58. Kapitel- Aller Anfang ist schwer

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Rasch setzte ich einen Schritt vor den nächsten, stolperte immer hektischer die Treppen des Hausflurs entlang, wobei sich mein Herzschlag nach jeder weiteren Stufe noch verdreifachte und von dem Kribbeln meiner Bauchgegend zusätzliche Unterstützung erfuhr. Gott, wieso stellte ich mich in Jans Gegenwart nur immer so grundlegend bescheuert an? Unwillkürlich zuckten mir die Mundwinkel in die Höhe und ich schüttelte sachte den Kopf. Ich musste diesen Typen ja echt ins Herz geschlossen haben, wieso sonst wurde ich dermaßen nervös, wenn ich nur an seinen Namen dachte? Zu diesem Zeitpunkt wusste ich weder was Liebe bedeutet, noch was es hieß eine Beziehung oder ähnliches zu haben, doch was sagte ein Begriff schon aus? Musste ich wissen, als was man etwas definierte, um es zu fühlen? Nein. Grinsend rieb ich mir die Stirn. Ach Ethan, worüber grübelst du hier schon wieder? Ich sollte mir darüber nicht schon wieder so einen Kopf machen! Wichtig war doch nur, dass ich mich bei Jan wohl fühlte. Auf etwas anderes kam es nicht an. Ich brauchte ihn und solang er bei mir blieb, war alles in bester Ordnung.
Gerade verließ ich also unser Mehrfamilienhäuschen, da erklang bereits das 'liebliche' Hupen eines mir sehr wohl bekannten Automobils! Mein ganzer Körper zuckte erschreckt zusammen, so sehr freute ich mich über dieses 'wundervolle' Geräusch! Spaß beiseite, ich freute mich natürlich über das Erscheinen der kleinen Blondine. „Peggy!“, rief ich winkend und nährte mich ihrem Wagen, aus welchem einmal mehr die lauten Bässe der Musik drangen. Meine Güte, am frühen Morgen schon in Feierlaune, das war typisch für die schrille fast-Medizinerin. Seufzend nahm ich nehmen der Studentin platz und begrüßte sie, indem ich die ohrenbetäubende Musik zumindest in wenig leiser drehte. Ich wollte weiß Gott kein Spaßverderber sein, doch meinen Hörsinn würde ich trotzdem gern noch eine Weile behalten. „Wunderschönen guten Morgen!“, lächelte mir meine Fahrerin überfreundlich entgegen und ich spürte bereits den grellen Sonnenschein der von ihr ausging. Irgendwie mochte ich sie ja für diesen Optimismus, doch zu so zeitiger Stunde konnte ich mir das beim besten Willen noch nicht allzu gut geben. Und dann kam es auch noch, dass Jan plötzlich vor uns aus der Haustür getreten kam. Sofort als ich sein Gesicht erblickte, überschlug sich alles in mir. Verdammt, er war so bildschön, ich konnte es kaum in Worte fassen, selbst wenn er nur in einem gewöhnlichen Shirt und Jeans das Haus verließ. Er hätte alles tragen können, hätte sogar gänzlich nackt gehen können und er wäre der absolut hübscheste Mensch überhaupt. Ich stockte. Nackt? Sofort setzte das Kopfkino bei mir ein und ich musste schwer schlucken, um nicht hier und jetzt eine körperliche Reaktion auf diese Gedankengänge erfahren zu müssen. Wäre peinlich, so neben Peggy. Dann jedoch geschah das, was geschehen musste, wenn man mit diesem Weib unterwegs war: Sofort hupte die Kleine wie bekloppt und winkte aus dem Fenster, damit Jan auch ja zu uns herüber schauen und uns erkennen würde. Und ich fragte mich, was zur Hölle bei diesem Mädel nur schief lief? Natürlich sah er in unsere Richtung, kein Wunder, wir standen auch fast direkt vor ihm?! Doch in jenem Moment, in dem sich unsere Blicke trafen, kippte die lockere Stimmung und ich spürte deutlich, wie sich meine dreckigen Überlegungen zunehmend verschlimmerten, noch peinlicher, es wirkte fast so, als bemerkte auch Jan worüber ich hier gerade philosophierte, denn urplötzlich lief mein süßer Fuchs knallrot an, bevor er sich abwendete und seinen Weg zur Uni schleunigst fortsetzte. „Wollen wir nicht kurz aussteigen und ihn gescheit grüßen? Vielleicht hat er noch etwas zu den Kartons heute zu sag..“, begann Peg daraufhin, doch ich unterbrach sie sofort mit einem gewissenhaften „Fahr los!“, welchem sie schließlich schulterzuckend folgte.

In der Wohnung angekommen ging alles recht zügig, sodass es nicht lang dauerte, bis wir eine Vielzahl von Kartons im Wagen gelagert und zu unserem 'neuen' Heim gefahren hatten. Etwa die Hälfte hatten wir in wenigen Stunden aus der Wohnung geräumt, weshalb es mittlerweile auch etwas übersichtlicher wurde und wir uns nach der dementsprechend fixen, anstrengenden Arbeit eine kurze Pause gönnten.

Gerade war Peggy drauf und dran die Kaffeemaschine in der Küche zu bedienen, während ich mich seufzend auf einem der Stühle des kleinen Esstisches niederließ. „War eine gute Idee, die Küchengeräte erst zuletzt einzupacken.“, kicherte sie fröhlich, woraufhin ich nur nickend zustimmte. Man, war ich fertig. Noch nie hatte ich einen richtigen Umzug miterlebt geschweige denn bei einem geholfen. Echt, mir war gar nicht bewusst, wie viel Scheiß ein Mensch haben konnte. Ich meinte, wir hatten gerade bestimmt zwei Kisten nur mit Weihnachtsschmuck in die neue Wohnung gefahren. Zwei ganze Kartons für einen unnötigen Feiertag?! Klar, ich hatte dieses Fest ja auch noch nie richtig gefeiert, vielleicht verstand ich es deshalb nicht, doch gerade kam mir der Aufwand und die Anschaffung dieser Dinge echt idiotisch vor. „Hier bitte.“ Mit diesen Worten reichte Peggy mir eine randvolle Tasse des braunen Wachmachers und ich bedankte mich höflich. Eines musste ich wirklich zugeben, Peg war zwar klein und zierlich, doch anpacken konnte sie, das glaubt ihr nicht! Locker hätte sie als Bauarbeiterin durchgehen können! „Wie kam es eigentlich dazu, dass gerade du so gut mit Jan befreundet bist?“, erkundigte ich mich da urplötzlich, wobei ich mir selbst nicht so ganz bewusst war, weshalb ich gerade diese Frage stellte. Keine Ahnung, denn immerhin hatte ich nicht das Gefühl, mein Füchschen wäre besonders introvertiert oder unnahbar, doch derartiges hatte meine Gegenüber ja schon einmal angedeutet. Zudem war diese Aussage auch absolut nicht gegen Peg selbst gerichtet. Sie war ein wundervoller Mensch, voll Güte und Freude! Doch ich dächte mich daran zu erinnern, die Studentin hätte vor geraumer Zeit einmal behauptet, Jan wäre bei weitem nicht so offen wie es mir schien. Dieser Gedanke wurde auf meine jetzige Frage hin sogar noch überboten, denn als die niedliche Studentin nach einem Schluck ihres Kaffees schließlich zu erzählen begann, offenbarten mir ihre Worte so einiges:
„Zu aller Erst solltest du wissen, dass Jan sich nicht mit irgendjemandem einfach so 'anfreundet'. Er nutzt Menschen als Informationsquelle. Hat sein Gegenüber also keinen Nutzen für ihn, lässt er ihn links liegen. Allgemein scheint Jan extremst unnahbar. Also versteh mich nicht falsch, natürlich ist er höflich und freundlich, doch er bewahrt immer eine Art Abstand zu seinen Mitmenschen und gibt nichts wirklich preis von sich. Jan ist eher so er Einzelgänger-Typ. Naja, zumindest war das bisher immer so und ich kenne ihn schon einige Jahre, aber seitdem er dich kennt, hat er sich irgendwie verändert. Positiv, meine ich! Es ist, als wäre er jetzt viel glücklicher und in gewisser Art einfach lebensfroher. Weißt du, wie ich das meine? Er ist schon fast ein ganz anderer Mensch, oft erkenne ich ihn kaum wieder, wenn er bei dir ist! Unglaublich, echt! Klar, ich meine, er vertraut mir immer noch nicht und ich weiß ehrlich gesagt auch kaum etwas über seine Vergangenheit oder so, aber meine Eltern sind beide Psychologen, das färbt ab! Und ich kann dir sagen, in deiner Gegenwart ist er viel befreiter als zuvor, wirklich!“
Völlig baff starrte ich sie an, musste erst einmal kurz verarbeiten was sie da gerade von sich gegeben hatte. Erschüttert stand mein Mund offen und ich musste echt erst einmal drauf klar kommen. Immerhin hatte ich nur eine süße Kennlerngeschichte erwartet und nun erfuhr ich solche prägnanten Informationen über meinen Freund. Wirklich, ich wusste gar nicht mehr wo mir der Kopf stand! Einerseits machten mich ihre Worte furchtbar glücklich, denn schlagartig wurde mir bewusst gemacht, dass Jan haargenau so empfand, wie auch ich. Auch ich schien langsam ja ein völlig anderer, neuerer und besserer Mensch zu werden! Und auch mir tat Jan so gut, Gott, ich vermochte es nicht zu beschreiben!
Andererseits wurde mir leider auch schmerzhaft deutlich klar, dass ich genauso wenig über ihn wusste, wie Peggy. Nein, sogar noch viel weniger! Denn sie konnte ihn zumindest einschätzen und all das, ich hingegen wusste absolut nichts über meinen Freund. Er war Waise, studierte Verhaltensforschung und besaß massig viel Geld, das war's. Mehr brachte ich nicht zustande und das über ihn! Über Jan, von dem ich behauptete, er war mir das wichtigste auf der Welt! Diese Einsicht traf mich hart, wirklich, sie tat weh. Prompt fühlte ich mich schlecht, fragte mich, ob ich den Kleinen überhaupt kannte. Verdammt. Doch zu seiner Verteidigung, ging es ihm ja ähnlich bei mir. Auch ich hatte ihm kaum etwas über mich erzählt. Er musste sich wohl echt ziemlich scheiße dabei fühlen, einen vollkommen Unbekannten bei sich wohnen zu lassen. Man, was lief eigentlich falsch bei uns? Wieso konnten wir es nicht einfacher haben? Warum konnte ich nicht normaler sein? „Wäre ich einfach ein ganz gewöhnlicher Typ, würde er mir bestimmt mehr von sich erzählen.“, dachte ich unwillkürlich laut, woraufhin Peggy seufzend zu Kopfschütteln begann. „Das ist nichts Persönliches, Eth. Ich denke, er erzählt allgemein nicht gern über sich. Und wärst du 'normal', glaub mir, dann hätte Jan dich sicherlich mit dem Arsch nicht angeguckt! Echt, so wie du bist, bist du schon richtig, okay? Kopf hoch!“ Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen und sie stupste mir aufmunternd mit dem Ellenbogen gegen die Seite, woraufhin ich zu nicken begann. Ja, vermutlich hatte sie Recht. Ich sollte mich davon nicht so runter ziehen lassen, immerhin erzählte ich auch nichts von mir. Da musste ich mich nicht wundern, wenn es Jan mir gleichtat. „Soviel vorweg. Willst du die Geschichte, wie ich ihn dennoch zu meinem Freund gemacht habe, nun trotzdem noch hören?“, fuhr Peggy sanft fort und ich überlegte kurz, hatte ein wenig Angst davor, vielleicht noch mehr schockierende Dinge über meinen Kleinen zu erfahren. Doch letztlich war meine Neugier, mein Interesse an den beiden, einfach größer und ich nickte zustimmend, woraufhin die kleine Blondine weiter erzählte, während ich mit den Augen gespannt an ihren Lippen hin:
„Also, Jan und ich sind auf derselben Universität, das weißt du ja, nur sind wir eben in unterschiedlichen Studiengängen. Ich bin in humanistischer Medizin mit chirurgische Facharztausbildung und er ist in der Verhaltensforschung. Dennoch haben sich die Zeiten unserer Vorlesungen ziemlich stark geähnelt, heißt, wir haben beide fast täglich in der Uni-Cafeteria zu Mittag gegessen, zumindest in den ersten paar Semestern. Und jeden Mittag saßen sowohl er als auch ich alleine an jeweils einem der Tische, was ziemlich öde war. Ich meine, klar hätte ich mich auch zu irgendeinem der anderen Tische mit vielen Studenten setzten können, doch das wollte ich irgendwie nicht. Es war, als hätten alle schon ihre Cliquen gegründet, nur ich passte da irgendwie nicht so richtig rein. Und da Jan auch alleine saß, dachte ich eben, es ging ihm wohl ähnlich. Also habe ich mich einfach mal zu ihm an den Tisch gesetzt und als er mich aus purer Höflichkeit nicht weggeschickt hat, habe ich begonnen ihn von vorn bis hinten zu zulabern. Mit allem möglichen. Ich verstand relativ schnell, dass er das nicht mochte und lieber für sich allein sein wollte, doch das störte mich nicht wirklich, denn auch hatte ich irgendwie das Gefühl, dass er es genoss, mal nicht allein sein zu müssen. Ich dachte, vielleicht tat er ja nur so, als wäre er voll der Einzelgänger. Vielleicht hatte er seine Gründe, sich von allen anderen fernzuhalten. Und diese These hieß es zu erforschen. Stimmte meine Überlegung oder nicht? Ich dachte, was hatte ich zu verlieren und so setzte ich mich jeden Mittag zu ihm, immer. Und er war echt genervt, begann bald mich völlig zu ignorieren und als ich selbst dann nicht nachgab, fing er an mich immer düsterer anzusehen. Natürlich war ich trotzdem freundlich und aufgeschlossen, denn irgendwie war er mir trotz allem extrem sympathisch. Kein Plan, vermutlich hatte ich einfach Lust auf Stress, echt. Ich konnte mir das selbst nicht erklären. Doch irgendwann kam es, dass ich krank wurde, Grippe. Und deshalb blieb ich Zuhause. Zu dieser Zeit dachte ich auch, es wäre wohl besser, Jan ein für alle Mal in Ruhe zu lassen, da meine Vermutungen anscheinend tatsächlich falsch gewesen waren und mein Bauchgefühl mich zum ersten Mal betrogen hatte. Vielleicht sollte es einfach nicht sein, dachte ich mir, doch als ich nach einer Woche noch immer nicht zur Uni zurück gekehrt war, einfach wegen Fieber und weil es mir gesundheitlich schlecht ging, klingelte es auf einmal an meiner Tür und Jan stand dort, mit einem Strauß Blumen und einer kleinen Packung Tee. Echt, es war furchtbar niedlich. Er meinte, er hätte sich Sorgen gemacht, weil ich solange nicht beim Mittagessen anwesend gewesen war. Da wusste ich, ich hatte doch Recht behalten und Jan hatte mich wohl doch mehr ins Herz geschlossen, als er zuvor zugeben wollte. Wie auch immer, von da an hat er jedenfalls beim Mittag mit mir erzählt und auch außerhalb der Uni haben wir ab und an etwas gemeinsam unternommen. Er öffnete sich mir eben, auch wenn es lange gedauert hatte, bis ich ihn soweit bekommen hatte. Und so sind wir Freunde geworden. Mit viel Geduld und reichlich Zweifel.“ Glücklich begann Peggy zu lachen und auch mir hatte diese Geschichte ein breites Lächeln ins Gesicht gezaubert. Dieses Mädel war wirklich unverbesserlich. So eine Nervensäge! Aber ich konnte schon verstehen, weshalb Jan sie so mochte, denn Peggy war der Sonnenschein, der Leichtsinn in Person. Tatsächlich gab es kaum einen Moment, in welchem sie nicht glücklich lächelnd durch die Gegend lief und ihre Mitmenschen so vom täglichen Schmerz des Lebens ablenkte, ihnen einen Moment voll Freude schenkte. Diese kindische Nervensäge.

Höllenkrieger- Legt die Waffen nieder!  || Boyslove! Yaoi!♡~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt