52-Der Zehnte

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Million eyes-Loïc Nottet

Die Nacht über habe ich abermals schlecht geschlafen, denn ich wurde wieder einmal von meinen Albträumen besucht.
Ich verstehe nicht, warum sie im Moment so häufig auftreten.
Doch sie zerren extrem an meinen Nerven, weshalb ich nun ziemlich gerädert bin.

Ich habe zwar das gleiche aufregende Kribbeln in meinem Bauch wie gestern, doch meine schlechte Laune unterdrückt dies ziemlich, weshalb ich mit gesenktem Kopf über den Schulhof laufe.
Ich habe heute Morgen versucht, meine Augenringe zu überdecken, doch ich habe das Gefühl, dass das relativ wenig gebracht hat.

Ich erschrecke mich zutiefst als plötzlich jemand meine Hand fest hält.
Ich weiß jedoch schon, bevor ich aufblicke, dass es Dylan ist, denn seinen verräterischen Duft würde ich überall erkennen.

Er gibt mir einen kurzen Kuss ehe er mir gegen die Lippen einen guten Morgen wünscht.
Sein Atem gegen meine Lippen kitzelt leicht, weshalb ich grinsen muss.

In seiner Gegenwart ist meine Laune gleich um einiges besser, doch der Albtraum von letzter Nacht sitzt immer noch tief in meinen Knochen.

Wir laufen schon wieder, als Dylan mich plötzlich fragt, ob alles in Ordnung sei.
„Ich habe nur schlecht geschlafen!",  murmele ich und ignoriere seinen stechenden Blick.
Ich will ihm wirklich nicht erklären müssen, warum ich davon geträumt habe, dass ich ihm ein Messer in seine Brust gestochen habe.

Ich bin froh, dass er dazu nichts sagt und sich mit einem weiteren Kuss von mir verabschiedet.
Ich muss noch in einen anderen Trakt, weshalb ich mich beeile, meine Bücher zu holen.

Nach dem langweiligen Erdkundeunterricht setze ich mich in der großen Mittagspause wieder nach draußen.
Scheinbar bin ich nicht die Einzige, die die Sonnenstrahlen genießen will, denn auf der großen Wiese sitzen viele Gruppen beieinander und lachen über gemeinsame Dinge.
Klar spüre ich den Stich in meinem Herzen, denn ich vermisse die Zeit in der ich nicht alleine gesessen habe. Man vermisst doch Personen am Meisten, wenn man sie bereits verloren hat.

Ich schlucke mühsam meinen Kartoffelpüree herunter, bevor ich mein Tablett beiseiteschiebe und mein Gesicht noch ein wenig der Sonne entgegen recke.

Noch bevor es klingelt, betrete ich wieder die Mensa, damit ich mein Tablett zurück bringen kann.
Nachdem ich das Tablett in seine Vorrichtung schiebe, laufe ich mit schnellen Schritten wieder auf den Ausgang der Cafeteria zu. Doch ich kann so schnell gar nicht schauen, da schiebt plötzlich jemand seinen Stuhl zurück, weshalb ich über meine eigenen Füße stolpere und hart mit dem Boden kollidiere.
Ich öffne langsam meine Augen, ignoriere den stechenden Schmerz an meiner Schläfe und als ich dann aufschaue, sehe ich direkt in die belustigten Gesichter der Cheerleader.
Ganz vorne steht Lia, die sich sichtlich das Grinsen nicht verkneifen kann.

Mit schnellen Bewegungen stehe ich wieder auf meinen Beinen und lasse meinen Blick durch die Mensa gleitet.
Mindestens zwei Drittel der Schüler schauen mir entgegen.
Einige mit schockiertem Gesicht, doch die Meisten scheint es wenig zu interessieren.
Warum passiert so etwas eigentlich immer mir? Zumindest habe ich das Gefühl, dass niemand so tollpatschig ist, wie ich zurzeit.

„Ich würde ja fragen, ob du dir weh getan hast, aber um ehrlich zu sein, interessiert es mich nicht!", zieht Lia meine Aufmerksamkeit wieder auf sich.
Ich kann nicht fassen, dass dieser Satz gerade über ihre Lippen gegangen ist. Ich sehe schockiert in ihre Augen, die eine solche Wut ausstrahlen, dass es mir glatt den Atem raubt.

Es ist der Blick mit dem mich auch Emily bestraft.
Je länger ich ihr in die Augen starre, desto schwieriger fällt es mir, meine Tränen zu unterdrücken.
Für eine Millisekunde erkenne ich Reue, doch mit nur einem Wimpernschlag sind ihre Augen wieder verschlossen.
Ich muss hier weg!

Fake HonestyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt