30. Kapitel- Irreal

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Alles war wie gehabt, an diesem warmen Arbeitstag, welchen ich im angenehm kühlen Lager der alten Kaufhalle fegend verbringen durfte. Wie sonst eben auch, schwang ich den Besen, nahm die Lieferung entgegen, stapelte Kartons und Kisten, füllte sogar ab und zu das ein oder andere Regal der Verkaufshalle auf und richtete alles schön her. Doch auch wenn es wie immer war, so schien es doch ganz befremdlich, so als hätte ich es noch nie zuvor getan. Ob es daran lag, dass noch immer jede Spur des kleinen Fuchses fehlte, konnte man schwer sagen, denn auch gestern hatte er ja durch Abwesenheit beeindruckt und auch sonst konnte er ja nicht immer hier nebenbei jobben. Immerhin studierte er ja. Nein, das war es nicht. Es war eher ein Gefühl der Furcht und des Unbehagens, vielleicht auch etwas Sorge, doch so genau vermochte ich es nicht zu benennen. Ich fragte mich einfach, weshalb Jan so kurzfristig Urlaub genommen hatte. Tatsächlich aus schulischen Gründen? Allerdings plante er seine Arbeitszeit doch mit Sicherheit ziemlich lang voraus, wie also konnte da so plötzlich etwas dazwischen kommen? War das bei Unis normal, oder hatte es vielleicht doch einen ganz anderen Grund? Ob er sich im Regen vielleicht erkältet hatte und nun krank im Bett lag? Doch wieso dann einen ganz anderen Grund für sein Fehlen angeben? Damit sich keiner Sorgen machen musste vielleicht? Grübelnd lief ich durch die Regalreihen, sowie über den asphaltierten Boden des Lagers, bis ich letzten Endes zur Umkleide lief. Meine Schicht war schneller vorüber, als mir eigentlich lieb war, denn die Arbeit hatte mich zumindest teilweise von meinen Gedanken abgelenkt, wenn auch nicht allzu erfolgreich. Nun wäre ich wieder für mich allein, ohne Aufgabe. Langsam streifte ich meine Schürze ab, warf sie geknüllt in den Wäschekorb am Ende des kleinen Raumes und begann zu Seufzen. Unmotiviert strich ich mir mein Haar aus dem Gesicht, welches ich langsam echt mal wieder schneiden lassen müsste. Doch gerade hatte ich wirklich andere Sorgen! Ob ich bei Jan vorbeigehen sollte? Seine Adresse hatte ich Zuhause ja liegen. Doch, ich blinzelte auf, der Club! Erschreckt fuhr ich zusammen, als mir mein Plan für die heutige Unternehmung zurück in den Sinn kam, während ich rasch nach einer Uhr suchte. Oh verdammt, das hatte ich wirklich total verdrängt, doch dieses Treffen heute, würde mir mit Sicherheit einige Antworten auf ungelöste Fragen geben! Vielleicht sogar einige, woraus ich die Erkenntnis ziehen konnte, mit welcher ich Jan wieder für mich gewinnen könnte! Das war meine Idee hinter diesem, eigentlich doch recht logisch klingenden, Plan und so machte ich mich daran, ihn in die Tat umzusetzen! „Bis morgen!“, nickte ich meinem Chef hektisch im Vorbeigehen zu, welcher sich nur kopfschüttelnd abwandte und sich weiter daran machte, die Ware seiner Kunden über die Kasse zu ziehen. Ach ja, wenn so großer Arbeitsmangel herrschte, dass sogar der Arbeitgeber ran musste. Aber was sollte er schon machen, wenn Jan so kurzfristig absagte?
Fest schloss sich die automatische Tür hinter mir, während ich schnellen Schrittes vom Supermarkt weg, in die Richtung des Clubs, trabte. Ich war schon recht spät dran, doch dank der kurzen Lagebeschreibung des Treffpunktes, welche ebenfalls auf dem Flyer, den ich von Ben bekommen hatte, abgebildet war, würde ich mein Ziel sicherlich schnell ausfindig machen können. Immerhin hatte ich mich schon so oft verlaufen und war auch durch meine nächtlichen Expeditionen bereits ziemlich herum gekommen, sodass ich mich, auch als erst neu Hergezogener, schon ziemlich gut in der Stadt auskannte, wenn auch nicht in allen Vierteln.
Mittlerweile war es noch wärmer geworden, ganz anders als in den letzten Tagen, was seltsam ungewohnt war, doch nicht weniger schlecht. Wenn wir Menschen verrückt spielen durften, wieso sollte es das Wetter dann nicht dürfen? Und so genoss ich einfach den Anblick der Sonne, welche sich in den kleinen Überresten der, in der Nacht entstandenen, Pfützen glitzernd spiegelte. Ganz belebt waren die Straßen, selbst jetzt, am späten Nachmittag, noch. Laut erzählend und Kuchen essend saßen die Leute vor den Cafés und Restaurants, während lachend spielende Kinder Eis schleckten und bellend, an der Leine geführte, Hunde an den Massen vorbeihuschten. Sogar einige Touristen waren zu sehen, wie sie aufgeregt Bilder der alten Gebäude machten und sich interessiert umschauten, während hupend junge Männer in teuren Autos an einer Gruppe kurz bekleideter Mädchen vorbeifuhren. Eine Großstadt, wie sie leibt und lebt, soviel war sicher. Doch es blieb keine Zeit für mich, das Spektakel noch länger zu beobachten. Ich musste weiter, musste mich beeilen. Eine Verspätung würde mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen guten Eindruck machen und wie sollte ich dann Informationen aus den Leuten heraus bekommen, wenn keiner mit mir sprechen würde?
Japsend erreichte ich die Adresse schließlich, welche meinen Flyer zierte und stürzte mich mit den Händen auf meinen Knien ab. Ich war völlig erledigt, rang nach Atem. Vermutlich hätte es mir niemand geglaubt, doch Ausdauer war beim besten Willen keine meiner Stärken. Wozu auch? In meinem bisherigen Leben hatte ich nie die Möglichkeit gehabt wegzulaufen, oder gar über Stock und Stein rennen zu können. Ich schloss die Lider meine Augen für einige Sekunden, stellte mir vor, wie es wohl gewesen wäre. Wie gern wäre ich doch über eine grüne Wiese gerannt, ganz feucht vom glänzenden Morgentau und so süßlich duftend, wie der Sommer selbst. Wie gern hätte ich die Grashalme an meinen Beinen gespürt, den rauen Boden unter meinen Füßen, wie gern die Strahlen der warmen Sonne auf meiner Haut genossen, frische Luft in meine Lunge gelassen und die Freiheit erfahren, die mit so einem Erlebnis daher geht. Nur einmal, ein einziges Mal. Wie gern.
Fest sog ich die dreckige Stadtluft ein, verpestet von Abgasen, von Staub und fuhr innerlich zusammen. Ich blinzelte gegen meine Knie, die den Mittelpunkt meines Blickfeldes in diesem Moment darstellten, bevor ich mich aufrichtete und den Schweiß von meiner Stirn strich. Hier war nichts von alledem, nicht einmal die Freiheit. Noch immer fühlte es sich an, als würden schwere Eisenketten an mir hängen. Ich blickte zu dem alten, rustikalen Gebäude hinauf, vor dem ich nun stand. Es war recht künstlerisch, mit vielen kleinen Verschnörkelungen verziert, eben ganz verspielt und dennoch nicht kitschig wirkend. Die Fassade war in einem sanften Braunton gestrichen, ganz cremig und dennoch verlor es dadurch keinen Funken seines antiken Charmes. Das war es also, das Clubhaus. Vielleicht würde meine Freiheit ja dort drin auf mich warten. Zögerlich trat ich einige Meter näher an das Bauwerk heran und erkannte die gigantisch große, schwere Holztür, welche von silbrigen Eisenbeschlägen gekennzeichnet dort, inmitten eines kleinen Vorgartens, ganz königlich zwischen kniehohen Büschen Platz fand. Leise öffnete ich das niedrige Gartentor, das an einen länglichen Zaun angebracht war und begutachtete die kleinen Rosensträucher, die sich links und rechts von dem engen Kiesweg reihten. Ganz seltsam, blickte ich zurück, so erkannte ich den Krach der Großstadt mit ihrer Unmenge von Einwohnern, doch sah ich nach vorn, so verspürte ich nur eine angespannte Art von Ruhe, die drohte, sich rasend schnell in Nervosität zu wandeln, tat man nur einen falschen Atemzug. Es war schon komisch diesen Gang entlang zu streifen, ohne eine Ahnung zu haben, was mich hinter dieser Tür erwarten würde. Dieses Haus unterschied sich ganz offen von jedem anderen in der Stadt und es schien sich nicht einmal daran zu stören. Doch nicht nur das Äußerliche war es, was diesen Ort wie eine andere Welt erscheinen ließ, nein, auch die Atmosphäre schien hier drastisch gewandelt. Einen Augenblick lang dachte ich darüber nach, ob es nicht doch besser wäre einfach umzukehren, wegzurennen und nie niemals zurückzukommen. Doch, was hätte es mir gebracht? Das hier war meine einzige Chance an wirklich brauchbare Antworten zu kommen, die ich mir ganz offensichtlich nicht selbst geben konnte! Ich musste das hier tun! Ich musste zu dem Treffen kommen, auch wenn diese Umgebung mich mehr als nur verunsicherte! Was hatte ich schon für eine Wahl?! Und so seufzte ich ein letztes Mal, bevor ich die Türklinke des mächtigen Gebäudes hinab drückte und sich das Tor zu dieser anderen Welt auftat.
Ich war beinah ein wenig geblendet, als sich mir die Schönheit des Inneren dieses Gebäudes ganz offen und deutlich darbot. Die Tür hatte sich als Forte zu einer Eingangshalle heraus gestellt. Eine majestätische Halle, in der eine prächtige, aus dem Hartholz der edelsten Eiche gefertigte, Treppe als eine Art Aufgang zu einem Flur hinauf führte, an wessen Ende eine noch größere, edel ausschauende Tür Platz fand. Ich war so erstaunt, dass fast wie automatisch bereits jetzt mein Kinn hinab klappte. Und ich stand erst in der Eingangshalle, gar nicht im Hauptsaal oder ähnlichem! Wenn es hier überhaupt so etwas gab, doch bei dem Anblick, der sich mir in genau diesem Moment bot, zweifelte ich ehrlich gesagt nicht mehr daran, dass es hier nur so von Hallen wimmelte. So etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen! Ich war wirklich sprachlos, es war unglaublich! Ich kann es kaum beschreiben, so schön war der Anblick und dennoch so furchtbar irreal. Es wirkte auf mich wie ein Traum, als hätte ich mich in den Palast eines Prinzen verlaufen oder als wäre ich gestorben und in den Himmel aufgestiegen. Pah, ich, in den Himmel! Wer's glaubt!
Nach dem ersten Schock traute ich mich dann allerdings doch noch, meinen Mund wieder zu schließen und ließ meinen Blick etwas weiter durch den Raum, bis zur Spitze der Treppe hinauf, gleiten. An dieser erkannte ich jedoch erschreckender Weise einige Personen! Ein paar junge Männer, alle feinstens gekleidet, standen lustig plaudernd, mit Weingläsern in der Hand haltend, in einem Kreis. Ihre Haare waren allesamt streng zur Seite gegelt und die Anzüge und Smokings die sie trugen waren im schlichten schwarz-weiß Stil gehalten. Allgemein sahen sie sich alle sehr ähnlich, als wetteifernden sie gemeinsam demselben Ideal hinterher. Ich hingegen? Schwer schluckend blickte ich an mir hinab und musste leider feststellen, dass ich bei diesem Kleidungsstil wohl kaum mithalten konnte. Nicht, dass ihr falsch versteht, ich wusste ja, dass ich kein Geld hatte und die Sachen ein Geschenk Jans waren, für das ich ihm wirklich unendlich dankbar war und ich mochte die Klamotten auch sehr, doch was mir auffiel war eben, dass ich absolut nicht in dieses Bild hier passte. Auch mein Haar, was struppig an meinem Kopf hinab hing, hatte absolut nichts mit diesen Männern gemein. Das war einfach nicht meine Welt. Hier war alles so fremd. Dieser Ort war zwar unglaublich schön und edel, doch er passte gar nicht zu mir. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Als ob mich hier auch nur jemand mit dem Arsch angucken würde! Für solche Leute waren Menschen wie ich doch Dreck, niemals würden sie mir Informationen anvertrauen! Mit diesen Gedanken drehte ich mich bereits auch schon wieder zur Eingangstür, wollte gerade verschwinden, denn tatsächlich hatte mich die Angst gepackt. Hier war alles so ganz anders, was wirklich ziemliche Furcht in mir entfachte. Doch in diesem Moment, als ich quasi schon drauf und dran war schleunigst abzuhauen, da rief er mich: „Ethan? Bist du's??“ Ben?

Höllenkrieger- Legt die Waffen nieder!  || Boyslove! Yaoi!♡~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt