62. Kapitel- Vertrauen

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„Aber eines hab ich noch immer nicht ganz verstanden. Wieso hat die Sekte deine Eltern überhaupt ermordet und weshalb hätte sie dich mit umgebracht?" Noch immer waren wir auf dem Heimweg und vermutlich hätte ich das Thema einfach gut sein lassen, doch wenn wir schon mal dabei waren, über privates zu berichten, dann wollte ich es auch ganz genau wissen.

„Nun", begann Jan ganz offen, was wohl bedeutete, er hatte kein Problem mit meiner Nachfrage, „es ist folgendermaßen: In der Sekte existieren sozusagen Auftragsmörder. Die sogenannten Höllenkrieger. Sie sind dafür zuständig jene Menschen, die der Sekte schaden, aber in erste Linie auch Mitglieder, die austreten wollen, zur Strecke zu bringen. Zur Abschreckung all jener, die auch noch ähnliches vorhaben. Also so von wegen: ‚Sieh, was denen passiert ist. Machst du Dummheiten, geschieht dir dasselbe.' Und meine Eltern hatten scheinbar vor, auszutreten. Deshalb mussten sie sterben." Aufmerksam lauschte ich seinen Worten. „Höllenkrieger?", wiederholte ich stirnrunzelnd. Was ist das denn bitte für eine alberne Bezeichnung? „Ja, aber darüber erzähl ich dir später mal, ja? Dafür brauch man Zeit und Ruhe, das kann man nicht so zwischendurch bereden.", winkte Jan ab und ich nickte nur. Hatte ja keine Ahnung davon, wie wichtig so ein Gespräch über diese 'Krieger' für mich gewesen wäre. In jenem Moment hörte es sich für mich einfach nach einer seltsamen Sache einer gefährlichen Sekte an, mit der ich jedoch erstmal nicht in Verbindung stand. Ja, vielleicht war es naiv, zu denken, all das hätte nichts mit mir zu tun. Immerhin verfolgte mich dieses Zeichen der Gruppierung und genau genommen war auch ich eine Art ‚Auftragsmörder'. Doch vielleicht wollte ich es in jenem Moment einfach nicht wahr haben. Vielleicht wollte ich es gerade jetzt einfach einmal gut sein lassen, über die Sekte zu grübeln, wollte lieber den Augenblick mit Jan genießen, ohne immerzu an das schlechte in meinem Leben erinnert zu werden. Da wurde mir jedoch eines klar, mein Füchschen hatte mir nun so vieles über sich anvertraut und ich? Ich war noch immer nicht mit der Sprache heraus gerückt, ließ den Kleinen sogar in dem Glauben, ich wäre ein Straßenkind gewesen. Das war nicht fair. Echt nicht. Ich konnte ihm zwar nicht sagen, was für ein schlechter Mensch ich war, doch über meine Herkunft konnte ich ihn ja zumindest einmal aufklären, oder? Ich musste es ja nicht bis ins kleinste Detail ausführen, doch eine ungefähre Vorstellung von meiner Kindheit war ich ihm schon irgendwie schuldig. „Jan.", nahm ich das Wort nun also an mich und schluckte schwer. Man, das würde jetzt wahrhaftig kein leichtes Geständnis werden. „Die Wunden, die kommen nicht von der Straße. Ich war noch nie obdachlos." Schlagartig stoppte Jan und wandte sich blitzschnell zu mir. Überrascht zog er die Augenbrauen hoch und selbst als ich versuchte einfach weiter zu gehen, ließ er dies nicht zu. Er stand still, wartete gespannt auf meine Erklärung. „Also. Ich weiß nicht ganz, wie ich es sagen soll." Ich stockte. Ob das wirklich so eine gute Idee gewesen war? Vielleicht sollte ich doch noch einen Rückzieher machen, allerdings war es dafür ja nun auch schon zu spät! Ich holte also tief Luft, überwand mich und presste Folgendes angespannt zwischen meinen Lippen hervor: „Die kommen von meinem Vater. Er hat mich misshandelt." Sofort nahm ich meinen Blick von Jan. Ich wollte nicht wissen, wie er mich jetzt betrachtete. Wie er reagierte. Ich hätte es nicht ertragen, wenn er mich nun als eklig wahrnehmen würde. Immerhin war ich nicht so rein und schön wie er, ich war kaputt und verbraucht. War beschmutzt und weggeworfen, ein wahres Wrack. Was sollte ein Engel wie er schon von so einem wie mir wollen, nicht wahr? Doch Jan dachte nicht auf diese Weise, er sah mich nicht als etwas Dreckiges oder Schäbiges. Für ihn war die Sache klar, wie es schien. Denn gerade, als ich mir bereits sicher war, dass er mich nun ganz anders behandeln würde, nahm mein kleiner Fuchs schweigend meine Hand. Vorsichtig schlich er um meinen, von ihm weggedrehten, Körper, bis er sich wieder direkt in meinem Blickfeld befand. Traurig lächelte er mich an, strich mir sanft durchs Haar und nickte einfach nur. Er nickte, als wolle er sagen: „Ist okay. Alles wird wieder gut." Gott, diese Reaktion erleichterte mich so sehr, das glaubt ihr gar nicht. Eventuell klingt es verrückt in euren Ohren, doch ich wollte nicht, dass jemand mich anders behandelte, nur weil er es wusste. Manch einer würde wohl denken: Ist doch gut, wenn er Rücksicht zeigt, oder? Nein, ich wollte keine Rücksicht oder Mitleid. Ich wollte meine Vergangenheit einfach hinter mir lassen, sie vergessen und weiter leben, als wäre das alles nie geschehen. Jans Blick verriet mir, dass er dies verstand und genau das machte mich furchtbar glücklich.

„Komm, gehen wir Heim.", gab ich beruhigt von mir, bevor wir letztlich unseren Weg fortsetzen, wobei Jan gelassen und sichtlich fröhlicher als auf dem Hinweg, von einigen witzigen Geschichten seiner Zeit im Waisenheim plauderte. Wie er damals zum Neujahrsfest mit einer Rakete das kleine Getreidefeld des Nachbarn abgebrannt und heimlich die Tagebücher seines Zimmer-Mitbewohners gelesen hatte. Ja, der Kleine war scheinbar ein ziemlich gewöhnungsbedürftiger Zeitgenosse, doch was soll ich sagen? Ich mochte ihn genauso, wie er war. Und wie ich ihn mochte, verdammt, es war unfassbar.

Höllenkrieger- Legt die Waffen nieder!  || Boyslove! Yaoi!♡~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt