13- Schockmoment

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Wait - M83

Eine Frage. Sie verfolgte mich. Sie ließ mich einfach nicht los. Sie hat eine Entscheidung in mir hervorgerufen. Und genau diese Entscheidung warf mich in meinem Leben zurück. ‚Gehörte ich überhaupt dazu?'
Ich wollte dazu gehören. Und was habe ich jetzt davon?

Seitdem ich von der Schule nach Hause gekommen bin, sitze ich auf meiner Fensterbank und starre aus dem Fenster. Anfangs habe ich das Zittern meiner Hände bemerkt, aber jetzt ignoriere ich es.

Viel mehr beschäftigen mich die Fragen, was Em und Dan von mir denken werden und was gewesen wäre, wenn ich damals eine andere Entscheidung getroffen hätte.

Erst als ich auf meine Armbanduhr schaue, merke ich, dass es fast halb fünf ist.
Habe ich jetzt fast eine Stunde hier gesessen und mir den Kopf zerbrochen?

Ich muss schwer schlucken, als ich aufstehe und mir klar wird, dass ich gleich den Personen gegenüber stehe, die mir in den letzten drei Jahren nur in Albträumen begegnet sind.
Mein Handy zeigt mir mehrere Nachrichten von Lia an, die beinhalten, ob ich das immer noch ‚durchziehen' will, doch ich bleibe bei meinem Entschluss.

Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, ob noch jemand zu Hause ist, weshalb ich leise die Treppen herunter gehe und in jeder Ecke irgendwelche Freunde von den Jungs erwarte. Bevor ich fahre, muss ich definitiv noch etwas trinken.

Beruhigt nehme ich deshalb mein Getränk in die Hand, da mir niemand über den Weg gelaufen ist.
Ich merke erst, dass mein Hals staubtrocken ist, als ich meinen ersten Schluck nehme.

„Seit wann schleichst du hier so herum?", höre ich plötzlich die eiskalte Stimme von Lucas, weshalb ich herumfahre.

„Ich wusste nicht, ob ihr da seid und ob ihr Freunde mitgebracht habt.", sage ich und will ihn anlächeln, aber aufgrund der Tatsache, dass er mir starr in die Augen blickt, gelingt es mir nicht.
Ich räuspere mich kurz, bevor ich schnellen Schrittes aus der Küche verschwinde, um mir meine Jacke zu holen.
Er ahnt etwas und das ist gar nicht gut!

Ich merke, wie Lucas mir folgt und frage mich, was mit ihm gerade nicht stimmt. Noch nicht einmal meine Jacke halte ich in den Händen, da fragt er schon, wo ich denn jetzt hin wolle.

„Weg."
Ist meine schlichte Antwort. Ich habe ihm nichts getan und wenn er jetzt meint, über mich bestimmen zu müssen, dann liegt er gewaltig daneben.

„Zoe! Du warst heute kurz davor mit Dylan rum zu knutschen und wenn du zu ihm willst, dann verbiete ich es dir. Ich frage dich deshalb noch ein einziges Mal. Wo willst du hin?"
Er ist sauer und ich kann ihn nicht einmal verstehen.
Was soll das denn? Nur weil er seine kleine Schwester fast mit Dylan küssen gesehen hat, braucht er sich nicht so aufführen. Zumal wir uns nicht geküsst haben!

„Das geht dich gar nichts an. Das hat dich nämlich früher auch nicht interessiert! Wenn ich mich recht erinnere, habt ihr euch nicht einmal zu meinem Geburtstag gemeldet. Denn ihr habt ihn vergessen, genauso wie ihr mich vergessen habt!"

Ich kann mich nicht daran erinnern, ihn so angeschrien zu haben und ich habe auch noch nie diese Vorwürfe gegen über ihnen ausgesprochen.
Ich wollte das auch nie machen, aber es ist mir gerade so heraus gerutscht.
Aus Wut und Verzweiflung.
Ich traue mich gar nicht in seine Augen zu schauen, denn ich weiß nicht was mich erwarten würde. Ist er enttäuscht oder immer noch sauer? Ich höre wie ein Auto die Auffahrt hoch fährt und es kann nur Lia sein. Es muss Lia sein.

„Ich-das meinte ich nicht so. Ich muss los. Tut mir leid!", flüstere ich und öffne die Haustür.
„Dylan ist kein guter Umgang für dich!"
Seine Stimme ist wieder ganz neutral und man könnte meinen, dass Besorgnis in ihr liegt. Die Tür ist schon fast wieder im Schloss, als ich antworte.
„Ich treffe mich nur mit Em und Dan!" Nur!
Ich schließe schnell die Tür und nutze den Schockmoment meines Bruders, um zum Auto von Lia zu rennen.

Meine beste Freundin hat mich scheinbar noch nicht bemerkt, weshalb sie aussteigt und sich in meine Richtung dreht.

„Lia, steig ein. Jetzt mach schon!"
Im ersten Moment ist sie verwirrt und bleibt einfach stehen, aber nach einigen Sekunden setzt sie sich verwirrt wieder ins Auto.

Ich höre wie die Haustür wieder aufgerissen wird und schmeiße mich förmlich auf den Beifahrersitz.
Nachdem ich meine Autotür geschlossen habe, greife ich über Lia hinweg, die mich ganz verstört anguckt und verschließe mit dem Knöpfchen an ihrer Seite alle Türen.

Ich habe keine Angst vor meinem Bruder, aber ich will mich jetzt nicht mit ihm anlegen.

Lucas ist schon längst an meiner Seite angekommen und schlägt fast das Fenster kaputt, während er schreit,  ich solle sofort aussteigen.
Meinen Kopf drehe ich zu Lia, die die ganze Situation mit großen Augen beobachtet.
„Lia? Kannst du mir einen Gefallen tun und los fahren?"
Ich starre wieder zu Lucas und merke wie der Motor angeht, bevor Lia langsam vom Hof fährt. Lucas sieht mir immer noch sauer hinter her und ich will heute gar nicht mehr nach Hause kommen.

Was habe ich mir nur dabei gedacht, ihm die Wahrheit zu sagen? Ich merke, wie meine Augen anfangen zu brennen, weshalb ich sie schnell schließe und meinen Kopf an die kalte Scheibe anlehne.
„Kannst du mir bitte erklären, was das war?", höre ich irgendwann meine beste Freundin, weshalb ich tief ein und ausatme. Sie verdient eine Erklärung.
~

„Du musst die nächste rechts und dann fahren wir auf einen kleinen Wald zu. Ich sage, wann du halten sollst!", erkläre ich ihr angespannt.
Erst der Streit mit Lucas und jetzt muss ich das auch noch durchziehen.
„Fährst du hier ran?" Ich sehe wie sie nickt und dann konzentriert an den Straßenrand fährt.

Es ist schon am dämmern und es dauert nicht mehr lange, bis es stockdunkel ist.
Erst als der Wagen steht, schnalle ich mich ab und öffne die Autotür, bleibe jedoch sitzen.

„Wenn du jetzt noch einmal rechts fährst, kommt auf der linken Seite ein etwas größerer Parkplatz. Am besten du parkst dort, machst dein Licht aus und schließt alle Türen ab. Ich werde dann dahin kommen, aber ich weiß nicht, wie lange es dauern wird."
„Was-ich lass dich nicht alleine."
„Lia! Du bleibst im Auto!"
„Aber warum soll ich die Türen abschließen?"
Ich muss lange seufzen, ehe ich ihr antworte.

„Die Gegend ist hier nicht so sicher, wie du es gewohnt bist. Mach einfach das, was ich dir gesagt habe und fertig!"
Ich lächele sie kurz an, ehe ich aussteige und die Tür zuschlage.

Erst als ich Lias Auto nicht mehr sehe, laufe ich den mir vertrauten Weg.

Fake HonestyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt