102. Kapitel

73 13 16
                                    

„Guten Tag." Josh lächelte eine Krankenschwester so freundlich an, wie es ihm möglich war. Er hatte Angst um seinen Bruder. Der Anruf der Ärztin hatte ihn völlig aus dem Konzept geworfen und von der ihm so eigenen Ruhe war nichts mehr zu spüren. „Ich suche meinen Bruder, Ryan Tucker."

Die Krankenschwester warf einen Blick auf das White Board, auf dem die Patienten der Notaufnahme mit ihren Erkrankungen in undefinierbaren Kürzeln festgehalten wurden. „Behandlungsraum vier. Den Gang runter auf der rechten Seite."

„Danke." Josh nickte und machte sich auf den Weg. Er hasste es, Mark mit Henry und Kate alleine lassen zu müssen, aber sein Partner hatte ihm mehr als einmal versichert, dass er das schaffen würde. Sie konnten nur hoffen, dass Laryssa Hoover davon nichts mitbekommen würde.

Josh klopfte an die Tür des Zimmers, bevor er eintrat. Es befanden sich vier Betten in dem Raum, wovon aber nur zwei belegt waren. Vorne lag eine junge Frau mit eingegipstem Bein, der ein Pfleger gerade in den Rollstuhl half, also ging Josh nach hinten durch zu dem Bett links vom Fenster.

Zuerst erkannte er seinen Bruder kaum. Ryan schien zu schlafen, weswegen Josh ihn ungestört betrachten konnte.

Ryans Gesicht war geschwollen und übersät mit Blutergüssen. Er trug einen Verband um seinen Kopf und über seine linke Schläfe lief eine genähte Platzwunde bis zu seiner Wange. Er war bis zum Hals mit der Krankenhausdecke zugedeckt, nur seine Arme waren noch zu sehen, einer von ihnen war zugegipst.

Josh kamen die Tränen, als er seinen Bruder so sah. Sein Brustkorb zog sich schmerzlich zusammen, als ihm bewusst wurde, dass es seine Aufgabe gewesen wäre, Ryan zu beschützen. Er hätte derjenige sein sollen, der jetzt hier lag, nicht sein kleiner Bruder.

Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich, die Arme auf das Bett gestützt. „Ryan?", flüsterte er und legte eine Hand auf die seines Bruders.

Ryan blinzelte und wandte ihm in einer unendlich langsamen, vorsichtigen Bewegung sein Gesicht zu, als hätte er jeden Augenblick Angst vor Schmerzen. Ein zaghaftes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Ich schätze jetzt behauptet niemand mehr, wir würden uns ähnlich sehen."

Josh biss sich auf die Lippe. „Ach, deswegen hast du dich verprügeln lassen, ja?", fragte er neckend, auch wenn ihm überhaupt nicht danach zumute war.

„Klar. Du kennst mich doch."

Du kennst mich doch. Diese Worte hatte er seit Jahren nicht mehr aus dem Mund seines Bruders gehört. Ryan hatte immer nur rebelliert, versucht Blutsbande aufzuheben und nicht mehr zur Familie zu gehören. Und jetzt lag er hier in einem Zimmer der Notaufnahme, hatte ihn anrufen lassen und schien zum ersten Mal seit langem zu einem normalen Gespräch bereit zu sein.

„Was ist passiert?", fragte Josh leise.

Ryan versuchte sich aufzusetzen, aber sein unverletzter Arm gab nach, sodass er wieder zurück in die Kissen fiel.

„Warte, ich helfe dir." Josh stand auf und klappte das Kopfteil des Bettgestells an, sodass Ryan zumindest halbwegs aufrecht saß. Dann setzte er sich wieder auf den Stuhl vor dem Bett seines Bruders. „Also?", wollte er wissen.

„Lary hat mich rausgeworfen." Ryan stöhnte auf, als hätte er Schmerzen.

„Soll ich jemanden rufen, damit du mehr Schmerzmittel bekommst?"

„Nein." Ryan schüttelte den Kopf. „Es geht schon."

„Okay", machte Josh zögerlich. „Also, warum hat Lary dich rausgeworfen?"

„Indirekt warst wohl du schuld." Er berührte leicht die Naht über der Platzwunde und verzog schmerzerfüllt das Gesicht.

„Wie meinst du das? Was ist passiert?"

Whatever It TakesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt