23. Kapitel- Das Ende vom Glück

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Fest schlief ich in dieser Nacht und ruhiger als jemals zuvor. Zwar war es furchtbar ungewohnt derart nah neben einem anderen Menschen so schutzlos zu liegen und einfach zu schlafen, doch aus irgendeinem Grund machte mir es nicht das geringste aus. Im Gegenteil, ich genoss es sogar ein wenig sein schlafendes Gesicht sehen zu dürfen, ihn fest in meinen Armen zu halten und seinen Atem auf meiner Haut zu spüren. Es gab mir Sicherheit, Geborgenheit und ich mochte es tatsächlich noch mehr, als ich vermutet hätte. Wenn es Jan war, schien mir eben keine Berührung unangenehm. Er war in den wenigen Tagen bereits viel sanfter, liebevoller als meine Eltern in den ganzen achtzehn Jahren zuvor, weshalb ich es auch gar nicht so seltsam fand, dass ich Jan als einen wichtigen Teil meines Lebens akzeptiert hatte. Er war wie eine ganze, warmherzige Familie für mich, vereint in nur einem Menschen, ihm.
Warm spürte ich die grellen Sonnenstrahlen durch das Fenster, hinab zu mir aufs Bett fallen, doch was ich dann vernahm, war noch viel sanfter, als die Strahlen es jemals hätte sein können. Ich fühlte nämlich, wie etwas weiches behutsam an meiner Wange hinab streichelte. Es schienen Finger zu sein, welche ganz vorsichtig zu meinen Lippen hinab fuhren, um zögerlich über sie zu streichen. Außerdem drang eine helle, jedoch ebenso beruhigende Stimme zu mir vor, welche leise seufzte, als gehörte sie zu einem vollkommen Verträumten. Nur langsam blinzelte ich gegen das grelle Licht, öffnete meine Lider und fand einen kleinen, rothaarigen, jungen Mann vor mir, welcher zugegeben ziemlich mitgenommen ausschaute. Unwillkürlich begann ich mit Grinsen, als ich seine roten Wangen wahrnahm, während er seine Hand schnell zurück zog, so als hätte ich nicht bemerkt, dass er mich sachte wie er war, ganz zärtlich gestreichelt hatte, fast so als wäre ich sein flauschiges Haustier. Ich zog ihn zu mir, Jan, der seltsamerweise bereits angezogen war. „Ich muss zur Uni.", murmelte er leise, schien allerdings kaum ein Wort heraus zu bekommen. Nicht nur, dass seine Worte eher stotternd über seine Lippen kamen, nein, auch, dass es wohl kaum Luft bekam, brachten mich dazu die Umarmung, mit der ich ihn an diesem Tag begrüßt hatte, rasch zu lösen. Besorgt musterte ich ihn, doch Jan schien unversehrt, den Augenkontakt zu mir schien er allerdings vermeiden zu wollen. Ob alles in Ordnung mit ihm war? „Zur Uni?", hinterfragte ich, während ich sanft über den Unterarm meines Freundes strich, woraufhin eine genussvolle Gänsehaut seinen Körper überfuhr. „Ja, ich bin doch Student der Verhaltensforschung! Vergiss den Supermarkt heute nicht. Ich bring die Unterlagen noch schnell vorbei, bevor ich zur Vorlesung gehen. Frühstück steht in der Küche. Komm bitte nicht zur spät. Unpünktlichkeit kann der Chef gar nicht leiden." Mit diesen hastig gewählten Worte, schob er mich ein Stück zurück und erhob sich. Der Fuchs schien verunsichert, beinah schon überfordert, nur der Grund erschloss sich mir nicht so ganz. Hatte ich mich etwa falsch verhalten? Doch was sollte ich denn verbrochen haben? Er hatte doch selbst auf das Kuscheln bestanden. Fieberhaft überlegte ich, doch fiel mir nichts ein. Vielleicht war der Kleine heute einfach nur mit dem falschen Fuß aufgestanden? Das gab es ja öfter und mir war es selbst schon einmal so ergangen. Konnte doch gut möglich sein! „Vergiss nicht, viel Wasser zu trinken.", meinte Jan noch, da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. „Hast du Schmerzen wegen dem Alkohol?", erkundigte ich mich gerade heraus und verriet somit meine neuste Vermutung, welche sogar tatsächlich bestätigt wurde. „Kopfschmerzen, aber ich hab' schon eine Tablette genommen, also alles okay. Komm nicht zu spät. Bis dann." Mit diesen Worten trat Jan ein Stückchen zurück, wobei mir seine Kleidung auffiel. Zwar trug er seine kurze, blaue Hose, mit welcher er auch geschlafen hatte, doch das Oberteil, was er sich nun anscheinend etwas länger ausgeliehen hatte, war noch immer mein Hemd, welches ich am Tag zuvor bei der Arbeit getragen hatte. „Warte!" Ich erhob mich, ging dem Kleinen hinterher, bis hin zur Wohnungstür, als der Jan gerade flüchten wollte. „Wann sehen wir uns wieder?", wollte ich wissen und hielt meinen Vermieter am Arm fest. Dieser wich mir aus, wandte sich ab. „Du hast meine Adresse.", meinte er nur mit gedrückter Stimme, wollte damit wohl so gelassen wie möglich zu wirken, doch erkannte ich die tiefe Röte sofort, die sich sogar bis zu seinen kleinen Ohren hinauf zog. Dann verschwand er rasch und ich sah ihm nach, grinste nur. Jan war einfach zu niedlich für diese Welt! Da wollte er seine Verlegenheit ja tatsächlich vor mir verbergen. Als ob ich so blind wäre! Nur weshalb er so vor Scharm glühte, konnte ich mir noch immer nicht erklären. Seltsam.
Ich schmiss die Tür ins Schloss, drehte mich und sah zu meiner kleinen, verwüsteten Matratze hinüber, setzte ein paar Schritte auf sie zu. Kurz nur bückte ich mich, erhob diesen kleinen, dünnen Stofffetzen, welcher gestern Abend noch Jans Oberteil dargestellt hatte. „Was für ein Abend.", sprach ich zu mir selbst und schüttelte nur lächelnd den Kopf. Wow, schon krass, dass ich einmal solche Dinge wie Karaoke so unbeschwert erleben durfte. Es glich fast einem Wunder, doch das war es nicht. Diese Erlebnisse waren keinesfalls Wunder, Jan hingegen schon. Denn er war es, der sie überhaupt erst schön und einzigartig machte, diese Dinge, die ich nur mit ihm erleben wollte.
Nachdem ich Jans wirklich liebevoll angerichteten Frühstück beendet und die etwas schwierigere Suche nach passender Arbeitskleidung abgeschlossen hatte, machte ich mich letztendlich auf den Weg zu meinem Arbeitsplatz. Dieses Mal achtete ich sogar darauf, den richtigen Weg zu beschreiten, um mich nicht noch einmal zu verlaufen und vielleicht noch zu spät zu kommen. Kurz dauerte es schon, doch schließlich kam ich tatsächlich noch pünktlich, wenn auch gerade so mit viel Glück, und wurde auch direkt vom Chef persönlich begrüßte. Zufrieden strahlte er mir entgegen, als ich durch die große Automatiktür in den Laden spazierte. Verdutzt schaute ich mich um, wollte erkennen, wen er da so herzlich begrüßte, bis ich schließlich auf den Schluss kam, dass er wohl nur mich meinen konnte, da sich kein anderer Mensch in unserer Umgebung befand. Etwas irritiert musterte ich ihn fragend, er jedoch gluckste nur glücklich: „Jan hat vorhin deine Unterlagen vorbeigebracht. Willkommen an Bord!" Dabei hielt er mir freundlich seine Hand hin, welche ich höflicherweise auch schüttelte. Fröhlich schwebte ich dann hinter in die Umkleideräume und konnte es selbst noch kaum fassen. Ich hatte wirklich einen festen Job, wenn auch nur als Aushilfe! Ich hatte es geschafft! Lächelnd legte ich mir die Schürze um, strich mir die dunklen Haare aus dem Gesicht. Das musste ich nachher auf jeden Fall Jan erzählen! Zwar war es klar, dass ich die Stelle wohl bekommen würde, doch nun war es sicher und ich wusste, er würde sich für mich freuen. Mit diesem wichtigen Schritt, diesem Erfolg machte ich ihn bestimmt stolz auf mich! Das hoffte ich zumindest.
Und so begann ich mit meiner Arbeit, räumte Regale ein, wischte und fegte die Böden der Geschäfts- und Lagerhalle, half beim Ausladen der Lieferung der neuen Waren und durfte sogar einigen Kollegen an den Kassen zusehen, wie sie die Einkäufe der Kunden über das Band zogen, die Artikelnummern eintippten, Wechselgeld ausgaben und vieles mehr. Es war spannend und ich genoss es, denn ich wollte lernen! Ich wollte meinen Job gut machen, daher nahm ich jede Hilfe mit Freuden an, genauso wie jede Aufgabe, die mir aufgetischt wurde. Zwar war es etwas ruhiger und auch öde ohne Jan zu arbeiten, doch ich gab mein Bestes um auch in seiner Abwesenheit gute Arbeit zu leisten. Immerhin wollte ich ihm beweisen, dass es mir wirklich ernst war und dass ich ihm jeden Cent, den er nun für mich ausgab, schon bald zurück zahlen würde! Ich wollte seine Hilfsbereitschaft nicht ausnutzen, wollte ihm nicht länger eine Last sein! Also strengte ich mich so sehr an, wie ich es nur konnte, damit Jan bald schon mitbekam, dass die Liebe und Freude, mit der er mich behandelte, auf keinen Fall unnütz war.
Gerade war ich also dabei, die Getränkeregale aufzufüllen. Ich war recht groß und auch nicht gerade zierlich gebaut, weshalb der Chef mir diese wichtige, anstrengende Aufgaben überlassen hatte. Dafür war ich ihm sehr dankbar, denn es hieß, er setzte eine gewisse Hoffnung in mich. Das war doch super! Daher stemmte ich einen Kasten nach dem Nächsten und stapelte sie so, dass sie auf keinen Fall umfallen würden, denn natürlich wollte ich keinen enttäuschen, indem meine Arbeit schlecht oder halbherzig war. Die Konzentration zu wahren fiel mir jedoch wirklich schwer, denn immer wieder drifteten meine Gedanken zu Jan ab, der sich vorhin echt seltsam verhalten hatte. Ich suchte nach dem Grund, doch erkannte ihn kaum. Was ich jedoch mitbekam war, wie schnell mein Herz zu schlagen begann, sobald ich nur eine Sekunde an meinen Freund dachte. Es war komisch, doch Nervosität stieg in mir auf, allein schon wenn ich seinen Namen hörte. Woran das wohl liegen mochte? Vielleicht, weil er nach meiner Schwester der erste und einzige Mensch war, der mir wirklich etwas bedeutete? Er war immerhin mein Retter und irgendwie auch alles, was ich hatte. Er war meine Welt, meine Familie, meine Hoffnung, das ließ sich nicht leugnen. Aber weshalb hatte ich diese Art von Herzklopfen dann nie bei meiner Schwester verspürt, die sich auch oft um mich gekümmert hatte, als wir noch klein waren? Ich schüttelte den Kopf. Nein, jetzt arbeitete ich, ich musste mich auf meinen Job konzentrieren und durfte mich nicht durch solche Dinge ablenken lassen! So stemmte ich auch den letzten Kasten und wollte ihn gerade auf den kleinen, doch stabilen Getränke-Turm setzten, da geschah es plötzlich und wie aus dem Nichts. „Ethan!", schrie eine Stimme und ich zuckte so stark zusammen, dass ich den Halt verlor und mir der schwere Bierkasten, den ich gerade noch vom Stapel wegziehen konnte, entgegen fiel. Mit einem ohrenbetäubenden Klirren zersprang er beim Aufprall auf den Boden und ich hielt mir die Arme vors Gesicht. Die Scherben flogen durch die Luft, trafen mich sogar, doch die Verletzungen waren so gering, dass ich beschloss, es einfach zu ignorieren. Viel wichtiger war, die Situation erst einmal zu überblicken, denn meine Überforderung war mir wie ins Gesicht geschrieben. „Ethan! Ich brauche deine Hilfe!" Ich erstarrte, als ich die helle, liebliche Stimme meiner Schwester vernahm, hielt die Luft an. Nein. Nein! Bitte nicht! Ich konnte das nicht wieder tun! Es ging nicht! Angsterfüllt taumelte ich einige Schritte zurück, lief gegen ein kleines Regal, an welchem ich schließlich auch stehen blieb. Gestern hatte sie mich verschont! Beim Karaoke und die Nacht danach hatte ich Glück gehabt, doch nun war es vorbei. Jedes Glück hatte mich verlassen und die pure, grausame Realität holte mich viel zu schnell wieder ein. „Gnade.", hauchte ich leise, doch wusste ich, dass es keinen Sinn hatte. Sie konnte mich nicht hören oder wollte sie es einfach nur nicht? „Du musst jemanden für mich finden und beseitigen!" Diese Worte ließen mir das Blut in den Adern gefrieren und wenn man dachte, es konnte sowieso nicht noch schlimmer werden, tja, dann kam das nächste Übel um die Ecke! „Ethan, was geht hier vor sich?!", stand auf einmal ein sehr aufgebrachter Chef vor mir, der auf das feuchte Chaos zeigte, welche die zerbrochenen Bierflaschen auf dem Boden des Einkaufsladens hinterlassen hatte. „Oh Gott, Sie bluten ja! Moment, ich rufe einen Rettungswagen!", fügte er kurz darauf noch hinzu und hielt sich vor Schreck die Hand vor den Mund, doch ich schüttelte nur den Kopf. „Ethan! Hilf mir! Ethan!", schrie meine Schwester und ich begann zu zittern. Scheiße verdammt! Ich musste hier weg, ich musste gehen! „Tut mir leid. Ein Notfall, ich muss los. Verzeihen Sie bitte!" Mit diesen kurzen Sätzen verabschiedete ich mich von meinem völlig fassungslosen Chef, bevor ich an ihm vorbei, aus dem Laden rannte, immer weiter und weiter davon, sah nicht zurück, nicht ein einziges Mal. Diese Sache, die konnte mir alles kaputt machen. Würde ich meinen Job verlieren, wäre es das mit meinem 'neuen Leben', das war mir vollkommen bewusst, doch was sollte ich denn bitte tun?! Es ging schließlich um meine Schwester und auch, wenn ich mir wünschte, sie hätte keinen Kontakt zu mir aufgenommen, so musste ich dennoch tun, was sie verlangte. Mir blieb keine Wahl, selbst wenn ich mir im Moment wirklich eine gewünscht hätte. Nur eine, eine einzige. Die hätte mir schon gereicht, nur eine Wahl.

Höllenkrieger- Legt die Waffen nieder!  || Boyslove! Yaoi!♡~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt