Ich schrecke auf. Sitze gerade in meinem Bett. Meinem Bett? Ich schaue mich um und bemerke, dass ich wirklich in meinem Zimmer bin. Mein Kopf dröhnt, so als hätte ich einen miesen Kater.
„Du bist wach!", höre ich plötzlich Lucas müde Stimme. Mein Kopf schnellt zu meiner Hängematte herum, in der er sitzt.
Ich nicke als ich auf meinen Wecker starre. Wir haben es halb zehn am Abend und ich sitze mit meinen Klamotten in meinem Bett.
Ich verstehe nicht, warum ich hier sitze und nicht weiß, wie ich hier hin gekommen bin.Ich versuche, meine Kopfschmerzen unter Kontrolle zu bekommen, indem ich meine Augen schließe und meine Schläfen massiere, doch es scheint, alles keinen Sinn zu haben. Und plötzlich weiß ich, wo ich eigentlich hätte sein müssen. Ich saß bei Lia im Auto, nachdem ich meine ehemaligen Freunde für immer hinter mir gelassen habe. Doch wieso bin ich jetzt hier und- „Wo ist Lia?"
Ich reiße meine Augen auf, denn sie verdient eine Erklärung von mir. Sie hat so vieles verdient, aber sicher nicht eine solche Freundin wie mich.
Lucas erhebt sich träge aus der Hängematte, um sich neben mich zu setzen.„Du weißt wahrscheinlich nicht einmal wie du hier her gekommen bist, fragst aber als erstes nach Lia." lächelt er kurz. „Toby bringt sie gerade nach Hause, denn sie konnte selber nicht mehr fahren. Dafür war sie zu aufgewühlt."
Aufgewühlt? Was habe ich schon wieder gemacht?
„Was?!"
„Du hattest wieder einen deiner Albträume. Du bist wohl im Auto eingeschlafen und das Treffen mit Dan und Emily hat dich scheinbar sehr beeinflusst. Lia hatte angerufen, da du nur noch geschrien hast. Sie hatte gar keine andere Wahl."
Lucas sieht mich von der Seite an und mustert mich, bevor er wieder zu sprechen beginnt.
„Wie geht es dir?"Ich zucke mit meinen Schultern. Wie soll ich ihm beschreiben, wie es mir geht, wenn ich selbst nicht einmal weiß, was ich fühle?
„Zoe, ich wollte nicht ausrasten. Ich wollte dich doch nur vor ihnen beschützen. Es war doch klar, dass das nicht so enden wird, wie in einem Film. Wir verändern uns alle. Von Tag zu Tag und das musst du akzeptieren."
Er hat recht. Jeden Tag verändern wir uns ein kleines bisschen mehr und wenn eine Person lange Zeit kein Teil mehr davon war, dann hat man gelernt, ohne sie zu leben.
„Wie war euer Gespräch?"
„Emotional." Kann man es anders beschreiben, ohne dass der große Bruder ausflippt? Es lief alles super. Ich wurde fast umgebracht, habe aber nichts gesagt, weil ich wusste, dass Em nicht zudrücken wird.„Zoe, du kannst dich nicht, wie damals zurück ziehen. Du musst darüber reden."
„Ich wollte noch nie reden. Man hat mich auch vor drei Jahren dazu gezwungen. Die vielen Menschen, die gekommen sind... Ich wollte doch nur meine Ruhe. Aber das hat keiner von euch verstanden. Ihr wolltet alle nur mein bestes, aber dass diese Wochen schlimmer als die letzten im Internat waren, habt ihr gar nicht gemerkt. Verdammt, ich war mit Anfang vierzehn schon auf Entzug und hatte nur Psychologen um mich. Ich wollte nichts anderes als Ruhe und deshalb bitte ich dich, mir diese jetzt zu geben. Ich habe dich wirklich lieb. Dich und Toby. Doch jetzt will ich einfach nur alleine sein."
Ich schließe meine Augen, als meine Tränen wieder dabei sind, über zu laufen. Einen Teil meines Lebens habe ich jetzt hinter mir gelassen und es ist wirklich nicht schön, das mit fast siebzehn sagen zu können.
„Zoe! Wir müssen wirklich reden! Ich habe deinen Hals gesehen. Dich hat jemand gewürgt! Und wenn wir das Kapitel Henry auch auslassen, müssen wir noch über Dylan und dich reden. Du verdienst nach all dem Mist nicht so einen Menschen wie Dylan. Du kannst-"„Raus hier, Lucas! Ich meine es ernst!"
„Was ist-"
„RAUS!"
Ich halte meine Augen so lange geschlossen, bis ich meine Zimmertür zu knallen höre. Kann er mich denn gar nicht verstehen?
~Als ich das nächste Mal meine Augen öffne, zeigt mein Handy 07:10 Uhr an.
Dann kann ich ja beruhigt noch einmal meine Augen schließen, denn mein Bus kommt ja erst in zwanzig Minuten.
Zwanzig Minuten? Ich reiße meine Augen wieder auf und sitze senkrecht in meinem Bett. Verschlafen!
Ich springe aus meinem Bett und hole mir gleich etwas zum Anziehen, um dann in mein Badezimmer zu hechten. So viel Stress am Morgen kann gar nicht gesund sein!Geduscht, angezogen und komplett fertig, beeile ich mich, nach unten zu kommen. Was nicht ganz so leicht ist, wenn man bedenkt, dass ich noch meine Schiene für den Bänderriss trage.
In der Küche schaue ich auf die Uhr und bemerke, dass ich ganze fünf Minuten zu spät dran bin. Das war es dann heute wohl mit dem Bus.
„Du bist spät dran, Zoe!", höre ich Toby hinter mir die Küche betreten.
„Zu spät. Der Bus ist schon weg!", stöhne ich und mache mir dann gleich noch etwas zu frühstücken. Jetzt ist es eh egal.„Wir können dich mit nehmen.", schlägt mein Bruder vor.
„Nein danke. Ich werde wohl irgendwie zur Schule kommen."„Jetzt mal ehrlich. Langsam wird es kindisch. Deine panische Angst davor, dass man mit bekommen könnte, dass du unsere Schwester bist. Wir sind doch eine Familie!"
„Du bist doch genauso wie Lucas! Ihr versteht mich nicht. Ich will nicht mich damit schützen, sondern euch!"In letzter Zeit entfacht meine Wut immer öfter. Ich höre, wie mein Bruder auflacht, was ich jedoch ignoriere und einfach meinen Rucksack nehme, um aus der Küche zu verschwinden.
„Wovor willst du uns bitte schützen? Meinst du man lacht uns aus, weil du kaum Freunde hast?"
Wow, das hat gesessen. Ich weiß, dass Lia meine einzige enge Freundin ist, doch von meinem Bruder zu hören, dass ich ein Außenseiter bin, ist schon etwas anderes.„Ich weiß, was man über mich erzählt, du brauchst es mir nicht noch unter die Nase reiben."
Ist das letzte was ich sage, bevor ich aus unserem Haus stürme.
Ich weiß, dass er es nicht so meint. Nur komischerweise fängt mein Leben sich wieder an, zu verändern. Und um ehrlich zu sein, will ich das nicht. Ich bin froh endlich zu wissen, wo ich in die Gesellschaft hin gehöre.Jetzt, wo ich alleine bin, könnte ich ungestört telefonieren. Letzte Nacht bin ich wieder aus einem der Albträume aufgewacht und konnte die erste Zeit nicht mehr einschlafen.
Weshalb ich leise in Papas Büro geschlichen bin und die Internatsakte gesucht habe. Sie war versteckt hinter all den Ordnern, so als wolle man nicht, dass ich sie finde.Tatsächlich wurde in dieser Akte alles abgeheftet, was damals während meiner Zeit dort passierte.
Auch der Tod von Liam. Und das allerletzte Blatt in dieser Akte war ein Zeitungsbericht über Henry. Ich habe ihn bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gesehen.Unter Tränen las ich mir den Zeitungbericht durch und war schockiert, wie man solch ein Ereignis nur so objektiv schreiben kann.
Für mich war an diesem Bericht jedoch nur der letzte Satz von Bedeutung.
In welchem Knast der Mistkerl sich befindet.Es dauert nicht lange, da habe ich auch schon die Telefonnummer in meinem Display stehen. Ich brauche noch gute 5 Minuten bis zur Schule und ich bin sowieso schon zu spät. Jetzt bin ich alleine und kann in Ruhe telefonieren, weshalb ich ohne zu zögern auf den grünen Hörer drücke.
„US-Jugendgefängnis. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?"
Die ist heute auch wohl mit dem falschen Fuß aufgestanden.
„Ich würde gerne mit Henry Winsten in Kontakt treten."
Man muss ja ein wenig seriös rüber kommen.
„Einen Moment bitte!- Mister Winston ist im Moment im Dienst. Zur Zeit darf er von Familienangehörigen besucht werden. Gehören Sie denn zur Familie, Miss?"
„Natürlich. Ich bin seine Cousine!", kommt es plötzlich arrogant aus meinem Mund. Was war das denn?„Wollen Sie ihn dann besuchen oder ein anderes Mal anrufen?"
„Ich würde ihm gerne einen Besuch abstatten." Ich kann die Schule und dessen leeren Schulhof schon sehen. Bin ich wirklich so spät dran? Dabei habe ich doch eine Abkürzung genommen.„Nächste Woche Donnerstag ist er für keinen Dienst eingetragen. Halb fünf?"
„Ist in Ordnung."
„Ihren Namen?"
„Zoe Mary."
Ich gebe bewusst meinen Nachnamen nicht an und hoffe, dass sie meinen Zweitnamen als Nachnamen annimmt.„Ich habe Ihren Besuch eingetragen, Miss Mary. Einen schönen Tag noch!"
Und damit legt sie auf. Tief ein und ausatmen! Ich werde Henry erst nächste Woche wieder sehen!
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Fake Honesty
Ficção AdolescenteZoe Lewis, ein einfaches Mädchen, welches von ihrer Vergangenheit geprägt wurde. Sie hat panische Angst, alten Bekannten wieder gegenüber zu treten, doch solange sie damit abschließen will, lässt sich genau dies nicht vermeiden. Dylan McGowan, der...