06-Rotierende Gedanken

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Was war das?
Ich schrecke panisch auf und schaue direkt auf meinen Wecker, sodass ich gerade so erkennen kann, dass wir es entweder zwei oder drei Uhr mitten in der Nacht haben.

Ich taste blind nach meiner Brille, um sie mir auf zusetzen und um fest zu stellen, dass es wirklich drei Uhr ist.
Gerade als ich meine Brille wieder absetzten will, da ich mir denke, dass ich mir nur etwas eingebildet habe, höre ich wieder etwas von unten. Es sind nur leise Geräusche, doch da meine Tür offen steht, kann ich sie deutlich hören.

Jetzt stecke ich in der Zwickmühle, denn ich habe wirklich Respekt vor der Situation, bin aber auch verdammt neugierig. Ich weiß zwar nicht, wann ich das letzte Mal wirklich Angst verspürt habe, denn ich bin in solchen Dingen relativ abgehärtet.
Langsam schwinge ich meine Beine über die Bettkante und vermisse jetzt schon meine Bettdecke, doch ich nehme die Kälte in Kauf, denn ich will wissen, wer da unten ist. Es kann ja auch möglich sein, dass es Mama ist, die mal wieder auf die Toilette muss oder eben meine Brüder, die unter herum schleichen.
Aber trotzdem will ich nachsehen. Ich könnte am Ende ja immer noch sagen, dass ich mir nur etwas zu trinken holen wollte.

Mit meinem Handy bewaffnet, öffne ich langsam meine Tür, die zu dem Flur im Dachboden führt. Ich sehe die Treppe herunter, kann aber niemanden erkennen, weshalb ich immer noch langsam die ersten Stufen herunter gehe.
Plötzlich höre ich wie jemand den Wasserhahn im Badezimmer aufdreht, weshalb ich erleichtert ausatme.
Glück gehabt. Ich weiß nicht warum, aber ich habe mir schon vorgestellt, dass...
Ach, ich habe keine Ahnung, was ich mal wieder gedacht habe.
Ich könnte jetzt trotzdem ein Glas Wasser vertragen, da mein Mund ganz trocken geworden ist.

Als ich auf Höhe des Badezimmers bin, höre ich plötzlich Toby flüstern: „Halt die Klappe, Lucas. Oder willst du dass wir den Rest wach machen und sie alle davon Wind bekommen." Bitte was?! Plötzlich höre ich ein schmerzerfülltes Grummeln, weshalb ich näher an die Tür gehe. Sind die beiden etwa jetzt erst wieder zu Hause? Die haben morgen Schule!

„Was hast du dir dabei wieder gedacht?! Das ist kaum zu übersehen!"
„Ich lauf ja nicht die ganze Zeit oberkörperfrei herum, oder?!", zischt Lucas. Ok, was machen die beiden da drinnen? Ich höre wieder, wie Toby flüstert, dass er Kühlpacks holen geht. Kühlpacks?!

Und da öffnet sich auch schon die Badezimmertür vor mir und ich werde kurz von dem grellen Licht dort geblendet, weshalb ich meine Augen zusammen kneife.
„Zoe?", höre ich beide erschrocken flüstern und als sich meine Augen an das Licht gewöhnt haben, sehe ich zusätzlich in die erschrockenen Gesichter.
„Was macht ihr hier?", frage ich und versuche meine aufkommende Müdigkeit zu unterdrücken, indem ich mir über meine Augen unter der Brille reibe.
„Gar nichts. Du solltest wieder ins Bett gehen. Morgen ist Schule."
„Ich darf nicht in die Schule wegen dem Bänderriss und außerdem habt ihr auch Schule. Seid ihr etwa gerade erst wieder gekommen?"
Ich höre wie Lucas seufzt und als ich ihn mir an sehe, verzieht er kurz sein Gesicht.
Ich schaue wieder zu Toby, der mich nicht aus den Augen lässt.
„Zoe geh einfach wieder ins Bett. Wir gehen jetzt auch sofort.", sagt er und schiebt mich ein wenig aus dem Badezimmer. Aber da fällt mir wieder etwas ein.
„Und wofür braucht ihr Kühlpacks?"
Ich muss schon wieder gähnen und freue mich, gleich wieder ins Bett gehen zu können.

Doch ich bin sofort hellwach als Lucas seinen Pullover vorsichtig hoch zieht. Ach du heilige Scheiße!
„Oh mein Gott Lucas, was ist passiert?!"
„Pscht!" Toby hält mir seinen Zeigefinger an meine Lippen, weshalb ich die Klappe halte. Er schiebt mich ins Badezimmer und schließt hinter sich die Tür. Sehr wahrscheinlich holt er jetzt die Kühlpacks, weshalb ich auf Lucas, der immer noch auf der Badewannenkante sitzt, zu gehe.

Er hat seinen Pullover wieder herunter gezogen und starrt auf seine aufgeplatzten Finger.
„Was ist passiert?", frage ich ihn noch einmal.
Er sieht mir in die Augen und erst jetzt bemerke ich seine aufgeplatzte Lippe, weshalb ich mich umdrehe und einen Waschlappen befeuchte, um ihm diesen dann an die Lippe zu halten.
Es hat auch einen kleinen Vorteil für mich, denn ich kann kein Blut mehr sehen. Und das allein bringt schon einige Nachteile mit sich.

„Es gab eine kleine Meinungsverschiedenheit.", murmelt er in den Waschlappen.
„Ihr seid beide grottenschlechte Lügner. Aber wenn du es mir nicht sagen willst, kann ich das irgendwie verstehen. Ihr seid stur wie sonst etwas und wer weiß, was in euren Köpfen so abgeht."

Ich kann das wirklich gut nach vollziehen, weshalb ich versuche, zu lächeln, was mir scheinbar nicht ganz gelingt, denn Lucas seufzt schon wieder. Ich finde es schade, dass er es mir nicht sagt. Er kann mir doch vertrauen. Ich vertraue ihnen doch auch nach all dem Mist. Ich schließe wieder meine Augen und wünsche mir, gar nicht aufgestanden zu sein.
Die Badezimmertür geht auf und Toby kommt mit zwei großen Kühlpacks hinein, woraufhin Lucas sich aufrecht hinstellt und mir einen Kuss auf die Stirn haucht.

„Geh wieder ins Bett. Du bist müde und morgen geht's mir auch wieder gut."
Ich nicke widerwillig, denn ich weiß, dass Toby und Lucas alleine weiter reden möchten. Mitten in der Nacht.

Als ich an meinem anderen Bruder vorbei gehe, verwuschelt er mir meine ohnehin schon strubbligen Haare und wünscht mir ebenfalls eine gute Nacht.
Mühsam gehe ich die Treppe wieder hinauf und bemerke auf halber Strecke, dass ich jetzt mein Glas Wasser vergessen habe, doch ich bin zu faul, wieder in die Küche zu laufen.

Ich lege mich wieder ins Bett und ziehe mir die Decke bis zur Nase. Woraufhin ich meine Augen schließe und mit rotierenden Gedanken einschlafe.
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Ein ganz schön kurzes Kapitel. Sie werden später länger und mein Schreibstil wird besser, versprochen!

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