43-Wunden

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Four Walls-Bastille

Ich stehe noch einige Sekunden lang ratlos auf der Einfahrt, aber mir kommt keine bessere Lösung.
Die Straße ist besser beleuchtet, als die von vorhin, doch trotzdem habe ich das Gefühl, hinter jeder dunklen Stellen einen Schatten zu erkennen.
Die Dunkelheit ist wirklich nicht mein bester Freund, weshalb ich widerwillig auf die offene Haustür zugehe.

Schlafen Dylans Eltern wohl?
Ich will gar nicht drüber nachdenken, was sie von mir denken, wenn wir ihnen gleich noch begegnen. Der lange Flur, welcher sich hinter der schweren Haustür erstreckt, liegt ebenfalls im Dunklen.
Ich fühle mich zunehmend unwohl, denn ich stehe immer noch alleine im Flur von den McGowans.
Ich weiß nicht, hinter welcher Tür Dylan verschwunden ist und nachsehen wäre sicherlich unhöflich.

Doch als ich scheppernde Geräusche aus der zweiten Tür links vernehme, reagieren meine Füße schon, ohne auf meinen Verstand zuhören.
Langsam und vorsichtig schiebe ich die Glastür beiseite und kann schon wenige Sekunden später erkennen, dass die Küchengeräte verstreut auf dem Boden liegen. Dylan hingegen versucht sich mühsam am Tresen in der Mitte festzuhalten und ist kurz davor abzurutschen.
Was hat man ihm nur angetan?

„Alles-alles in Ordnung?", frage ich ihn sanft und versuche, den zwei Köpfe größeren Dylan zu stützen.
Er hat seine Augen geschlossen und ich habe einen Augenblick die Befürchtung, dass er gleich ohnmächtig wird.
Ich ziehe eindringlich an seinem T-Shirt, sodass er langsam wieder seine Augen öffnet.
Diese strahlen nicht wie sonst in einem hellen Schokobraun, sondern in einem tiefschwarz.

Er sieht wirklich fertig aus und leidet nebenbei doch stark unter den Schmerzen, welche er haben muss. Seine Platzwunde am Unterkiefer öffnet sich langsam wieder, da er ständig die Zähne zusammenbeißt, sodass die Haut sich dort immer wieder dehnt.

„Ist jemand zuhause?", frage ich nun fast hoffnungsvoll, denn ich kann mir die Wunde nicht länger anschauen, denn das Blut, welches nun an seinem Hals herunterläuft, macht mich zunehmend unzurechnungsfähig.
Ich höre mich an, wie ein verbissener Vampir, doch da ich kein Blut sehen oder riechen kann, würde ich in dieser Spezies kläglich verhungern.

Dylan schüttelt jedoch zu meiner Überforderung den Kopf. Ich schließe meine Augen und atme mehrere Male tief ein und aus, damit ich bloß die Ruhe behalte.
„Du musst dich irgendwo hinlegen, damit du mir nicht zusammenbrichst und damit du dein Gleichgewicht etwas zurückerlangst.", sage ich ruhig und hoffe einfach, dass ich nicht doch noch den Krankenwagen rufen muss.

Dylan lässt mich los und läuft alleine Richtung Flur, jedoch hole ich ihn schnell wieder ein und lege seinen Arm auf meine Schulter, damit er sich nicht zu sehr anstrengen muss.

Dylan wehrt sich zu meinem Entsetzen aber und will alleine laufen, doch wenn er sich einfach helfen lassen würde, dann könnten wir schneller handeln, wenn er doch gravierende Verletzungen hat.
„Dylan, lass dir einfach helfen!", sage ich flehend und schaue ihm in sein müdes Gesicht. Meine Hundeaugen müssen ihn tatsächlich zur Vernunft bekommen haben, denn er lässt sich widerwillig helfen.
Auch wenn wir nach jeder zweiten Stufe eine Pause machen müssen, weil er völlig aus der Puste ist, schaffen wir es nach einiger Zeit in die erste Etage.
Zwar muss ich Dylan stützen, doch er führt mich langsam in Richtung eines Zimmers, welches ich schon nach dem Betreten als seines identifizieren kann.

Denn sein Geruch schlägt mir augenblicklich um die Nase und ich frage mich abermals, ob er einfach nur so unfassbar gut riecht oder ob er ein spezielles Parfum benutzt. Und wenn er eines benutzen sollte, muss ich unbedingt wissen welches!

Der Intensive Geruch von Dylan benebelt mir fast alle meine Sinne, sodass ich erst bemerke, dass er sich von mir entfernt hat, als er schon auf seinem Bett liegt.
Vorsichtig versteckt er sein Gesicht in seiner Armbeuge, weshalb ich langsam auf ihn zu gehe.

Fake HonestyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt