17. Kapitel- Die falsche Welt

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Pitschnass kam ich schließlich in einer schmalen Gasse an, in welcher ich einen kleinen Regenunterschlupf fand, nachdem ich durch unzählige, nicht enden wollende Nebenstraßen gerannt war. Ein überdachter Hauseingang schien in dieser Stadt etwas höchst seltenes zu sein, doch nun hatte ich zum Glück einen der wenigen ausfindig gemacht, unter welchen ich mich nun verkriechen konnte, bis der Sturm sich gelegt hatte. Eng drückte ich mich in die kleine Nische, gegen die fremde Tür, versuchend das Zittern zu unterdrücken. Man sollte mir nicht anmerken, wie kalt mir war, denn ich wollte möglichst wenig Aufsehen erregen. Ich hasste es, im Mittelpunkt zu stehen, denn das bedeutete meist nichts Gutes, dementsprechend beruhigt war ich über den Fakt, dass sich in diesem Viertel wohl kaum Menschen aufhielten. Dies hatte allerdings auch seine Nachteile, immerhin wollte ich ja jemanden nach dem Weg fragen und hier war wie gesagt niemand. Seufzend wischte ich mir den Regen aus dem Gesicht, strich über meine bereits blauen Lippen und sah an mir hinab. Solche Kälte war ich kaum gewohnt, zwar hatte ich bisher in einem Kellerräumchen gehaust und das auch im Winter, doch hatte es dort bei solchen Temperaturen stets Decken gegeben und Gewitter gab es da auch nie. Selbst Wind kam nicht hinein, da die Fenster immer verschlossen blieben. Kein Wunder also, dass mein Körper nun so heftig auf die ungewohnte Situation reagierte. Meine Zähne begannen zu klappern und ich erschreckte über mich selbst, versuchte es zu stoppen, doch es ging nicht. Ach verdammt! Ich musste wohl oder übel zur Hauptstraße zurück, auch, wenn sich die Leute dort vermutlich wie verrückt tummelten, ich musste. Immerhin hatte ich heute Abend noch eine Verabredung und das Wetter schien sich auch nicht wirklich bessern zu wollen. Geld für ein Taxi oder ähnliches besaß ich auch nicht und ein Handy hatte ich genauso wenig. Wozu auch? Meine Eltern hatten Telefone gehabt, genau wie auch Geld und machte sie das zu besseren Menschen? Nein, im Gegenteil. Es hatte sie kein Stück glücklicher oder handzahmer gemacht. Wozu also? Ich biss die Zähne zusammen, stütze mich von der Tür ab und rannte los. Ich musste zur Hauptstraße! Immer schneller trugen mich meine Beine durch die Gassen , immer an den Straßenlaternen entlang, bis letztlich der Lärm von Stimmen und Motorrädern anstieg und mir bewusst wurde, dass ich mich meinem Ziel nährte.
Völlig außer Atem stütze ich meine Hände auf meinen Knien ab, während der Regen dabei auf meinen Rücken prasselte. Ich war da, war angekommen! Ein sachtes Lächeln legte sich auf meine Lippen, bevor ich den Kopf hob, jedoch schwer erschreckte. Denn als ich meine Umgebung sah, fühlte ich, wie es mir kalt den Rücken hinab lief. Wo war ich hier noch gleich? Ganz sicher an einer Hauptstraße, ganz sicher noch in der richtigen Stadt? Alte, heruntergekommenen Häuser reihten sich nebeneinander, von Graffiti und Schmutz überzogen. Die Läden, die es hier früher einmal gegeben haben musste, waren allesamt geschlossen und demoliert. Keine Farbe gab es hier, alles war grau oder braun vom Dreck, der sich quasi überall befand! Ich hielt Inne, stellte fest, dass kaum ein Auto sich in diese Gegend verirrte, einzig Motorräder knatterten über den Asphalt. Auch Menschen bekam man hier kaum zu sehen, die meisten verkrochen sich in den Gassen, fragwürdige Gestalten, welche sich im Schatten hüllten. Nur wenige von ihnen saßen vor den Hauseingängen, tranken Bier und andere Spirituosen, während sie mit ihrem gammligen Gebiss über unangebrachte Witze lachten. Mir wurde übel und ich wandte meinen Blick von denen ab. Wie konnte man nur derart erbärmlich sein? Ich wusste nicht, woran es lag, doch dieses Viertel war mir unheimlich. Es schien eine totale Absteige zu sein und ich wollte hier weg, bevor ich noch von irgendwelche ach so gefährlichen Gangstern dumm angemacht werden würde. Es war einfach nur peinlich hier zu sein, denn ich war nicht wie die. Klar, ich war auch nicht gerade ein gehobener Mensch mit viel Geld und Ansehen, wie Jan es vielleicht war, doch hatte ich würde und Stolz, auch wenn dieser mein ganzes Leben lang hatte leiden müssen. Ich wollte einfach nur schnell jemanden finden, den ich nach dem Weg fragen konnte und dann hier verschwinden. So lief ich also ein wenig den Bürgersteig entlang, versuchte mich nicht allzu sehr umzuschauen und fragte mich, ob Jan schon einmal hier gewesen war. Er meinte ja, Kontakte im Untergrund zu haben und irgendwo musste man die doch erst einmal kennen lernen, oder? Hieß, er hatte sich gewiss schon das ein oder andere Mal hier herum getrieben. Zumindest war es vorstellbar, doch nicht weniger beschämend. Ein so wundervoller Mensch wie Jan hatte hier ja 'mal absolut nichts verloren! Überhaupt nichts! Was, wenn ihm etwas zugestoßen wäre?! Wie konnte er sich nur derart in Gefahr begeben?! „Uh!", vernahm ich da plötzlich ein Stöhnen und spürte einen Widerstand in meiner Beingegend.
Augenblicklich blieb ich stehen, sah perplex hinab. Dort lag ein junger Mann, wohl nur ein wenig älter als Jan und ich, der große Schmerzen zu haben schien. Ängstlich wich ich zurück, wusste nicht, was dem Mann fehlte. Was hatte er denn?! Wer hatte ihm das angetan?! Mein Blick glitt weiter an ihm hinab, er trug eine dicke Winterjacke, was bei diesem Sturm gerade eine wirklich gute Sache war, dennoch fragte ich mich, weshalb er so eine im Somme mit sich trug. Auch Nachts war es doch relativ warm, aber vermutlich hatte er diese nur für den Notfall. Klug, wenn man mich nassen Pudel so als Vergleich nahm. Noch ein wenig weiter scannte ich ihn ab, erkannte etwas Seltsames. Seinen linken Oberarm zierte ein fest gezogener Gürtel, ein Stück weiter hinab erkannte ich einige rote Stellen auf seiner Haut. Irritiert schüttelte ich den Kopf über diese absurde Situation. Was war das denn bitte? Soweit ich das verstanden hatte, trug man einen Gürtel doch um die Hose, oder etwa doch nicht? „Hast du etwas Geld oder Stoff?", stöhnte der Mann da plötzlich gequält los und ich zuckte zusammen. Ich hatte kein Geld, woher auch? Noch hatte ich ja keinen festen Job, was sich morgen hoffentlich änderte! Und was das andere anging, Stoff? Meinte er Kleidung? Aber die hatte er doch selbst im Überfluss an, ja vielleicht nicht gerade die Neuste oder Sauberste, aber immerhin etwas. „Hey! Ich will Stoff!", schrie er da auf einmal, streckte seine Hand aus und griff nach meinem Fuß. Wütend holte ich mit diesem aus, trat dem Scheißer gegen die Hand und er brüllte erneut. Ich jedoch hatte erkannt, dass man diesem Spinner beim besten Willen nicht helfen konnte! Er wollte handgreiflich werden, das hatte ich genau gesehen und dafür hatte er den Tod verdient! Angst und Panik sprachen aus mir, denn ich fürchtete die Gewalt, die ich von Kindheit an doch schon gewöhnt sein müsste. Dennoch, es war wie ein Trauma, als verfolge es mich mein Leben lang. Und ich konnte rein gar nichts dagegen tun. Diese Angst, die urplötzlich und blitzschnell zu Wut und Grausamkeit umschlug, sie beherrschte meinen Körper, mich. Nun, ich holte ein zweites Mal mit dem Fuß aus, wollte ihm eine Lektion erteilen, da vernahm ich eine ruhige Stimme: „Lass das." Ich fuhr zusammen, drehte mich und erkannte einen langen, schmalen, jungen Mann vor mir. Er trug ein schwarzes Hemd mit blauem Jackett darüber und einer dunklen Jeans. Sein schwarzes Haar hatte er ordentlich zur Seite gegelt und sogar einen Schirm trug er, als vermutlich einziger im gesamten Stadtteil. Er wirkte ganz anders als die restlichen Leute hier, so, als gehöre er absolut nicht hier her. Als käme er von eine ganz anderen Welt als die Bewohner dieser Straße. „Hast du dich verirrt?", fragte er und lächelte tröstend. Ich jedoch musterte ihn scheu. Er sah mir nicht nach einem ehrlichen Menschen aus, sein Lächeln war so aufgesetzt, so gespielt. Und allein die Art wie er stand, seine Körperhaltung, ganz gerade und fest, fast als käme er vom Militär, war so ungewöhnlich, dass es einen stutzig machte. Er war beinah zu perfekt und genau das machte ihn mir unsympathisch. Jedoch hatte er einen Schirm und ich mich ja tatsächlich verlaufen. Er war wohl einer der wenigen, welche sich auch außerhalb dieses Viertels auskannte und der mich nicht gleich davon jagen würde, wenn ich ihn nach dem Weg fragte. Also blieb mir wohl kaum eine andere Wahl, als mich auf ihn einzulassen. Ich musste schließlich nach Hause, wollte gar nicht wissen, wie viele Stunden ich nun schon orientierungslos umher geirrt war. „Ja.", entgegnete ich also mit einem mulmigen Gefühl im Bauch und hoffte, er würde mir nur einfach schnell den Weg verraten und mich danach wieder in Ruhe lassen. Und so verriet ich ihm meine Straße, ohne dabei die Hausnummer zu erwähnen. Alles musste der ja nun auch nicht wissen, vor allem da es Jans alte Wohnung war und er sich dort auch oft aufhielt. Ich wollte ihm keiner potenziellen Gefahr aussetzen und Fremde waren fast immer eine. „Ach super, das liegt sowieso auf meinem Weg! Wie wär's, wenn ich dich ein Stückchen begleite? Du kannst auch gern mit unter meinen Schirm kommen, der Regen ist ja heute wirklich hässlich!", erwiderte der Mann und ich zögerte für einen Moment. War das wirklich so eine gute Idee? Jedoch, wenn er mir nur die Route erklären würde, war die Wahrscheinlichkeit mich wieder zu verlaufen ja relativ hoch, vor allem wenn man bedachte, was für ein schlechtes Gedächtnis ich hatte, also war es eigentlich eine gute Idee. Ich konnte mich ja dann am Anfang der Straße von ihm verabschieden. Bis zur Haustür bringen musste er mich nun wirklich nicht, doch mit ihm würde ich immerhin ankommen, ohne noch weitere lange, kalte Stunden im Regen verbringen zu müssen, während ich sinnlos durch die Gassen streifte. Also an sich war sein Angebot tatsächlich ziemlich vorteilhaft für mich. „Ich heiße übrigens Benedikt, aber du kannst mich gern Ben nennen!", fügte er lächelnd hinzu und ich schwöre euch, ich hatte so ein schlechtes Gefühl bei diesem Mann, doch was blieb mir anderes übrig als einfach nur brav zu nicken und mit unter seinen Schirm zu huschen. Oh Mann, hoffentlich bestätigte sich mein Gefühl nicht und ich würde einfach heil und sicher Zuhause angekommen. Hoffentlich!

Höllenkrieger- Legt die Waffen nieder!  || Boyslove! Yaoi!♡~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt