24. Kapitel

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Völlig zerschlagen von den langen Stunden bei Mikey im Krankenhaus, war Kate froh, endlich Zuhause zu sein. Sie legte ihren Schlüsselbund in dem Schälchen auf dem Flurschrank ab. Henrys Auto stand nicht mehr in der Auffahrt und auch sein Schlüssel war nicht mehr da.

Am Spiegel klebte eine kurze Notiz von ihm: Bringe meine Eltern nach Brendshire zurück. Bin gegen Mitternacht wieder Zuhause. Ich liebe dich. Henry.

Kate warf einen Blick auf die Uhr. Es war bereits kurz vor zwölf Uhr, als würde Henry bald kommen.

Sie ging in die Küche und machte sich die Reste des Abendessens warm, dessen Ende sie verpasst hatte.

Henry hatte einen Teller für sie in den Kühlschrank gestellt, den sie jetzt in die Mikrowelle schob. Er musste gewusst haben, dass sie wieder Hunger haben würde, wenn sie nach Hause kam.

War sie denn wirklich so leicht zu durchschauen?

Während sie aß, warf Kate immer wieder ungeduldige Blicke auf ihre Uhr.

Eigentlich hatte sie diesen letzten Abend, bevor Amber zurück kehren würde, mit Henry zusammen genießen wollen, aber daraus würde anscheinend nichts werden.

Müde ging sie schließlich ins Bad. Sie genoss eine ausgiebige Dusche, die ihr nach diesem anstrengenden Tag besonders gut tat.

An die Stelle des vehementen Leugnens war resignierte Akzeptanz getreten.

Mikey war schwer krank, vielleicht sogar unheilbar, da seine Leukämie schon weit fortgeschritten war.

Kate fuhr sich durch die nassen Haare und ließ das Wasser über ihr Gesicht laufen. Es vermischte sich mit ihren stummen Tränen, machte sie beinahe ungeschehen, unwirklich, als gäbe es sie nicht.

„Gott", flüsterte sie und hob ihren Blick an die Zimmerdecke, als würde sie erwarten, dort etwas zu sehen, „Ich weiß nicht, ob ich das aushalte. Wenn er stirbt... Ich glaube nicht, dass ich das schaffen werde."

Kate hatte es schon einige Male erlebt, dass ihre kleinen Patienten gestorben waren, aber Erfahrung darin zu haben, bedeutete lange nicht, dass es jedes Mal einfacher wurde. Es war eher, als würde der Schmerz jedes Mal tiefer gehen, tiefer, als man es je für möglich halten würde.

Kate wusste, dass sie die einzelnen Schicksale der Kinder nicht so sehr an sich heran lassen durfte, wenn sie nicht irgendwann daran zerbrechen wollte, aber es lag einfach in ihrer Natur, dass sie es liebte, Beziehungen aufzubauen und zu pflegen und für andere da zu sein.

Und diese Kinder brauchten jemanden, der für sie da war, der sie nicht mit der Fürsorge der Eltern erdrückte, sondern mehr wie eine Freundin für sie war.

Und das hatte Kate sich vorgenommen, für jeden ihrer Patienten zu sein.

Als sie aus der Dusche stieg, schlüpfte sie schnell in ihren warmen, kuscheligen Bademantel, den ihr Henry zu ihrem letzten Geburtstag geschenkt hatte.

Es war bereits halb eins, stellte sie mit einem Blick auf die Uhr fest. Langsam wurde sie unruhig.

Es konnte doch nicht so lange dauern, seine Eltern nach Brendshire zu bringen, oder? Aber vielleicht hatten sie ihn noch mit ins Haus gebeten, um mit ihm zu quatschen....

Kate wusste selbst, wie unrealistisch das war. Beinahe, als würde sie die Schuld für Henrys Zuspätkommen auf einen Stau auf der Landstraße nach Brendshire schieben, die schon tagsüber kaum befahren wurde.

Sie ging noch einmal ins Wohnzimmer und blickte abwartend das Telefon an. Sie wollte nicht, dass er möglicherweise beim Autofahren telefonieren musste, aber andererseits wollte sie endlich wissen, wo er war!

Kate biss sich auf die Lippe. „Bitte, Papa. Lass ihn bald nach Hause kommen oder zumindest anrufen", schickte sie ein kurzes Gebet zum Himmel.

Gerade als sie beschloss, in ihr Schlafzimmer in den ersten Stock hinauf zu gehen, klingelte das Telefon.

„Henry?" Ihre Augen leuchteten aufgeregt, als sie den Anruf entgegen nahm.

Kurzes Schweigen, ein Räuspern, das eindeutig nicht von Henry kam und dann drang die Stimme von Beth, einer Krankenschwester der Notaufnahme, durch den Hörer.

„Nein, Kate. Ich bin's, Beth. Aus dem Krankenhaus. Hör zu, Henry und seine Eltern wurden gerade eingeliefert. Sie hatten einen schweren Autounfall."

Kate brauchte einen Moment, um zu realisieren, was Beth gerade gesagt hatte. „Autounfall?", krächzte sie. Ihre Stimme hörte sich ungewohnt heiser an. „Wie schlimm ist es?"

„Ziemlich schlimm. Es ist am besten du kommst her."

Kates Herz setzte zum freien Fall an. Ihr würde übel. „Ich fahre sofort los."

* * * * *

Daniel Parker nahm immer zwei Treppenstufen auf einmal, als er in die Notaufnahme hinunter lief.

Auf dem Weg in den Behandlungsraum rannte er beinahe eine Praktikantin um, die ihm in den Weg gelaufen war und erschrocken zur Seite wich, als sie seinen Gesichtsausdruck sah.
Eine Mischung aus Entsetzen, Sorge, Wut und Angst.

Schwungvoll stieß er die Türen des Behandlungszimmers auf. „Wie geht es ihm?", fragte er, noch während er Latexhandschuhe über zog.

„Innere Blutungen nach Quetschung durch den Gurt, spürt seine Beine nicht mehr, vermutlich aufgrund einer Verletzung im Rücken. Sein Kreislauf ist mittlerweile stabil", informierte Dr. Stanley ihn.

Daniel griff nach dem Krankenblatt und suchte nach der Spalte, in der der Oberarzt die Medikation eingetragen hatte. „Wir bringen ihn gleich hoch in den OP." Er trat neben Henry und legte eine Hand auf seinen Arm. „Wir bekommen dich wieder hin, okay?"

Henry nickte, die Angst sprach aus seinen Augen. Plötzlich verzog er sein Gesicht.

„Hast du Schmerzen?", fragte Daniel alarmiert. Eigentlich hatte Dr. Stanley Henry ausreichend Schmerzmittel gegeben, sodass er nichts spüren dürfte.

„Geht schon." Henry atmete zitternd ein.

„Henry, es ist jetzt nicht die Zeit, den Helden zu spielen..."

„Henry!"

Daniel wandte sich bei dem Klang von Kates Stimme um.

Henrys Frau hatte rote, vom vielen Weinen aufgequollene Augen und auch jetzt liefen ihr die Tränen in Strömen über die Wangen, als sie auf die andere Seite des Krankenbettes lief.

„Henry", flüsterte sie und nahm seine Hand. Langsam, als würde es ihn Mühe kosten, wandte Henry ihr seinen Kopf zu.

„Henry, ich bin da. Es wird alles gut, okay? Ich bete für dich. Es wird alles gut." Kate wischte sich die Tränen von den Wangen, als Daniel sie sanft, aber bestimmt zurück schob.

„Wir müssen ihn in den OP bringen. Beth erklärt dir alles." Er nickte zu der Schwester hinüber, die Kate sanft am Arm nahm.

„Kommen Sie, Kate", sagte sie leise.

Daniel nickte Dr. Stanley zu. „Danke."

Der Arzt zuckte die Schultern. „Ich hoffe, dass seine Beine es schaffen", sagte er leise, sodass Henry ihn nicht hören konnte.

Daniel zuckte zusammen. Was, wenn er derjenige sein müsste, der Henrys Beine amputierte...?

In diesem Moment stöhnte Henry gequält auf. Der Monitor über seinem Bett begann laut und schnell zu piepsen, um schließlich in einem langgezogenen, durchdringenden Ton zu enden.

Scheinbar grundlos, von einem Moment auf den anderen, hörte Henrys Herz auf zu schlagen.

Whatever It TakesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt