27-Cousine Zoe Mary

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Levin nimmt mich mit ins Café, in dem auch meine Tante und mein Onkel auf uns warten. Genauso wie Levin, habe ich seine Eltern schon ewig nicht mehr gesehen.

Da Levin ihr einziges Kind ist, haben auch sie ihre Zeit mit dem Reisen verbracht.
Scheinbar haben sie gewusst, dass Levin wiederkommt und sind dann auch wieder angereist. Ich freue mich wahnsinnig Lena und Tom zu sehen, doch meine Stimmung ist seit eben im Keller.
Am liebsten würde ich diesen Satz aus meinem Gedächtnis löschen.

Ich bleibe noch eine Stunde mit meiner Familie im Café sitzen, doch da ich eh nichts sage, beschließe ich, nach Hause zu laufen.
Gerade als ich aufstehen will, lehnt sich Levin etwas zu mir herüber.
„Ist alles in Ordnung mit dir?", flüstert er, da nicht jeder am Tisch mitbekommen muss, was wir besprechen.
„Ja. Ich muss nur nach Hause. Ich muss noch so viel lernen und die ganzen Hausaufgaben!", stöhne ich, woraufhin er anfängt zu lachen.
„Die Schule war schon immer anstrengend und eine der besten Ausreden!"

Ich sehe ihn überrascht an, woraufhin sein Grinsen noch breiter wird.
„Ich habe in einem Jahr nicht vergessen, wie du tickst! Und dieser Blick sagt alleine schon alles. Dich hat verletzt, was Lucas eben gesagt hat."

Levin lehnt sich in seinem Stuhl wieder zurück, sieht mich jedoch abwartend an. Ich seufze, ehe ich einfach aufstehe und meine Jacke hole.
Während ich mir diese anziehe, gehe ich wieder zurück und sage meiner Familie, dass ich nach Hause gehe.
„Wir sehen uns bestimmt noch. Und ansonsten kannst du mir einfach schreiben.", grinse ich meinen Cousin gespielt fröhlich an und hoffe, dass er nichts mehr sagt.

Der Weg nach Hause ist länger als gedacht, aber das ist nicht schlimm, denn so kann ich meinen Gedanken freien Lauf lassen. Zu vielen Gedanken.
~

Am nächsten Tag ist mein Kopf wie leer gefegt. In der Schule konnte ich mich gar nicht konzentrieren, denn ich konnte nur an einen Namen denken. Heute werde ich ihn wieder sehen, ob ich innerlich will oder nicht.
Die ganze Scheiße kann nur dann abgeschlossen werden, wenn ich ihn gesehen habe. Ich stehe an der Bushaltestelle und hätte beinahe meinen Bus nicht bemerkt.

Da ich Lia sowie meine Brüder nicht eingeweiht habe, muss ich mit den Bus hinfahren, obwohl es sehr zeitintensiv ist.
Ich musste dafür sogar meine letzte Stunde Kunst schwänzen.
Ganz plötzlich hatte ich starke Kopfschmerzen und musste entlassen werden. Im Bus vervielfältigen sich meine Gedanken noch mehr, aber ich lasse es zu. Heute und dann nie wieder.

Insgesamt musste ich dreimal umsteigen und jetzt laufe ich auf das große Gebäude zu, dass hier in der Gegend nicht zu übersehen ist.
Mag sein, dass ich einen riesen Fehler mache und am Ende selbst dafür bestraft werde, aber das ist mir in diesem Moment egal.
Ich will wissen, wie Henry reagiert!

„Guten Tag! Ich habe einen Besuchstermin bei Henry Winston.", begrüße ich die junge Dame hinter dem Glasfenster. Diese nickt nur und blättert in ihren Unterlagen.
„Natürlich. Zoe Mary?"
Ich nicke und unterschreibe das Formular, was mir hin gehalten wird.
„Sie müssen alle ihre Gegenstände hier ablegen und werden gleich von mir untersucht, bevor Sie zu ihm können!"
Sie zeigt auf eine Kiste in einer Ecke, woraufhin ich auf die kleine Tasche in meiner Hand schaue.
„Dürfte ich vielleicht diese mit rein nehmen? Ich wollte ihm doch unbedingt eine Überraschung machen. Ich bin gerade erst wieder zu Besuch hier und habe ihn schon ewig nicht mehr gesehen, wissen Sie."

Die junge Polizistin starrt auf meinen Stoffbeutel und bittet mich diesen zu öffnen, doch ich verneine.
„Das ist wirklich persönlich! Ich verspreche auch, dass er es nicht in die Hand nimmt. Es bleibt schön bei mir."
Ich sehe, wie sie am überlegen ist und bin froh, dass ich sie so schnell überzeugen konnte. Besser wäre es wahrscheinlich, wenn sie hier nicht arbeiten würde, doch jetzt kommt es mir ganz gelegen.
„Na gut, Miss Mary."

Ich folge ihr bis zu einer Tür, die ich öffnen darf, nachdem sie mich abgetastet hat.
„Er wird gleich kommen! Sie können sich ruhig setzen!"
Kurz darauf verschwindet sie und ich sehe mich in dem Raum um.

Was habe ich erwartet? Bilder, Gemälde, Blumen? Ich befinde mich gerade in einem Gefängnis!
Nach gefühlten Stunden öffnet sich eine Tür am anderen Ende des Raumes und ich merke, wie mein Herz anfängt, wie wild zu schlagen.

Hinter dem alten Polizisten, der durch die Tür tritt, kann ich Henry erkennen. Zwar hat er sich äußerlich ein wenig gehen lassen, trotzdem wäre es unmöglich, ihn nicht zu erkennen.
Als auch Henry mich sieht, fängt er an zu grinsen und lässt sich provokativ auf den gegenüberliegenden Stuhl fallen.
Der Polizist, der ihn hineingebracht hat, stellt sich neben die Tür und starrt desinteressiert an die gegenüberliegende Wand.
Mein Blick wandert wieder zu Henry, der mich intensiv beobachtet.

„Und ich habe schon gedacht, dass ich meine Cousine Zoe Mary nie kennengelernt habe. Ich muss sagen, dass du immer noch so schlau zu sein scheinst, wie damals!", fängt er an, noch bevor ich überhaupt anfangen konnte zu reden.
Ich beiße meine Zähne zusammen und schaue ihn mir nochmals genau an.
„Nach wie vielen Jahren habe ich die Ehre, dass du mich besuchen kommst? Sind es mittlerweile nicht schon drei? Also was willst du?"
Schon wieder schafft er es mich, noch bevor ich etwas sage, zu unterbrechen. Doch ich lasse mich nicht aus dem Konzept bringen.

„Ich habe dir etwas mitgebracht.", sage ich und ziehe mir den Handschuh an, der in dem Beutel liegt.
„Du scheinst mich ja sehr vermisst zu haben, wenn du mir sogar Geschenke machst. Hoffentlich ist es etwas zu essen, denn das Essen hier schmeckt scheußlich!"
Sind das etwa seine einzigen Probleme?!
„Viel besser!", murmele ich und lege den Gegenstand, der in meiner Hand liegt, auf den Tisch.
Im Licht der Lampe fängt es an zu glitzern, genauso wie meine Augen, doch ich lasse mich nicht davon abbringen.
Meine Augen huschen kurz zum Polizisten, der nichts mitbekommen hat, weshalb ich sie wieder auf Henry richte.
Doch er reagiert ganz anders, als ich es erhofft habe. Henry zuckt nur mit den Schultern und starrt auf das Messer, das zwischen uns liegt.

„Hast du nichts anderes dazu zu sagen?!", sage ich lauter als beabsichtigt.
„Was soll ich dazu sagen? Du hast das Beweisstück für den Tod an Liam versteckt. Soll ich dir jetzt danken? Ganz sicher nicht. Es war schließlich auch deine Schuld. Wegen dir musste ich ihn doch abstechen", kommen die Worte gelassen über seine Lippen. Jedoch stürzt das Gesagte auf mich wie eine Lawine ein.
„Meinetwegen?", hauche ich und bin kurz davor in Tränen auszubrechen.
„Ne wegen des Baumes, der neben dir stand! Er hat ihn ja auch mit genommen!", sagt Henry und verdreht dabei seine Augen.
„Hast du-hast du denn gar keine Schuldgefühle?"
„Soll ich es dir aufschreiben? Es war nicht meine Schuld! Tja, man kann es nun einmal nicht ändern. Der liebe Liam musste leider Gottes von uns gehen. Aber mal etwas Anderes! Du kannst ja jetzt endlich deinen Gefallen einlösen. Also nächste Woche-"
„Ich muss gar nichts!"
„Ach nein? Wie bist du noch einmal an den ganzen Alkohol und die Drogen gekommen?!", fragt er, weshalb meine Augen abermals zu dem Polizisten huschen, doch auch jetzt bewegt er sich nicht. Hört er uns überhaupt?!

„Hör auf den Bullen anzustarren! Hör mir lieber zu, was du machen sollst!"
„Das einzige, was ich mache, ist mit all der Scheiße abzuschließen und nie wieder einen Gedanken an euch zu verschwenden!", sage ich und muss mich beherrschen ihm keine zu scheuern.

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Wie hat es euch gefallen? Um ehrlich zu sein, bin ich im Moment mit der ganzen Story nicht zufrieden 😫😔

Fake HonestyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt