7. Kapitel

87 14 0
                                    

„Er hat also nur mit so einem Typen gesprochen, der das Handy von Caradons Freundin hatte und behauptet hat, er sei ein Freund von ihr?" Skeptisch runzelte Josh die Stirn.

Mark zuckte hilflos die Achseln. „Ja. Aber der, mit dem Henry telefoniert hat, meinte, er würde Caradons Freundin Bescheid sagen. Also müsste sie in einer Stunde kommen..."

Mark und Josh stießen gleichzeitig beide Flügel der großen Eingangstür des Whitingham Medical Centers auf.

„Werden wir Henry verkabeln?"

Mark schüttelte den Kopf. „Ich will auf keinen Fall riskieren, dass sie misstrauisch wird, das würde Henry und auch unseren Auftrag nur unnötig in Gefahr bringen."

„Ich hoffe er kann gut schauspielern", murmelte Josh, als die beiden Agenten das Foyer des Krankenhauses durchquerten.

„Es geht so. Aber er ist unsere einzige Möglichkeit, alle anderen würden zu viele Fragen stellen."

Josh verdrehte die Augen. „Ich hasse es, mich auf andere verlassen zu müssen! Gut, dich und Alec ausgenommen", fügte er schnell hinzu.

Mark grinste. „Dann wird es ja Zeit, das zu lernen", stichelte er.

Überrascht wandte er sich um, als Josh abrupt stehen bliebt und folgte dem Blick seines Partners zu einigen Stühlen, die den Wartebereich des WMC bildeten.

Auf einem der Stühle saß Joshs jüngerer Bruder.

„Was macht Ryan denn hier?", zischte Mark.

Er hatte Ryan Tucker seit zwei Jahren nicht mehr gesehen und wusste, dass auch Joshs seit dem nur noch sporadisch telefonischen Kontakt mit ihm gehabt hatte.

Das Verhältnis zwischen den beiden Brüdern war gelinde gesagt angespannt.

„Lass es uns herausfinden!" Joshs Augen blitzten.

Mark warf einen Blick auf seine Armbanduhr, die er sich endlich wieder angewöhnt hatte, immer zu tragen. „Zehn Minuten, Josh, den Rest kannst du später mit ihm klären."

Sein Partner nickte widerstrebend und die beiden steuerten auf Ryan zu.

Der junge Mann blickte erst zu ihnen auf, als sie direkt vor ihm standen. Einen Moment sah Mark die Überraschung in seinem Gesicht, doch sofort setzte er wieder einen gleichgültigen Ausdruck auf.

„Hey, Josh", sagte er ausdruckslos, als hätte er seinen Bruder nicht vor anderthalb Jahren zuletzt gesehen.

Er stand weder auf, noch blickte er die beiden sonderlich lange an. Mark streifte er nur mit einem misstrauischen Blick, den der mit einem Stirnrunzeln quittierte.

„Ryan."

In diesem einen Wort hörte Mark all die Emotionen, die Josh mühevoll unterdrückte: die Liebe zu seinem Bruder, die Enttäuschung, dass Ryan sich nicht zu freuen schien, ihn wiederzusehen, Wut und Unverständnis. Es waren Emotionen, die die Beziehung der beiden geprägt hatten.

„Was machst du hier?" Die Frage klang abweisender, als Josh sie vermutlich gemeint hatte.

Ryan – er musste jetzt 23 Jahre alt sein – verschränkte die Arme und sein Gesicht drückte deutlich sein Desinteresse aus.

Wäre er nicht Joshs Bruder, hätte Mark ihm gerne mal seine Meinung gesagt. Aber aus Rücksicht auf Josh hatte er sich bis jetzt meistens beherrschen können.

Er konnte nur nicht garantieren, dass das so blieb, wenn Ryan nicht seine arrogante Haltung aufgäbe.

„Ich besuche meine Schwester", antwortete Joshs Bruder gedehnt.

„Sie hat erst in vier Stunden Schluss", erwiderte Josh, dessen Stimme nun ebenfalls einen kühlen Tonfall angenommen hatte.

Maya Tucker, die jüngere Schwester der beiden, studierte mit Kendra, Marks Schwester, Medizin und gemeinsam absolvierten die beiden jungen Frauen ihre praktischen Semester am WMC.

„Da kennt wohl jemand Mayas Dienstplan auswendig", höhnte Ryan.

Jetzt stand er auf, doch seine ganze Haltung drückte Verachtung aus, seine Augen blitzten wütend. „Schön, dass du dich wenigstens um sie kümmerst!"

Mark spürte, wie Josh, der nahe neben ihm stand, sich anspannte. „Ich habe mich jahrelang auch um dich gekümmert, vergiss das nicht, Ryan Tucker!", erwiderte Josh mühsam beherrscht.

„Indem du mir meine Freunde verboten hast, ja! Vielen Dank, es hat mir sicher in meiner Entwicklung geholfen, immer und überall der Außenseiter zu sein!"

Ryans herablassender Blick und die Worte, die er Josh an den Kopf warf, machten Mark unglaublich wütend. Aber das war nicht sein Kampf und er würde nicht eingreifen, solange ihn sein Freund nicht darum bat.

„Alles, was ich für dich und auch für Maya getan habe, war, um euch beide zu schützen. Dir den Umgang mit deiner Clique in London zu verbieten, war das Beste für dich, Ryan! Wenn du auf mich gehört hättest, hättest du dir sogar den Gefängnisaufenthalt ersparen können! Ich wünschte, du wärst reif genug, das zu verstehen!"

Ryan kniff die Augen zusammen. „Ach, so denkst du also über mich? Ich bin ja nur ein verwöhnter, kleiner Junge, der nichts von der Welt weiß, nicht wahr?"

Er starrte Josh an, doch er war der erste der beiden, der den Blick abwandte. Unwillkürlich musste Mark lächeln. Er wusste nur zu gut, dass es ungemein schwer war, Joshs Blick standzuhalten.

„Was grinst du?", fauchte Ryan ihn an und trat näher.

Tatsächlich war er ein kleines bisschen größer als Mark und schien so seine Überlegenheit demonstrieren zu wollen. Oder um zu zeigen, dass er endlich alt genug war, legal Alkohol zu kaufen und sich in einem Krankenhau betrinken zu können.

Provokativ nahm Ryan einen erneuten Schluck aus seiner Bierflasche – mit Sicherheit nicht seine erste.

Abschätzend blickte Mark ihn an. „Stell die Flasche weg", forderte er ruhig, ohne mit der Wimper zu zucken.

Joshs Bruder blickte ihn herausfordernd an.

Mark sah Ryan an, dass er am liebsten zugeschlagen hätte, weil er es hasste, wenn jemand ihm seine Unterlegenheit aufzeigte.

Als der Arm des jungen Mannes kurz zuckte, schüttelte Mark warnend den Kopf.

„Das solltest du nicht tun, Ryan."

Ryan stemmte streitlustig die Arme in die Seiten. „Weißt du was, Mark? Komm doch das nächste Mal ohne meinen Bruder!"

Mark lagen eine Menge Entgegnungen auf der Zunge, doch er schluckte sie um seines besten Freundes willen herunter.

„Tut mir leid, Ryan, ich würde es Josh nicht antun, dich zu verprügeln."

Er warf einen Blick auf seine Uhr und wandte sich an seinen Partner, ohne Ryan noch eines Blickes zu würdigen.

„Komm, lass uns gehen. Wir verschwenden hier nur unsere Zeit!"

Whatever It TakesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt