12-Lebensmüde

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I don't wanna live forever - Zayn und Taylor Swift

Heute Abend um 18 Uhr in unserer alten Hütte.

Nicht mehr und nicht weniger. Ich war leicht erstaunt, als ich die Nachricht heute Morgen geöffnet habe, da ich ganz einfach nicht damit gerechnet habe.
Ist es ein gutes Zeichen, dass Emily mir geschrieben hat?
Ein wichtiges Detail habe ich aber vergessen. Unsere alte Hütte liegt gut eine Stunde entfernt und ich habe, wie gesagt, noch keinen Führerschein und meine Brüder werden mich sicher nicht fahren. Sie dürfen am besten gar nicht heraus bekommen, dass ich Em und Dan wiedersehe.

„Lia?"
Ich laufe grinsend neben ihr durch die überfüllten Schulflure und habe gerade mal wieder einen Entschluss gefasst.
„Rück schon mit der Sprache raus. Was willst du?", fragt sie mich skeptisch, weshalb ich noch breiter grinse. Lia kennt mich verdammt gut.
„Kannst du mich heute Abend fahren?"
„Was? Wohin? Frag doch deine Brüder."
„Ja-Nein. Ich kann sie nicht fragen. Sie dürfen davon nichts erfahren."
„Wo willst du denn hin?"
Ich kann aus dem Augenwinkel erkennen, dass sie skeptisch die Augenbrauen hochzieht.
„Ist das von Bedeutung?"

Würde sie mich fahren, wenn sie weiß, wo ich hin will?
„Zoe. Jetzt sag schon!"
„Ich treffe mich mit Emily und Dan!", nuschele ich in meinen nicht vorhanden Bart.
„Das ist nicht dein Ernst! Du wolltest nur nach Henry sehen." Sie bleibt einfach stehen, weshalb ich mich zu ihr umdrehen muss.

„Aber versteh mich doch, Lia. Ich habe sie damals zurück gelassen und ganze drei Jahre nichts von ihnen gehört. Sie waren und sind ein Teil meines Lebens. Klar, wird das vielleicht nicht meine beste Idee im Jahr, aber ich muss mich einfach mit ihnen treffen."
„Das wird die schlechteste Idee in deinem Leben! Aber ich habe dir versprochen, dich zu unterstützen.", seufzt sie und verflucht sich im nächsten Moment selber dafür.
Ich jedoch umarme sie so schnell, weshalb wir fast das Gleichgewicht verlieren. Ich bin ihr so dankbar.
„Aber wenn mich einer fragt, ich wusste von nichts. Ich habe dich nur gefahren!", sagt Lia und sieht mich warnend an.
„Versprochen. Du warst nie Teil meines Planes."
~

„Und du bist dir ganz sicher?"
Ich nicke und gleichzeitig fangen meine Gedanken wieder an, zu rotieren.
Ich höre, wie Lia seufzt und mich fragt, wie spät sie mich abholen soll.
„So um halb fünf.", überlege ich laut.
Doch ich bin lange nicht mit all meinen Sinnen bei ihr und das scheint sie auch zu merken.

„Wenn du deine Meinung änderst, ruf mich einfach an. Du musst jetzt in den Unterricht! Es hat schon längst geklingelt!"
„Du willst mir doch nur unter die Nase reiben, dass du jetzt nach Hause kannst.", sage ich und umarme meine beste Freundin.
„Du hast ja recht! Wir sehen uns! Und überlege dir das bitte noch einmal!"
„Ich ziehe das durch!"
Sie seufzt noch einmal, bevor sie mir noch kurz zu winkt und hinter der dicken Eingangstür verschwindet.
Ich drehe mich wieder um und lasse mir Zeit, um zu meinem Spind zu kommen. Jetzt bin ich eh zu spät.

Ich lege alle meine Bücher, die ich nicht mehr brauche in meinen Spind und hole das Pädagogikbuch heraus. Ich weiß nicht wieso, aber nachdem Lia gegangen ist, habe ich meine Schultern hängen gelassen.
Ich war Em nie eine gute Freundin. Ich habe sie alleine bei denen gelassen. Habe ich mich überhaupt geändert? Bin ich Lia eine gute Freundin?

Mein Kopf ist voll von all möglichen Dingen und meine Vorwürfe und Vorstellungen sind dabei am Lautesten, weshalb ich die Schritte hinter mir einfach nicht höre.

Ein letzter Seufzer, ein kurzer Blick auf meine Armbanduhr, bevor ich meine Tür zuknalle und mich umdrehe.
Jedoch schrecke ich sofort wieder zurück, da jemand direkt vor mir steht und pralle mit meinem Hinterkopf gegen meinen eigenen Spind. Die Stelle fängt automatisch an, zu pulsieren, da ich ihn mir ja nicht zum ersten Mal stoße.

Ich schaue langsam auf und wie hätte es auch anders sein können, blicke ich direkt in das amüsierte Gesicht von Dylan.
„Spinnst du eigentlich? Hast du keinen Unterricht?"
„Das ist das Erste, was du fragst? Und nur so nebenbei, ich könnte dich dasselbe fragen."

Dabei zieht er seine Augenbraue in die Höhe und fängt an, mich zu mustern, weshalb ich mich zunehmend unwohl fühle.

Man könnte jetzt viele Theorien aufstellen, was er von mir will und warum ich so reagiere. Doch damit fange ich gar nicht erst an, da ich bekanntlich auch noch andere Sorgen habe, um die ich mich kümmern muss.

Er hält mich davon ab, an ihm vorbei zu gehen, weshalb ich vermute, dass er Dinge nicht so schnell vergisst oder, so wie ich, verdrängt.

Nachdem wir beide uns einfach anstarren und nichts sagen, bricht er irgendwann die Stille.
„Hast du dich schon entschieden?"
„Entschieden? Wovon redest du?" Vielleicht kann ich es damit heraus zögern. Wobei, will ich das überhaupt?

„Stell dich nicht dumm, Zoe."
Da er sich mit seinen Armen, rechts und links von mir, am Spind abstützt, kann ich gar nicht anders, als Dylan in die Augen zu sehen.

Und so absurd es auch klingen mag, kann ich ein unheimliches Glitzern in ihnen erkennen, weshalb ich schwer schlucken muss.
Seine Augen scheinen sich mit meinen zu verankern und ich kann mich nicht mehr bewegen. Mich nicht mehr auf das hier und jetzt konzentrieren.
Zusätzlich merke ich, wie er mir mit einem Grinsen auf den Lippen immer näher kommt. Was hat er vor?
Macht er das bei den anderen Mädchen auch?
Meine Lippen fangen an zu kribbeln, mein Körper spielt vollkommen verrückt und ganz plötzlich sind seine Lippen nicht einmal einen Zentimeter von meinen entfernt.

„Also Zoe. Kuss oder Date?"
Ich spüre, wie seine Lippen sich bewegen und muss mich zusammen reißen, nicht den minimalen Abstand zu verringern.
Sein heißer Atem trägt nicht dazu bei, klar zu denken.
Dieses Bedürfnis ihn zu küssen, kommt aus einem Teil meines Gehirnes, den ich lieber abschließen sollte.
Aber trotzdem will ich ihn nicht so einfach davon kommen lassen.
„Dann würde ich sagen, haben wir ein Date.", hauche ich und gerate dabei etwas näher an Dylans Lippen.

Jedoch kann ich schon meinen Verstand schreien hören.
Was? Wo kommt das denn her? Was habe ich getan?
Dylan vergrößert den Abstand nicht, sondern kommt meinen Lippen, wenn es überhaupt noch möglich ist, immer näher, als er haucht:
„Dann stehe ich am Freitag um halb acht bei dir vor der Haustür?"
Er zieht wieder eine seiner perfekten Augenbrauen in die Höhe, was eine stumme Aufforderung seinerseits ist, ihm meine Adresse zu geben.
Jedoch kann ich noch so klar denken, dass ich genau dies nicht mache.
„Ich stehe vorm Sunshine!", grinse ich und plötzlich ist sein Gesicht weg. Ich sehe nur noch, wie er um die nächste Ecke verschwindet.
Mehrmals muss ich blinzeln, um wieder ins Hier und Jetzt zu gelangen.

Ach du heilige Scheiße! Ich habe ein Date mit Dylan McGowan und war auch noch kurz davor ihn zu küssen. Seit wann bin ich denn jetzt auch lebensmüde?

Fake HonestyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt