Als er das nächste Mal zu Candy ging, war bereits wieder eine Woche vergangen.
Er war tatsächlich alles losgeworden, was sie ihm zum verkaufen gegeben hatte und einiges an Geld kassiert. Es kostete ihn ganz schöne Überwindung, es nicht einfach einzustecken und wegzulaufen.
Was sollte er schon damit? In neue Tabletten für den Eigenbedarf zu investieren, war so ziemlich das einzige, für das er zurzeit größere Mengen an Geld ausgab.
Um den Haushalt kümmerte sich Amber und viel mehr als Essen und Medikamente brauchte er nicht.
Und ein paar gute Filme und Serien, die er sich ausgeliehen hatte, um die einsamen Tage alleine Zuhause herumzubekommen.Amber und er hatten es sich in der letzten Zeit außerdem angewöhnt, gemeinsame Filmabende mit Pizza zu machen. So schlecht war sein Leben doch gar nicht.
Er merkte selber, dass er sich das einredete. Aber solange es half, dass er sich besser fühlte, ging das völlig in Ordnung.
Rauch waberte durch die Luft, als er die kleine Apotheke betrat. Er blickte sich in dem leeren Raum um. Alles sah aus wie immer, nur dass Candy nicht da war. Vielleicht spritzte sie sich gerade ihre nächste Dosis Heroin, wer wusste das schon.
Ein Glück nur, dass er nicht so schlimm dran war, wie sie. Er vertickte die Drogen nur, er nahm sie nicht selbst. Was er nahm, waren Medikamente, die halfen den Menschen und schädigten ihnen nicht.
So sah seine Argumentation schon seit längerem aus. Aber solange sich sein Zustand nicht verschlechterte, musste er nichts ändern. Blieb nur zu hoffen, dass er eine Verschlechterung bemerken würde.
„Hallo?", rief er, als er an die Theke trat und noch immer niemanden sah. Er war innerhalb der Öffnungszeiten gekommen, also müsste Candy doch da sein!
„Candy?"
Er blickte sich in dem Laden um, den er mittlerweile beinahe in- und auswendig kannte.
Rechts von der Eingangstür standen Regale mit Lebensmitteln und sonstigen notwendigen kleineren Gegenständen.
Ansonsten war der ganze Raum vollgestopft mit Medikamentenschränken, die mit kleinen Vorhängeschlössern verschlossen waren, damit sich niemand einfach so daran bediente. Hinter der Theke führte eine Tür in den hinteren Bereich des Ladens, wo Candy sich aufhielt, wenn sie gerade keine Kunden hatte und woher sie immer seine Medikamente holte. Vielleicht war sie auch jetzt dort.
Kurz entschlossen ging Henry hinter die Theke, öffnete die Tür und betrat den Raum dahinter, der aus einem Sofa, einem Tisch und einigen Regalen mit Medikamentenvorräten bestand. Eines von ihnen war vorgeschoben und offenbarte den Blick in einen Raum dahinter.
„Candy?"
Noch immer erhielt er keine Reaktion. Er schob den Überrest seines schlechten Gewissens zur Seite, wie er es so oft tat, und betrat den Raum.
Erneut fielen ihm die langen Regale ins Auge, doch es waren nicht die gleichen, legalen Medikamente, wie die im Verkaufsraum oder dem dahinterliegenden Zimmer.
Es war das, wonach er gesucht hatte, und es war viel.
„Hallo?", rief er erneut, aber leiser als vorher. Es war eh niemand da, also warum nahm er sich nicht das, was er brauchte? Er konnte nicht länger warten und war es nicht Candys eigenes Pech, wenn sie nicht hier war?
Henry streckte die Hand aus und griff nach einer Tüte mit seinen Medikamenten. Es war eine einmalige Gelegenheit, kostenlos an so viel Medikamente zu kommen.
Er drehte sich um und rannte aus dem Laden, die Tüte fest an sich gepresst.
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Whatever It Takes
Teen FictionEs ist ein Jahr her, dass Henry O'Ryan Kate McKinnley heiratete und noch immer ist sie die Frau seines Lebens - bis ein Unfall das Leben des jungen Ehepaars komplett auf den Kopf stellt. Henry sitzt im Rollstuhl - doch als wäre das nicht genug, wird...