51. Kapitel- Kuss und Schluss?

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Allmählich verschwanden auch die letzten fernen Streifen des schwachen Abendrots vom Himmel und die Dämmerung ergriff Besitz von der Welt, welche sie nun in ein tristes Grau zu färben begann. Wobei all das, was zuvor in knalligen Farben erstrahlt war, nun erbarmungslos in diese taube Hülle voll einheitlicher Trostlosigkeit gehüllt wurde. Doch nein, nicht alles, es gab etwas, das noch immer farbenfroh strahlte, und zwar heller als jede Sonne, bunter als jede Blume. Jan lächelte fröhlich zu mir herüber und ich wusste sofort, dass er kein Licht zum Strahlen brauchte. Nein, er war das Licht, das schönste von allen. „Dort vorn ist es dann auch schon!“, freute er sich gerade, während wir nebeneinander die kleine Abzweigung des Wanderweges entlang spazierten. Und der Kies unter uns knirschte bei jedem Schritt. Allmählich fragte ich mich wirklich, wo mein Freund uns denn nun hinzuführen gedachte, wobei ich nur hoffen konnte, dass er sich nicht verlaufen würde. Doch wie unsicher ich auch war, solang Jan meine Hand hielt, konnte mich nichts aus der Bahn werfen. Selbst wenn wir den Rückweg nicht mehr finden sollten, solang er an meiner Seite war, konnte ich gut und gern damit leben. Dann schliefen wir halt im Gras, was soll's. Doch wie es schien, hatte Jan sich keineswegs verlaufen oder war orientierungslos geworden, er nämlich steuerte zielstrebig einen kleinen Strand an. Dieser war noch ganz wild, ohne Sand oder Kies, doch schön war er, das konnte ich kaum in Worte fassen.
„Tadaa!“, präsentierte Jan mir stolz seine ganz persönliche Lieblings-Stelle des Sees und ich schüttelte nur freudig den Kopf über ihn. Wie kindisch konnte man bitte sein? Dieser Idiot. Grinsend trat ich also heran und begann damit, mich ein wenig an unserem Zielort umzuschauen.

Diese Seite des Sees war ganz ruhig, nur in der Ferne hörte man noch leises Gläserklimpern, Lachen und die Musik der Feier. Hier jedoch war es still, so schön still. Lächelnd sah ich zum klaren Wasser hinab, in welchem sich das schwache Licht unserer mitgebrachten, roten Laterne spiegelte. Es war wundervoll, denn allmählich stand auch der Mond mit seinen kleinen Begleitern, den Sternen, über uns am Himmelszelt und warf sein sanftes Licht ebenfalls auf die spiegelgleiche Oberfläche des Sees. „Ich wusste, es würde dir gefallen.“ Ich nickte auf die Worte meines Freundes, wollte mich dementsprechend zu ihm umdrehen um etwas darauf zu erwidern, woraufhin mich jedoch ein gewaltiger Schreck ereilte, als ich sah, dass mein Füchschen seine Kleidung bereits abgestreift und zur Seite gelegt hatte. Jan, nur noch mit seine Unterhose bekleidetet, sah abwartend zu mir hinauf. Natürlich tat er das, ich hatte ja schon tief eingeatmet, um zum Reden anzusetzen. Doch unter diesen Umständen bekam ich beim besten Willen keinen Ton heraus! Also echt! Ganz rot wurden meine Wangen, bis sie letztlich wohl zu glühen schienen, während ich meinen Blick gar nicht von Jan abwenden konnte. Oh Gott, er war so wunderschön, wie er dort halbnackt vor mir stand. Er war so heiß, wirklich. Und ich konnte mich kaum beherrschen, mir nicht vorzustellen, welche Perversionen wir nun hier alleine am See begehen könnten. Doch zugleich hasste ich mich für solche Gedanken. Sie erinnerten mich an meine Vergangenheit, an meinen Vater. Und das war wirklich sehr schmerzhaft, sodass ich sie sofort wieder aus meinem Kopf strich. „Los, lass uns schwimmen gehen!“, stieß Jan mir mit seinem Ellenbogen scherzhaft gegen die Seite und ich erwachte aus meinen unmoralischen Träumereien, woraufhin ich bereits vor dem nächsten Problem stand. Ich konnte mich nicht ausziehen, sonst sähe er doch meine Narben! Und so stand ich dort also, mehr als nur 'ein wenig' unbeholfen und wusste gar nicht recht, wie ich mich nun am günstigsten herauszureden hatte. Hinzu kam nämlich noch ein weiteres Hindernis: „Ich kann gar nicht schwimmen.“, gab ich kleinlaut zu, doch Jan entgegnete mit viel Verständnis. Mein Glück, denn diese Wahrheit schien eine großartige Ausrede zu sein, um den eigentlichen Grund nicht nennen zu müssen. Perfekt! „Dann krempel deine Hose hoch und komm nur ein Stück rein!“, schien sein Vorschlag eines Kompromisses zu sein, welchen ich gar nicht mal so schlecht fand. Im Gegenteil, ich war sogar ziemlich zufrieden damit. Die Wunden an meinen Unterschenkel hielten sich glücklicherweise ja begrenzt und bei dieser Dunkelheit, sowie außerdem unter Wasser, sollten sie wohl nicht allzu auffällig sein.
Gesagt, getan und so fand ich mich nur wenige Minuten später mit nackten Füßen und hochgekrempelten Hosenbeinen im eiskalten Wasser des Sees wieder. „Oh mein Gott, ist das eisig!“, klapperte ich mit den Zähnen zu Jan hinüber und rieb mir mit den Händen die Oberarme, um sie vielleicht doch noch wenigstens ein wenig warm zu bekommen, ohne Erfolg. Es war so bitterlich kalt, echt, noch ein paar Grad weniger und der See wäre zugefroren! Logisch, es war ja auch Nacht! Da hatte man nichts im Wasser zu suchen, fand ich zumindest! Jan jedoch schien sich total wohl zu fühlen. Keine Ahnung, vielleicht war er im früheren Leben ein Lurch oder Fisch gewesen, wer wusste das schon, jedenfalls schwamm er glücklich durch das Eiswasser, welches ihm bis zum Hals ragte. Dabei tat er einfach so, als wäre gar nichts! Als wäre er gerade in einem schönen, entspannten, warmen Pool im Urlaub oder an einem tropischen Meer. Echt, der hatte doch völlig einen sitzen. Da erfror man ja beinah vom Zusehen! „Bist du dir sicher, dass du nichts getrunken hast?“, stichelte ich grinsend gegen den Lurch, welche allerdings augenblicklich zurück schlug. Dies tat er jedoch nicht mit Worten, nein! Nein, das wäre ja viel zu nett gewesen! Jan holte aus und ballerte mir eine volle Ladung Eiswasser ins Gesicht. Oh mein Gott! Das war doch jetzt nicht wahr! Das hatte der doch jetzt nicht ernsthaft gemacht?! Mit klitschnassen Haaren und fröstelnd kauerte ich dort, war völlig fassungslos über Jans Reaktion und brauchte einen Moment um überhaupt zu verstehen, was hier gerade abging. Bis ich jedoch frustriert feststellen musste: „Das bedeutet wohl Krieg!“ Eigentlich wollte ich das nicht, echt nicht. Das beinhaltete ja, nur noch mehr Wasser ins Gesicht zu bekommen, doch diese Aktion auf mir sitzen lassen? Darauf konnte Jan lange warten! Als ob ich diese Schandtat unbestraft im Raum stehen lassen würde! Nein, niemals, also fackelte ich nicht lang, während ich bereits den visierenden, lauernden Blick meines Freundes erkannte, und spritze ihm eine kräftige Ladung Wasser entgegen, doch ich hatte mich wohl zu früh gefreut. Denn noch eher meine nasse Rache ihn erreicht hatte, war dieser Fuchs einfach abgetaucht! Doch so leicht würde er mir nicht davon kommen! Dies dachte sich mein Freund wohl auch, als ich mich nämlich suchend nach ihm umschaute, tauchte mein Kleiner nur wenige Schritte vor mir wieder auf, stand dort, ganz nass, fast nackt und hatte eine neue Ladung Wasser für mich mitgebracht, welche er sogleich auf mir zu verteilen begann. Ich jedoch war gar nicht mehr an dieser Schlacht interessiert, sie war für mich bereits beendet und Jan hatte gewonnen. Nicht nur jetzt gerade, nicht nur dieses Match, er hatte in den letzten Wochen viel mehr gewonnen. Meine Gedanken, mehr Herz, mich. All das hatte er einfach erobert und ich bekam es nicht einmal mit. Doch nun, wie er hier so stand, wie das Mondlicht sanft auf ihn hinab fiel und er so anmutig und schön war, dass man es kaum in Worte fassen konnte, da wusste ich es. Ich wusste, dass ich ihn mochte, mehr als ich es mir bisher hatte eingestehen wollen, mehr als ich es jemals für möglich gehalten hatte. Und ich trat an ihn heran, er, noch lachend über unseren Wasserkrieg, bekam es wohl gar nicht mit. Erst, als ich seine Hand zärtlich in meine nahm, mit meinem Daumen über seine feinen Fingerknöchel strich, erst, als ich sein Kinn anhob, ganz vorsichtig, ganz behutsam, da wurde es ihm klar. Und ich konnte nicht genau sagen, welches Herz es war, doch nun hörte man es laut und deutlich schlagen. Ich wusste nicht was ich hier tat, immerhin hasste ich Nähe, Intimität. Doch in diesem Moment, da war es anders. Ich dachte nur an ihn, nur an Jan und an jene Gefühle für ihn, welche von Tag zu Tag stärker in mir heran gewachsen waren. Und so stupste ich mit meiner Nasenspitze sanft gegen die seine, sah noch, wie er seine Augen schloss und sich sachte gegen mich lehnte. Dies war wohl das Zeichen seines Einverständnisses. Und man, ich konnte es kaum fassen, doch als meine Lippen die des Fuchses berührten, oh Gott, es war wie ein Feuerwerk, dass in mir zu explodieren begann. Wie Dynamit. Es war, als hätte man eine ganze Schar von Schmetterlingen in meinem Bauch los gelassen, als wäre mein Herz drauf und dran der nächste Marathon-Wettmeister werden zu wollen, so schnell schlug es. Und ich zog Jan zu mir heran, spürte wie er seine Lippen gegen meine bewegte, wusste gar nicht mehr wie mir geschah. Oh, es war das schönste Gefühl, was ich je hatte empfinden dürfen. Gott, ich liebte es, ihn zu küssen. Ich liebte es so sehr, dass es mir schon Angst machte. Er war so wundervoll. Und ich genoss es in vollen Zügen.
Doch dann, als ich dachte, glücklicher konnte man im Leben nicht werden, holte mich eine Stimme ruckartig wieder zurück auf den Boden der Tatsachen und ich wünschte mir so sehr, doch bitte jemand anders sein zu können, nur für diese Nacht, nur ein einziges Mal.
„Ethan! Ich brauchte deine Hilfe! Ethan!“, erklang das Kreischen meiner Schwester und ich zuckte völlig geschockt zusammen. Für einen Moment hatte ich doch glatt vergessen, wie scheiße das Leben sein konnte. Mein Herz schlug mir noch immer bis zum Hals, doch urplötzlich konnte ich den Grund nicht mehr recht zuordnen. War es nun, weil ich gerade den schönsten Augenblick meines Lebens erlebt hatte oder weil mir nun ein weiterer der Schlimmsten bevor stand? „Alles okay?“, hauchte Jan sanft gegen meine Lippen und sah mich liebevoll an, was mir wirklich das Herz brach, denn... Ich konnte das nicht aushalten. Die Schreie meiner Schwester waren zu laut, zu dominant und zu schrecklich um sie ignorieren zu können. „Es tut mir leid.“, entgegnete ich also und wusste genau, wie sehr ich meinen kleinen Fuchs nun verletzen würde, oh Gott es machte auch mich echt fertig. Nie hätte ich das getan, wenn es eine andere Möglichkeit gegeben hätte, doch die gab es nicht. Also schob ich ihn vorsichtig zurück, drehte mich von ihm weg und rannte. Ich rannte einfach, ließ ihn dort alleine zurück, ohne eine Erklärung, ohne ein weiteres Wort. Und ich verschwand in der Dunkelheit, bis ich sein Licht in der Ferne nicht mehr scheinen sah. Oh ich konnte nicht beschreiben, wie sehr ich mich in jenem Moment selbst hasste, doch was sollte ich denn machen? Es ging doch einfach nicht anders! „Wieso verdammt?! Warum tust du mir das an?! Ich dachte, du liebst mich! Ich bin doch dein kleiner Bruder, scheiße nochmal!“ Schluchzend kniete ich mich zu Boden und rang erst einmal nach Luft, während meine Schwester noch immer nicht zu schreien aufgehört hatte. „Dreck. Dreck! Dreck!!“, kreischte ich, versuchte ihre Stimme zu übertönen und hielt mir den Kopf. Ich krallte mich schon fast in ihn, versuchte nur diese schmerzende Stimme endlich loszuwerden, doch all das half einfach nicht. Wie sehr ich mich auch zur Wehr setzte, ich war machtlos gegen sie. Ich war schlichtweg unterlegen und so hörte ich mir an, wohin ich diese Nacht zu gehen hatte, um wieder und wieder diese schrecklichen Dinge zu tun. Um immer abscheulicher zu werden und das, obwohl ich gerade erst noch dachte, es könnte wirklich alles besser werden. Fuck! Ich wusste genau, wie sehr Jan mich jetzt wohl verachten musste, nachdem ich ihn so zurück gelassen hatte! Und das, nach unserem ersten Kuss! Wie nur sollte ich ihm das erklären?! Kacke, ich konnte das einfach nicht mehr. Was war das denn bitte für ein Leben?! Schwer kullerten mir die Tränen die Wangen hinab und meine Augen waren schon ganz gerötet. Ich sah mich um, keine Ahnung wo ich war. Irgendwo in einem Wald, weit weg von allem und jedem. Immerhin vermochte es meine Schwester mich aus diesem Wald zu führen. Immerhin das, wenn sie mich schon zu diesem Monster machte. Wie schön es hätte sein könnten, ohne sie. Vielleicht hätte ich meine Vergangenheit sogar hinter mir lassen können, eines schönen Tages. Doch was brachte all das Weinen, all das Träumen von einem besseren Leben, wenn man die Situation doch ohnehin nicht ändern konnte. Und so erhob ich mich, wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und atmete einmal tief durch, bevor ich den langen Weg zu meiner nächtlichen Arbeit antrat. Den Weg durch die Dunkelheit, welche sich wie ein Schleier aus Hoffnungslosigkeit durch mein gesamtes Leben zog.

Höllenkrieger- Legt die Waffen nieder!  || Boyslove! Yaoi!♡~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt