42-das andere Gesicht

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Ich-was mache ich denn jetzt?!
Ich beeile mich, in mein Zimmer zu kommen, damit ich nach einer Lösung suchen kann, aber ich finde nichts.
Meine Gedanken kreisen nur um die Worte meines Bruders, weshalb ich anfange, in meinem Zimmer auf und ab zu laufen.
Ich hoffe, dass meine Gedanken dadurch etwas leiser werden, aber ich habe das Gefühl, dass eher das Gegenteil passiert. Meine Tränen sind nicht mehr aufzuhalten und fallen ohne Rücksicht im Sekundentakt zu Boden.

Werden Toby und Lucas wirklich wegen mir benachteiligt und bin ich wirklich so eine schlechte Schwester?
Wäre ich an ihrer Stelle, würde ich wahrscheinlich das Gleiche empfinden.
Aber würde ich soweit gehen, dass ich ihnen die schlimmste Zeit ihres Leben wieder wünschen würde?! Ich hoffe nicht, denn das will wirklich niemand.

Es ist schwer zu akzeptieren, dass sie mich nicht um sich herum haben wollen, denn ich liebe sie doch.
Und gerade weil ich sie liebe, will ich ihnen doch kein Ballast sein. Wer will das schon?

Ich starre einige Sekunden auf meine Tasche, die schon etwas länger in der Ecke meines Zimmers liegt.
Ich will es gar nicht, aber wenn ich anderen damit etwas Gutes tue, bleibt mir nichts anderes über.
Mein Blick gleitet langsam nach draußen, wo ich abermals unsere Nachbarin auf dem Bordstein erkennen kann.
Ich frage mich, wie oft sie am Tag dort wohl sitzt, raucht und über ihr Leben nachdenkt.
Wahrscheinlich braucht auch sie mal eine Auszeit und setzt sich deshalb nach draußen.

Vielleicht braucht mein Umfeld auch einmal eine Auszeit von mir. Es dauert einige Zeit bis ich mich wirklich traue, zu meiner Tasche zu gehen, doch es hat sowieso keinen Zweck.
Ich suche aus meiner Kommode alles Wichtige heraus und stopfe es ungeachtet in meine doch etwas kleine Tasche. Denn schon nach meiner Unterwäsche habe ich diese nämlich schon zur Hälfte gepackt, weshalb ich den einen oder anderen BH wieder raus lege, damit ich noch normale Anziehsachen mitnehmen kann.
Hoffentlich finde ich eine Möglichkeit zum Waschen und zum Schlafen!

Ich beeile mich, meinen Schulrucksack bis auf den Collegeblock und ein paar Stiften zu leeren, damit ich dort noch etwas Platz für Essen und andere Kleinigkeiten habe.
Mein dicker Schulpulli, der definitiv schon zu oft gewaschen wurde, liegt schon auf meinem Schreibtischstuhl, weshalb ich mir diesen noch schnell über ziehen kann.
Und dann stehe ich in meinem Zimmer einige Minuten, wie bestellt und nicht abgeholt.
Mich kostet es viel Überwindung mein Handy vom Ladekabel zu nehmen, beides einzustecken und dann langsam und leise die Treppe herunter zu schleichen.

Da sich meine Brüder immer noch lautstark unterhalten, fällt es mir nicht schwer herauszufinden, wo sie sind.
Ich will gar nicht hören, was sie sagen, denn ich habe zu viel Angst, dass es mich betrifft und es mir noch mehr weh tut.
Und genau aus diesem Grund ziehe ich mir im Gehen meine Schuhe an und greife nach meiner Jacke, die ich mir über den Arm lege.
Ich muss mich beeilen, da ich noch gehen muss, bevor Mama und Papa wieder da sind, weshalb ich ohne überlegen, die Haustür hinter mir zuziehe und schnellen Schrittes die Einfahrt herunter laufe, da ich Angst habe, dass meine Brüder mich noch sehen könnten.

Ich behalte meinen Stechschritt bei, damit ich mich schnell von unserem Haus entfernen kann.
Anfangs gehe ich noch ein paar Mal links oder rechts, sodass ich mich nicht auf dem direkten Rückweg meiner Eltern befinde.

Der kalte Wind, der mir um die Ohren saust, hinterlässt auf meinem ganzen Körper eine Gänsehaut, obwohl ich relativ dick angezogen bin.
Ich halte mein Handy fest in der Hand, denn ich habe wahnsinnige Angst, dass ich an jeder dunklen Ecke überfallen werden könnte.
Und um ehrlich zu sein, weiß ich nicht einmal wie spät es ist und ein Mädchen, welches Mutterseelenalleine herumläuft, wird doch von jedem Kidnapper gerne gesichtet.
In diesem Fall bin ich nämlich noch ein Mädchen, welches um diese Uhrzeit eigentlich schon längst im Bett liegen müsste.
Ich hätte morgen früh gehen sollen, denn da wäre meine ängstliche Seite nur minimal zum Vorschein gekommen.
Hätte ich nur eher drüber nachgedacht! Und jetzt kann ich noch nicht einmal mehr zurück.

Fake HonestyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt