„Morgen wird schön Mittagsschlaf gemacht, junger Mann." Spielerisch zog Kate Mikey seine Mütze ins Gesicht.
„Jaja", brummte er unwillig und schob seine Cap wieder zurück. Trotzdem konnte er ein vorfreudiges Grinsen nicht verbergen.
„Ich hole dich um halb sieben ab. Wenn du nicht pünktlich bist, fahren Ryder und ich alleine zum Spiel."
„Pff", machte Mikey. „Ich würde um nichts in der Welt verpassen, wie die Giants die Cowboys in deren eigenem Stadion besiegen."
„Nimm den Mund nicht zu voll, Frechdachs", neckte Kate ihn, wurde jedoch schnell wieder ernst. „Wenn es dir irgendwie schlechter geht, werde ich sofort wieder zurück bringen, Mikey, und wenn es nur Kopfschmerzen sind. Ich möchte nichts riskieren."
Widerstrebend nickte Mikey. „Ist gut, Doc."
Mit einem zufriedenen Kopfnicken verließ sie Mikeys Zimmer.
Sie war froh, dass die Therapie bei ihm so gut anschlug, dass sie vor einer Woche bereits in die zweite Phase der Behandlung hatten übergehen können - was bedeutete, dass fast alle Krebszellen vernichtet waren und der schlimmste Teil nun hinter Mikey lag.
Im Grunde ging es jetzt nur noch um die Vernichtung der Restzellen, sowie die Risikoverminderung eines Rückfalls.
Den ersten von drei Blöcken der zweiten Behandlungsphase, die jeweils etwa eine Woche dauerten, hatte der Junge bereits hinter sich, sodass das morgige Football-Spiel der Cowboys gegen die Giants in die dreiwöchige Erholungsphase zwischen den Therapieblöcken fiel. Viel besser hätte das Timing nicht sein können, dachte Kate erleichtert.
Sie verabschiedete sich von ihren Kollegen und verließ dann die Station.
Sie war froh, Feierabend zu haben und morgen ebenfalls nicht arbeiten zu müssen. So könnte sie mehr Zeit mit Henry verbringen - was ihrer Beziehung bestimmt gut tun würde.
Die Momente, in denen sie sich gut verstanden und es beinahe wieder wie früher war, waren einfach zu selten. Ständig gab es irgendwelche Reiberein oder kleinere Streits.
Henrys Stimmung schlug oft von einem auf den anderen Moment urplötzlich um.
Kate wünschte, sie würde verstehen, was in ihm vorging, aber jedes Mal, wenn sie nachfragte, brach sie damit einen neuen Streit vom Zaun, sodass sie beschlossen hatte, ihn vorerst nicht mehr darauf anzusprechen
Kate stieg zu einem Mann in Lederjacke in den Aufzug, der bereits das Erdgeschoss als Ziel ausgewählt hatte.
Es war ihr immer unangenehm mit anderen Leuten schweigend im Fahrstuhl zu fahren und ihnen dann womöglich bis zum Parkplatz folgen zu müssen, aber sie wäre sowieso zu schüchtern, um die Stille in irgendeiner Form zu durchbrechen.
Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, dass der Mann sie anschaute, also wandte sie ihm ebenfalls ihr Gesicht zu und schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln.
Tatsächlich folgte der Mann ihr, als sie ausstieg und durch die Notaufnahme nach draußen ging. Ihr Puls beschleunigte sich, als sie an den Morgen vor zwei Wochen dachte, der ihr von Zuhause bis zum Krankenhaus ein Auto gefolgt war.
Wurde sie wirklich verfolgt und das damals war keine Einbildung und kein Zufall gewesen?
Kate lief etwas schneller, bis sie an der Kreuzung stehen bleiben musste.
Sie war unglaublich erleichtert, als ihr Handy klingelte.
Umständlich holte sie es aus ihrer Jackentasche und stellte zwei Schritte mehr Abstand zu dem Mann her, der neben ihr darauf wartete, dass die Ampel auf Grün umsprang.
„Lynn?", begrüßte sie ihre Freundin erleichtert.
„Hey, Kate, hast du schon Feierabend?"
„Ja, ich bin gerade auf dem Weg zum Parkplatz." Kate blickte sich um, aber der Mann war verschwunden. Die Fußgängerampel wurde gerade wieder rot. Na toll.
„Bleib wo du bist, okay? Ich muss mit dir reden."
„Okayyy..." Überrascht legte Kate auf. Keine fünf Minuten später war Lynn bei ihr. Kate erkannte ihre Freundin bereits von weitem an ihrem roten Wintermantel und der leuchtend weißen Bommelmütze auf dem Kopf mit den blonden Haaren.
Die beiden Freundinnen umarmten sich und schlugen dann den Weg in Richtung Parkplatz ein.
„Also, was ist los?", wollte Kate wissen, als sie die Straße überquerten.
„Es geht um Henry."
„Kommt er zurecht?" Sie hatte sich von Anfang an Sorgen gemacht, dass es ihm schwer fallen würde, wieder zu arbeiten, auch wenn er gesagt hatte, es würde alles gut laufen.
„Meistens. Manchmal hat er noch Probleme mit den Krücken, aber darum geht es nicht."
„Sondern?"
Lynn blieb stehen. Ihr Atem blies weiße Wölkchen in die Luft. „Hat er begonnen, die Schmerztabletten auszuschleichen?"
Verwirrt blickte Kate ihre Freundin an und rieb fröstelnd ihre kalten Hände aneinander. „Ich denke schon. Aber ich überwache seine Medikation nicht. Das machst du doch." Sie runzelte die Stirn. „Wieso fragst du?"
Lynn atmete tief durch. „Kate, ich glaube, Henry nimmt zu viele Schmerzmittel. Die letzte Packung hätte noch mindestens zwei Wochen reichen müssen, wenn er begonnen hätte, das Codein auszuschleichen."
„Was er nicht hat?" Sie begannen langsam, weiter zu laufen.
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass er das nicht getan hat", nickte Lynn. „Es sei denn, er hat alles verschenkt oder verloren."
Kate riss erschrocken die Augen auf, als sie begriff, was ihre Freundin damit meinte. „Willst du damit sagen, dass mein Mann codeinabhängig ist?"
„Vielleicht noch nicht, aber ist auf jeden Fall auf dem Weg dahin. Ich will ihn gar nicht schlecht reden, Kate, aber vielleicht solltest du mal mit ihm reden. Ich glaube, dir wird er eher zuhören."
Kate senkte den Kopf und blickte auf ihre schwarzen Stiefel, auf denen einige Schneeflocken liegen geblieben waren. „Hast du ihn schon darauf angesprochen?"
Lynn nickte. „Heute Morgen. Er hat es vehement abgestritten. Kate, ich habe ihn die letzten Tage beobachtet. Er hat ungewöhnlich oft schlechte Laune, dann ist er plötzlich wieder übermäßig fröhlich. Er reibt sich oft die Schläfen, hat also häufig Kopfschmerzen. Und dann ist da noch das Zittern seiner Hände, das er auf seine vom ständigen Laufen mit den Krücken überanstrengten Armmuskeln schiebt. Das zusammen mit der Aggressivität, wenn er auf seine Medikation angesprochen wird... Kate, so leid es mir tut, aber das sind alles Anzeichen für eine Sucht."
Kate fühlte wie vor den Kopf gestoßen. Ihr Mann sollte medikamentenabhängig sein? Henry? Ausgerechnet Henry? Er war doch selber Arzt, er kannte die Risiken, er musste wissen...
Und vor allem - warum hatte sie es nicht bemerkt, wenn es sogar Lynn aufgefallen war? Hatte sie nicht genug hingesehen? Nicht genau hinsehen wollen?
Hilfesuchend blickte sie ihre Freundin an. „Was soll ich denn jetzt tun?"
„Du musst mit ihm reden, Kate. Es hilft alles nichts, wenn er nicht selber einsieht, dass er zu viel Codein nimmt."
Sie blieben stehen, als sie an Kates Auto ankamen.
„Ich würde es dir echt gerne abnehmen, Kate, aber ich glaube, das ist wirklich etwas, was du tun musst. Henry ist dein Mann, auf dich wird er hören."
Kate nickte. „Okay. Danke, dass du es mir gesagt hast."
„Kein Problem."
Wie betäubt stieg Kate ins Auto. Nachdem Lynn gegangen war, blieb sie noch eine Weile einfach sitzen und starrte geradeaus. Eine einsame Träne lief ihre Wange hinunter.
Henry, ein Drogensüchtiger? Codeinabhängig?
Ausgerechnet er, der vor seinem Unfall noch der verantwortungsbewussteste Mann gewesen war, den sie kannte? Was war bloß passiert?
Und warum in aller Welt hatte sie nichts bemerkt?
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Whatever It Takes
Teen FictionEs ist ein Jahr her, dass Henry O'Ryan Kate McKinnley heiratete und noch immer ist sie die Frau seines Lebens - bis ein Unfall das Leben des jungen Ehepaars komplett auf den Kopf stellt. Henry sitzt im Rollstuhl - doch als wäre das nicht genug, wird...