14-Schuld

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Let it all go - Birdy + Rhodes

Mache ich hier wirklich das Richtige?
Ich glaube es kaum, aber ich habe gar keine andere Wahl.

Denn ich kann schon die veraltete Holzhütte sehen. Unsere veraltete Holzhütte. Was wir haben da drinnen schon alles erlebt.

Wie automatisch gleitet meine rechte Hand in meine Hosentasche und holt klimpernd den Schlüssel heraus.
Ich habe es nicht übers Herz gebracht, ihn von meinem Schlüsselbund zu entfernen, da einfach zu viele Erinnerungen drang hängen.

Ich laufe über die kleinen Kieselsteinchen, bis ich an der Tür ankommen bin. Unsere Initialen, die wir mit zwölf hinein geritzt haben, sind nicht zu übersehen.
Vorsichtig fahre ich mit meinen Fingerspitzen über sie.
DEHZ. Dan, Emily, Henry und ich.
Eigentlich waren wir viel mehr, aber uns gehörte die Hütte.

Tief ein und ausatmen, hilft mir jetzt auch nicht mehr, weshalb ich meine Hand mit dem Schlüssel senke, um diesen ins Türschloss zu stecken.
Ich höre schon das vertraute Klicken, da werde ich plötzlich nach hinten geschubst und an die rechte Hüttenseite gedrängt.

Ich spüre einen Unterarm an meiner Kehle und mir weicht jegliche Luft aus meinen Lungen.
Anfangs kann ich nur ihre blonden Locken erkennen, doch nach und nach sehe ich mehr Details von meiner ehemaligen besten Freundin. Ich habe sie so sehr vermisst, jedoch habe ich mir unser erstes Treffen nach alldem anders vorgestellt.
Aber was habe ich erwartet? Ich habe sie alleine gelassen!

Sie kommt mir immer näher und sieht mich dabei angewidert an.
„Dass du dich hier überhaupt noch her traust!", zischt sie sauer und drückt ihren Unterarm noch mehr an meine Kehle.
Ich fange an zu würgen, da ich einfach keine Luft bekomme. So sauer habe ich sie noch nie gesehen und dabei bin ich ihr fast nie von der Seite gewichen.

„Em! Du hast mir versprochen, sie nicht gleich umzubringen.", kommt es plötzlich gelangweilt aus einer Ecke, woraufhin Em ihren Arm wegzieht, schnaubt und in der Hütte verschwindet.
Geräuschvoll atme ich ein und halte mir dabei meinen Hals. Ich sehe ihr hinter her und kann dicht hinter Emily, Dan die Hütte betreten sehen, wobei er mich keines Blickes würdigt. Kurz bleibe ich draußen stehen, schließe meine Augen, um sie dann wieder zu öffnen und meinen Schlüssel aus der Tür ziehen zu können.

Mit laut klopfendem Herzen gehe ich langsamen Schrittes ebenfalls in die, mir nicht unbekannte, Holzhütte.
Drei unfassbare Jahre war ich hier nun nicht mehr und trotzdem hat sich nichts verändert. Dan und Emily sitzen dort auf der grünen Couch und reden miteinander, als würde ihnen kein unangenehmes Gespräch bevorstehen. Obwohl es für sie wahrscheinlich gar nicht unangenehm wird.

Ich bleibe unentschlossen an der kleinen Theke stehen. Wenn man bedenkt, dass hier die wildesten Partys stattgefunden haben...

Kurz fahre ich mir über meine Arme, bevor ich meinen Blick wieder auf die beiden richte. Auch sie mustern mich und es ist so verdammt ungewohnt, ihnen gegenüber zu stehen und dabei in ihren Augen pure Verachtung zu sehen. Ich räuspere mich abermals, bevor ich leise anfange zu sprechen.

„Also-ehm-wie geht's euch?"
Diese Frage ist so dämlich, dass ich mich innerlich selbst dafür ohrfeige!
Aber ich muss ja irgendwie dieses Gespräch ins Rollen bringen.

„Ha! Du schuldest mir nun fünf Euro!" springt plötzlich Emily auf und hält Dan grinsend und fordernd ihre Hand hin.
Warte was? Ich brauche einen Moment, bis ich kapiere, was hier vor sich geht. Sie haben gewettet? Über das, was ich sage?

Ich fasse das nicht. Sie waren meine Freunde. Sie haben doch auch gesehen, wie ich Liam verloren habe. Drei Jahre hin oder her! Das kann nicht sein.

Ich werde wieder in die Vergangenheit zurück geschleudert. Sehe seine Augen vor mir. Sehe, wie das Leben ihn verlässt. Unbewusst laufen mir meine ersten Tränen über die Wange, woraufhin Dan grinsend die Hand weg schlägt und auf mich zeigt.
„Meine Liebe, wir sind quitt. Sie ist am heulen!"

Nein. Nein. Nein. Das sind nicht mehr die gleichen Menschen, wie ich sie kannte!
Auch wenn wir mit unseren Entscheidungen eine falsche Richtung eingeschlagen haben, waren sie meine Freunde.
Ich dachte immer, ich gehörte dazu und man würde mich respektieren. Aber vielleicht habe ich das verdient. Egal was andere sagen!
Aber trotzdem bin ich sprachlos!

„Ich-Ich kann das nicht fassen!"
Meine erste Reaktion auf ihre kleinen Wetten. Es ist nicht mehr als ein heiseres Flüstern, doch sie haben es auf jeden Fall gehört, denn sie grinsen mich abwartend an.
Sie warten nur darauf, dass sich noch mehr Wetten lösen. Das darf einfach nicht sein!
Mein Leben verliert im Moment jegliche Stütze und warum muss man mir das auch noch antun?

Ich brauche einige Minuten bis ich mir meiner Handlungen wieder allzu bewusst bin. Ich muss hier wirklich raus!
„Ihr seid unmöglich!", schreie ich immer noch und die Tränen werden immer mehr. Raus aus dieser Hütte. Raus aus all den Erinnerungen.

Ich bin noch nicht einmal an der Tür angekommen, da werde ich wieder nach hinten geschupst.
Jedoch werde ich dieses Mal nicht mit einem Unterarm fest gehalten, sondern mit der bloßen Hand von Em um meinen Hals.

„Wir sind unmöglich?", schreit sie mich an und drückt zu. Ich keuche und bekomme noch weniger Luft, als zu Anfang.
Kurz lässt sie ihre Hand locker, um dann noch fester zu zudrücken.
„Sieh dich an! DU lebst nun schön von Papis Geld und lässt dich fein verwöhnen. DU hast uns damals alleine gelassen. DU bist daran schuld, dass Liam tot ist, denn DU hast ihn mitgenommen. DU bist diejenige, die unmöglich ist."

Ihre Hand legt sich noch fester um meinen Hals und ich starre sie aus großen Augen an. Sie hat recht und das weiß ich! Ich bin unmöglich! Das ist alles meine Schuld. Ich habe mir schon immer die Schuld gegeben! Auch wenn mir meine Familie etwas anderes einredet, weiß ich, dass diese Schuld immer auf meinen Schultern haften bleibt.

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Für die, die Mehr als mein Leben gelesen haben: Es ist sicher nicht der gleiche Liam. Mir ist erst im Nachhinein aufgefallen, dass ich einen Namen für zwei Charaktere habe. Vielleicht ändere ich das noch einmal 😊

Fake HonestyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt