Ob es schwer war, jene vom Nieselregen feucht gewordene Nebenstraße entlangzuwaten, dabei am dunklen, wolkenverhangenen Abendhimmel kein einziger Stern zu sehen? Wenn mir nur das flackernde, unnatürliche Licht einer verrosteten Straßenlaterne half, mir meinen Weg durch das bereits menschenleere Viertel der Stadt zu bahnen? Ja, und wie. Es war wie Blei, eine intensive Kraft, welche einen zunehmend hinab in ein schier endloses Nichts zog. Kaum noch spürte ich den Regen auf meiner Haut, ja selbst meine Beine schienen sich einfach selbstständig zu machen. Alles in mir schrie „Dreh um! Tu das nicht! Lauf nach Hause, zu Jan!" doch in meinem Leben existierte keine Gnade, so etwas wie eine Wahl gab es nicht. Das einzige, was allgegenwärtig war, schien diese Leere zu sein. Ein grausamer Zustand.
Gleichmäßig füllten meine Lungen sich mit Luft und mein Herz schlug im selben unaufhörlichen Takt, fast so als wäre das hier ein gewöhnlicher Spaziergang. Als wäre es nichts. Dabei wusste ich in jenem Moment gar nicht mehr recht, ob ich überhaupt noch wirklich lebte. Was hieß es denn, zu „leben"? Genügte ein Herzschlag dafür oder gehörte mehr dazu? Konnte ein Körper leben, die Persönlichkeit in ihm aber tot sein? Noch nie hatte ich mir solche Gedanken gemacht, doch nun waren sie präsent wie nie zuvor. Ich schloss die Lider. Was brachte das alles? Ich hatte nicht die Zeit mir über derartige Sinnlosigkeiten den Kopf zu zerbrechen. Immerhin hatte ich hier einen Job zu erledigen. Ein Blumenladen sollte mein nächstes Ziel sein, wobei ich allerdings den Auftrag hatte, mein Opfer keineswegs dort zu ermorden. Ich sollte es weg führen, dorthin wo es niemand zu sehen bekam. Wo ich es ohne großes Aufsehen zu erregen, still und heimlich töten konnte.
Ich stoppte, blieb still stehen, als ich den Laden auf der anderen Straßenseite erblickte. Da war ich, Ziel erreicht. Ich spürte, wie ich zu zittern begann, überall und so stark, dass es schon fast schmerzte, wenn ich jedoch an mir hinab sah, war keine einzige Bewegung zu erkennen. Mein Körper schien ganz still, kein Zittern, nichts. Ich sah das, meine Hände hingen ruhig hinab, dennoch empfand ich dieses Gefühl des Zitterns überall in mir. Überall.
Langsam setzte ich mich in Gang, nährte mich dem Geschäft. Gern hätte ich meine Reaktion als „zögerlich" beschrieben, doch das war sie nicht. Nicht im Geringsten, denn ich hatte nicht die Möglichkeit zum Zögern. Es lag nicht in meiner Macht, dass hier zu beenden. Es war nicht meine Entscheidung, das hier zu tun, lag nicht in meiner Hand. Ich durfte es mir nicht aussuchen, wie also hätte ich Zögern sollen? Wenn es doch ein Muss und kein Wille war.
Beinah benommen erreichte ich den Laden, öffnete die Tür quietschend. Sofort umgab mich der süßlich frische Geruch von liebreizenden Blumen aller Art, farbenfroh und voll Lebensfreude, doch ich hatte meinen Geruchssinn wohl zurück gestellt. Nein, ich blendete diese ganzen bunten Pflanzen einfach aus, als wären sie nicht wichtig. Als würden sie gar nicht erst existieren. „Guten Tag! Was kann ich für Sie tun?", kam eine junge Dame auf mich zu. Ihre rötlich gefärbten Haare hatte sie zu einem Zopf zusammen gebunden, ein freundliches Lächeln lag auf ihren Lippen, während sie mich fröhlich mit ihren hellblauen Augen anstrahlte. Sie war eine wahre Schönheit, das konnte man nicht anders sagen. Und sicherlich wären ihr so einige Männer verfallen, da sie, in ihrer grünen Gartenschürze, auch tatsächlich ziemlich niedlich ausschaute. Doch mir wurde sofort bewusst wer sie war, als ich sie für einen Moment gemustert hatte. Sie war es, mein nächstes Opfer. Diese junge, hübsche Frau. Sie würde heute sterben. Ich seufzte leise. „Ich glaube, ich sollte meinem Mitbewohner ein paar Blumen mitbringen. Wir hatten heute einen ziemlich großen Streit." Sofort nickte sie kichernd und erwiderte, dass dies doch gar kein Problem darstellen sollte. Die Kleine zeigte mir einige Sträuße, bis ich mich letztlich zwischen der großen Auswahl gar nicht mehr recht entscheiden mochte. „Die sind alle wirklich wunderschön.", gab ich zu und strich sanft über den zarten Kopf einer weißen Tulpe. „Ihr Mitbewohner kann sich wirklich glücklich schätzen. Sie scheinen sich ja wirklich Gedanken zu machen.", bemerkte die süße Verkäuferin aufmerksam, meinte es wohl als Kompliment. Ich jedoch kannte die Wahrheit. Und die war viel grausamer, als sie es sich vorzustellen vermochte. „Nein, im Gegenteil. Ich denke, er wäre wohl ohne mich besser dran." Ich räusperte mich, wusste gar nicht, wieso ich ihr das erzählt hatte, doch nun war es raus und irgendwie hielt ich das auch nicht weiter für schlimm. Ich würde sie heute sowieso töten, daher konnte ich ihr auch etwas über mich erzählen. Eine Möglichkeit für sie, mir damit zu schaden, gab es eigentlich gar nicht mehr. Wem sollte sie das denn noch weiter erzählen? „Ach, ich denke, sie sehen das vielleicht etwas zu pessimistisch. Wenn Sie ihm Blumen kaufen, so darüber grübeln, welche ihm am besten gefallen würden, dann muss er Ihnen wirklich wichtig sein. Und man kann doch wohl sehr froh darüber sein, wenn es Menschen gibt, denen man etwas bedeutet. Oder?" Meinen Mundwinkel zuckten in die Höhe, nur für den Bruchteil einer Sekunde, doch lang genug, um mich anschließend darüber zu ärgern. Wieso musste sie so nett sein? Das machte es nicht gerade leichter. „Ich weiß, das kommt sicher etwas aufdringlich, doch dürfte ich Sie eventuell zu einem Drink einladen?", erwiderte ich, versuchte somit meinen Plan umzusetzen, sie betrunken zu machen. Dann merkte sie den Schmerz des Sterbens vielleicht weniger. Außerdem schaffte ich es damit vielleicht sogar, mich in ihre Wohnung einzuladen und sie somit dort ermorden zu können. Dort würde mir auch niemand in die Quere kommen, so überlegte ich es mir zumindest. Hörte sich doch nach einem vernünftigen Plan an. Bis auf eine Sache: „Verdammt! Ich hab ja gar kein Geld!" Erschreckt blinzelte ich auf, kramte mit den Händen in meinen Hosentaschen umher, da begann meine Gegenüber lauthals zu lachen. „Gott, Sie sind mir ja einer! Ach, wissen Sie was, ich hab noch eine Flasche hinten. Trinken wir hier. Ich wollte den Laden eh gleich schließen." Ich schmunzelte. Man, sie schien wirklich lieb zu sein. Und so holte die Fremde zwei Stühle und einen kleinen Klapptisch, sowie eine Flasche feinen Alkohol, sodass die Runde kurz darauf feucht fröhlich beginnen konnte.
„Und Sie waren schon einmal beim Karaoke?! Da kann ich mir Sie aber mal so gar nicht vorstellen!", amüsierte sich die schmucke Verkäuferin über meine Geschichten und ich winkte nur ab. „Tja, ich stecke wohl voller Überraschungen.", meinte ich achselzuckend, wobei ich den letzten Schluck aus der nun leeren Alkoholflasche nahm. „Ja, scheint so.", hickste der Rotschopf, beugte sich im selben Moment an mich. Gott, sie war wohl wirklich betrunken. Mit großen, naiven Augen blinzelte sie mich an, bevor sie zu meinen Lippen hinab sah. „Ethan, Sie sind wirklich ein bemerkenswerter Mann.", hauchte sie leise und ich spürte, wie ihre Hände sanft meinen Oberschenkel berührten, bevor sie sich mir behutsam weiter nährte. So weit, bis ich ihren Atem auf meiner Haut spüren konnte. So weit, dass ich ihr eine rote Haarsträhne aus dem Gesicht strich und einen Arm um ihre Schulter legte. Und ja, sogar so weit, dass ich ihr Kinn anhob und sie küsste. Das war alles Teil des Plans, zumindest versuchte ich mir das einzureden. Doch insgeheim schien es mir schon zu gefallen, sie zu küssen. Sie roch nach süßen Blumen und schmeckte nach Lipgloss. Es war kein Vergleich zu meinem Fuchs, doch schlecht war es auch nicht. Ich war betrunken, keine Frage und sie war so lieb, dass mich bereits jetzt Schuldgefühle plagten. Da wollte ich einfach einmal alles ausblenden, eine einzige Sekunde mal alles andere vergessen und einen Moment Ruhe haben! Pause von diesen ganzen Gedanken, die mir den Kopf rauchen ließen! Dieser Kuss war meine Pause. Mein Augenblick Frieden. „Wow...", flüsterte sie anschließend und fuhr mit ihrer Hand fortwährend näher zu meinem Hosenbund hinauf. „Ich wohne nur ein paar Straßen weiter. Was sagen Sie? Möchte Sie bei mir Zuhause weiter erzählen?" Geschafft. Ich hatte sie soweit, ich hatte es vollbracht. Dennoch war ich keinen Moment glücklich über diesen Erfolg, denn das war ihr Todesurteil. Diese Einladung. Sie war schon so gut wie tot. Scheiße, ich war doch genauso tot wie sie! „Ja.", entgegnete ich schwach, erhob mich und ließ sie ihre Jacke von den hinteren Räumen holen. Ich strich mir mit den Fingerspitzen über die Lippen. Es war seltsam für mich jemand anders als Jan zu küssen, irgendwie komisch unangenehm. Es war, als hätte es mit ihr keine tiefere Bedeutung. Wenn es bei Jans Küssen ein Feuerwerk gab, so gab es bei ihrem nur eine kurze Teekerzen-Flamme. Nichts Weltbewegendes. Und doch hatte ich es getan, bereute es auch nicht wirklich. Ich wollte es nur noch schnell hinter mich bringen, schon wieder. Man sollte meinen dass dieser Schmerz irgendwann erträglicher und so etwas wie „normal" wird, doch das wird er nicht. Nie. Er wird nur immer und immer schlimmer, was man auch tut. Wie ermüdend. „Wir können!", kehrte die Verkäuferin strahlend zu mir zurück und wir machten uns auf den Weg in unser beider Unheil. In unser beider Ende.
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Höllenkrieger- Legt die Waffen nieder! || Boyslove! Yaoi!♡~
Science FictionSeit Jahrzehnten regiert die höhst grausame Sekte "Blauer Kolibri" die Ländereien des Nordens. Die Mitglieder leben in Angst vor der zunehmenden Gewalt innerhalb der Organisation und vor allem die sogenannten "Höllenkinder" oder auch "Höllenkrieger"...