69-Tasten

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>Go Solo-Tom Rosenthal<

„Kommst du mit zum Aufräumen?, fragt mich Lucas, als ich an ihm mit gesenktem Blick vorbei gehe.
Ich habe in der Nacht von Samstag auf Sonntag ganz schlecht geschlafen.
Es war wahrscheinlich genauso schlimm, als wenn mich meine Albträume besuchen.

„Mir geht's nicht gut, sorry!", murmele ich und gehe weiter die Treppe herunter.
Heute müssen die Teams und weitere freiwillige Helfer zur Schule kommen, um aufzuräumen und eigentlich wollte ich ihnen helfen, aber dann würde ich Dylan gegenüber treten und eigentlich reicht es mir, wenn ich ihn in der Schule sehen muss.

Tja und so kommt es, dass ich den ganzen Tag alleine bin. Alleine nicht ganz, denn ich bin umgeben von Trauer, Wut, Sorge und Schmerz, meinen engsten Freunden und Feinden.

Ich sitze nun, umgeben von all diesen Gefühlen, am Esstisch in der Küche und rühre jetzt schon seit Stunden in meinem Müsli rum.
Mama ist im Café und Papa hat sich kurzfristig entschieden, sich mit seinen Freunden zu treffen.
Mein Handy habe ich wohlweißlich in meinem Zimmer gelassen, weshalb ich nun den verschiedenen Liedern im Radio lausche, doch eigentlich starre ich nur in meine Müslischüssel.

Als plötzlich die Radiosprecherin das nächste Lied ankündigt, schaue ich emotionslos auf.
„Das gibt es nicht!", hauche ich und vernehme die ersten Töne des Klaviers.
Sie können doch an einem Sonntag nicht solch einen traurigen Song spielen!
Das letzte Mal als ich ihn gehört und gespielt habe, war an Liams Beerdigung.
Und nun sitze ich hier, versinke in meinem Liebeskummer, während genau das Lied gespielt wird.
Mit glasigen Augen und wackligen Beinen stehe ich auf und schalte das Radio aus.
Mein nächster Blick geht zur Uhr, die mir zeigt, dass ich noch einige Zeit alleine sein werde, weshalb ich mit langsamen und bedächtigen Schritten aus der Küche gehe.

Hinterm Wohnzimmer befindet sich unser kleines Kaminzimmer, in welchem das schwarze Klavier steht. Ich habe dieses Zimmer auf Grund seines Inhaltes schon ewig nicht mehr betreten und das kann man auch auf dem schwarzen Lack erkennen, denn auf diesem liegen einzelne Staubkörnchen.
Jedoch hindert es mich nicht daran, dass ich mich auf den breiten Hocker setze und die Klappe, welche die Tasten versteckt, hochklappe.

Mein Herz, welches sowieso schon unnormal schmerzt, schlägt mir qualvoll gegen meinen Brustkorb.
Mein Atem kommt stoßweise, bevor ich meine zitternden Hände auf die schmalen und kalten Klaviertasten lege. Es kommen einzelne Töne, die mich die Sehnsucht spüren lassen.

Während meine Finger über einzelne Tasten fahren, schließe ich langsam meine Augen. Liam hat es geliebt, wenn ich gespielt habe und nur aus diesem Grund habe ich auf seiner Beerdigung gespielt und seitdem nie wieder.

Doch jetzt sitze ich hier und lausche den verschiedensten Tönen, die auf mein Tastenspiel folgen. Ich habe nicht wirklich eine Ahnung, was ich spiele, denn ich lasse mein Herz sprechen und spielen. Es kommt von ganz innen.

Irgendwann lasse ich den letzten Ton erklingen und öffne wieder meine Augen und die Tore meiner Gedanken.

Während ich gespielt habe, war es in meinem Kopf wie leergefegt. Doch sobald ich meine Hände von dem Klavier nehme, sind sie mit der doppelten Lautstärke wieder da.

Mit einem Klirren stelle ich meine Ellbogen auf den Tasten ab und verstecke mein Gesicht hinter meinen Händen. Was mache ich hier?

„Du hast gefühlte Ewigkeiten nicht mehr gespielt!", vernehme ich die monotone Stimme meines Bruders hinter mir, weshalb ich mir mit glasigen Augen durch die Haare fahre, mich jedoch nicht umdrehe.

„Ich weiß, Lucas. Ich weiß!", murmele ich und schließe meine Augen für einen kurzen Moment.
„Was ist los, Zoe?", fragt er mich und ich höre, wie seine Schritte näher kommen, weshalb ich mir schnell die Tränen wegwische.
„Alles gut!", wispere ich und stehe schnell auf, um in mein Zimmer zu rennen. Und dort bleibe ich, denn ich habe keinen richtigen Appetit und unter die fragenden Augen will ich mich auch nicht stellen.
~

Fake HonestyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt