts dabei. Jan derweil quiekte auf und umarmte mich augenblicklich. „Du hast den Job?!", fragte er aufgeregt und ich dachte mir, was für ein gutes Hündchen er wohl abgegeben hätte. Ich sah ihn quasi schon mit einem wedelnden Schwänzchen und langen Schlappohren vor mir herum springen. Grinsend wandte ich mich ab bei dem Gedanken. Nun, im nächsten Leben vielleicht. Da wäre er dann ein Dackel oder ein kleiner Beagle. „Ja.", lachte ich nur etwas beiläufig und bekam dafür gleich nochmal eine feste Umarmung, welche mich nur noch mehr zum Lachen brachte, da wir schon zu taumeln begannen. „Nicht so doll.", kicherte ich nur kopfschüttelnd, doch Jan bellte, oh nein, Entschuldigung, er sprach natürlich: „Ich freue mich so für dich!" und ich strich ihm sanft über den Rücken. 'Ich weiß doch. Darum mach ich es ja, damit du dich freust.', entgegnete ich in Gedanken, bevor ich ihm höflich den Vortritt gab und wir somit zur Heimreise aufbrachen.
„Ich bräuchte noch einige Formulare. Zeugnisse und so etwas. Wo bekommt man das her?", fiel mir dann noch an, während Jan und ich gerade nebeneinander den Fußweg einer großen Hauptstraße entlang liefen, Jan allerdings winkte nur ab. „Ich hab da meine Kontakte. War früher Mal in der Szene integriert. Ich besorge dir da schon alles, was du brauchst.", erwiderte er und ich konnte ja glatt nicht hören, was er da von sich gegeben hatte. Integriert? In den Untergrund dieser Stadt? Dieser kleine, naive Pimpf hier neben mir?! Also bei aller Liebe, das konnte ich ihm nicht glauben. „Wieso denn?", versuchte ich eine Erklärung für seine Aussage zu finden. Irgendetwas musste es ja damit auf sich haben. Der Kleine wirkte auf mich nicht wie ein Lügner. „Recherche. Ich hab damals einiges erfahren wollen und brauchte eben Ansprechpartner.", meinte er bloß und wechselte das Thema danach sofort. Er begann mich über das Bewerbungsgespräch auszufragen und da ich deutlich spürte, wie wenig er über das Vorherige reden wollte, beließ ich es dabei. Es gab ja auch vieles, was Jan nicht über mich wusste und besser auch niemals erfahren sollte. Er würde es nicht verstehen. Würde mich mit Sicherheit bemitleiden oder am Ende vielleicht sogar noch verachten für die Dinge, die auch ich getan hatte. Denn auch ich war ein Mörder und genau das durfte er nicht wissen. So war es besser für ihn. Viel besser.
Zuhause angekommen erwartete uns allerdings ein ganz anderes Unheil. Kaum hatten wir den Hausflur betreten, hörten wir bereits die zwei tiefer Stimme fremder Personen. Zuerst dachten wir uns nichts dabei, war immerhin ein großes Haus in dem viele Leute wohnten, die nach Jans Erklärung auch reichlich Besuch bekamen. Soweit so gut. Dann jedoch wurde es skurril. Als wir nämlich in unserem Stockwerk ankamen, fanden wir dort zwei Polizisten vor unserer Tür vor. Diese schienen alles andere als glücklich, als sie uns schließlich erblickten. Der eine hatte schwarzes, kurzes Haar, welches ganz klebrig und schmierig aussah, als hätte er es mit Schuhcreme eingerieben. Der Scheiß rann außerdem von seiner Stirn hinab und der stehende Duft, der von ihm ausging, war auch nicht gerade so lecker. Dennoch, er war immerhin Polizist, also verkniff ich mir jeden unhöflichen Kommentar in der Hinsicht und ließ meinen Blick zu dem anderen Mann gleiten. Dieser war fast noch schlimmer als der erste! Im Ernst! Ich dachte, schlimmer geht's echt nicht mehr, hah, getäuscht! Der dicke Bierbauch des Mannes hing ihm beinah bis zu den Knien, ein ungepflegter Rauschebart zierte sein molliges Gesicht und sein dünnes, kaputtes Haar hing ihm schlaff am Schädel hinab. Man konnte ihm beinah mit einem Bergtroll vergleichen, nur war der Troll vermutlich intelligenter. Die beiden vor uns wirkten nämlich eher wie 'Dick und Doof'. Besonders helle schienen die echt nicht. Und trotzdem! Ich beherrschte mich, damit Jan nicht noch meinetwegen Ärger bekam und hörte mir an, was die beiden vorzeige Bullen wohl so zu berichten hatten. „Wir suchen jemanden.", begann der Klebrige nun und nannte Jans vollen Namen. Da blickte ich auf. Verwirrt wandte ich mich an meinen Begleiter. Jan? Was wollten die denn von Jan?! Plötzlich fiel mir unser Gespräch über die Vergangenheit des Kleinen wieder ein und ein Schauer lief mir eiskalt den Rücken hinab. Er hatte doch wohl keine Scheiße gebaut, oder?! Aber eigentlich traute ich das diesem Schwächling gar nicht zu. „Ich bin das. Was ist denn?", erwiderte Jan und klang dabei auch etwas unsicher. Scheinbar wusste er nicht mal selbst, was er nun genau falsch gemacht haben sollte. Dies erleichterte mich zumindest schon einmal ein wenig. Das musste ja heißen, er hatte zumindest schonmal niemanden umgebracht oder so. Aber was könnte es dann sein, was diese Verbrechensjäger von meinem Vermieter wollten?

Höllenkrieger- Legt die Waffen nieder!  || Boyslove! Yaoi!♡~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt